-
Jakob Klein, ein Birkenauer Vorkämpfer für Menschen–und Bürgerrechte
In einem demokratischen Staat in Freiheit leben zu dürfen, ist ein hohes Gut, und man sollte sich daran erinnern, unter welch großen Opfern sie von früheren Generationen erkämpft wurde. Als Beispiel dafür steht das Leben des Birkenauer Einwohners Jakob Klein, weil es auf besondere Weise schicksalhaft verbunden ist mit der politischen Geschichte seiner Zeit. Kurz vor der französischen Revolution, deren Folgen Europa verändern sollten, wurde er am 2. März 1789 geboren. Sein Vater, der aus Kissingen kam, arbeitete als Mühlarzt, das waren Handwerker, meistens Schreiner, welche die hölzernen Räderwerke der Mühlen reparierten und warteten. Sowohl seine Mutter Anna Christina geborene Mayer, als auch seine Frau Eva Katharina geborene Steffan, die er 1816 heiratete, entstammten alteingesessenen Birkenauer Familien. Das Ehepaar hatte 9 Kinder, von denen aber 5 bereits in den ersten Lebensjahren starben.
Kleins Kindheit und Jugend fiel in die Zeit der Napoleonischen Kriege, von denen Birkenau 1799 auch betroffen war. Nach deren Ende nahmen die Fürsten auf dem Wiener Kongress die Neuordnung Europas vor. Deutschland bestand nun aus 39 souveränen Staaten. Die freiheitlichen Reformvorstellungen breiter Bevölkerungskreise wurden aber nicht erfüllt. Das gegen Staatsallmacht und adelige Privilegien aufbegehrende Bürgertum beanspruchte in zunehmendem Maße eine Beteiligung an der politischen Verantwortung. Diesem Bestreben stand eine rigorose staatliche Überwachung und Bespitzelung gegenüber. Die Presse unterlag strengen Zensurgesetzen, die Universitäten wurden von staatlichen Kuratoren überwacht. Das führte zur Bildung geheimer Oppositionsgruppen. In Paris gründeten 1834 deutsche Handwerksgesellen, Studenten und politische Flüchtlinge den „Bund der Geächteten“, dessen Mitglied Jakob Klein seit 1838 war. Wie in Weinheim, so gab es auch in Birkenau schon in den 1830er Jahren geheime Treffen der "Liberalen", wie sie im Ort bezeichnet wurden. Jakob Klein gilt als Verbindungsmann und Übermittler vertraulicher Nachrichten zwischen den nordbadischen und südhessischen Oppositionellen. Sein Beruf war Getreidemakler. Daneben vertrieb er auch Druckerzeugnisse - Zeitschriften, Kalender und Bücher - was ihm die Gelegenheit gab, heimlich revolutionäre Schriften zu verbreiten. Mit ein Grund für seine Gesinnung mögen begeisterte Schilderungen sein, die sein nach Amerika ausgewanderter Bruder Johannes in einem ausführlichen Brief 1831 über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der neuen Heimat machte. Er schreibt zum Beispiel: „Es wird Fleisch und weißes Brot mit Butter geschmiert, und zusammen gegessen. Diese Lebensart ist ganz anders als in Birkenau,“ und: „Mein Lebenswandel hat sich geändert, denn ein freies Leben ist edel.“ So musste die amerikanische Staatsform den Daheimgebliebenen als das größte Ideal erscheinen, das es auch hierzulande anzustreben galt.
Im Mai 1840 unterlief Klein eine verhängnisvolle Unvorsichtigkeit: Er übergab dem Fürther Landgerichts-Aktuar Hunzinger einen „Aufruf an deutsche Vaterlandsfreunde" und ein Heftchen mit dem Titel „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“. Hunzinger überstellte als gehorsamer Staatsdiener die beiden Schriften dem hessischen Ministerium des Inneren und der Justiz. Der hessische Chefminister du Thiel befahl die sofortige Verhaftung Kleins am 18. Mai 1840, und die Durchsuchung seines Hauses, wobei die Statuten des „Bundes der Geächteten“ und eine Druckschrift mit dem Lied „Fürsten zum Land hinaus“ beschlagnahmt wurden. Du Thil berichtete dem badischen Außenministerium: „Es wurden nicht nur höchst verdächtige, sondern geradezu aufrührerische Schriften entdeckt, …darunter die lithographischen Statuten eines auf Umsturz der Throne beschlossenen Bundes.“ Dabei befand sich auch der zuvor erwähnte Auswandererbrief, der dadurch der Nachwelt erhalten blieb. In den höchsten Regierungskreisen Hessens und Badens erregte der Fall große Aufmerksamkeit. Auch die Bundeszentralbehörde in Frankfurt wurde laufend über den Stand der Untersuchungen unterrichtet. Als Bezugsquelle der staatsgefährdenden Schriften verdächtigte man den Buchhändler Heuser von der Hoff'schen Buchdruckerei und Verlagsbuchhandlung in Mannheim. Da Kleins Verhaftung bei seinen Gesinnungsfreunden jedoch umgehend bekannt geworden war, wurde bei ihnen kein belastendes Material gefunden. Klein verriet bei seinen Verhören keinen von ihnen. Den Untersuchungsrichtern gelang es nicht, ihn zur Preisgabe von Organisation und Mitgliedschaft des Bundes der Geächteten zu zwingen. Er saß über 1 Jahr in Untersuchungshaft. Erst 1842 wurde er wegen Verbreitung revolutionärer Schriften zu 3 Monaten Korrektionshaus verurteilt.
In der Folgezeit war Birkenau einer besonderen Überwachung ausgesetzt. Zehn Tage nach Kleins Verhaftung berichtete der Weinheimer Amtmann Gockel, dass „…der Mechanikus Schmid Jöst aus Birkenau, ein bekannter Verbindungsmann …wegen Klein in Darmstadt war.“ Vermutlich hat Jöst Klein in der Untersuchungshaft besucht und von diesem mündliche Nachrichten zur Übermittlung erhalten, denn am 13. Juni 1840 schrieb der Lehrer der katholischen Volksschule Birkenau, Michael Andreas Grimm im Auftrag Kleins einen Brief an den Buchhändler Heuser, in dem er einige verdächtige Leute grüßen lässt. Der Brief wurde abgefangen.
Daraufhin bekamen Lehrer Grimm und Schmid Jöst eine Vorladung nach Darmstadt. Nach einigen Tagen Untersuchungshaft wurden sie wieder freigelassen, aber der Vorfall genügte, um Grimm als Lehrer in Birkenau zu entlassen.
Solchermaßen war der Boden in unserer Gegend vorbereitet, als sich die Pariser Februarrevolution von 1848 springflutartig in Europa ausbreitete. Die Fürsten gaben unter dem Druck der Massendemonstrationen zunächst nach. Sie konnten sich auf ihre Beamten und Soldaten nicht mehr verlassen, und bewilligten die sogenannten „Märzforderungen“, wie Presse- und Versammlungsfreiheit und ein Deutsches Parlament. Diese Tage der politischen Befreiung im März 1848 gaben der davorliegenden Epoche seit 1815 später in der Geschichtsschreibung den Namen „Vormärz“.
Die zentrale Frage jener Tage war, wie künftig Deutschland regiert werden sollte: Den Bestrebungen nach einem konstitutionellen Kaisertum mit einem vom Volk gewählten Parlament, stand die Forderung nach Einführung der Republik und Entmachtung aller Fürsten gegenüber. Der sehr populäre Friedrich Hecker, Abgeordneter des Bezirks Weinheim-Ladenburg in der Badischen Zweiten Kammer, und der Mannheimer Journalist Gustav von Struve waren leidenschaftliche Anhänger der Republik. Der Antrag auf Einführung derselben wurde im Frankfurter Vorparlament aber mit etwa 70% der Stimmen abgelehnt. Hecker machte daraufhin vom badischen Bodenseekreis aus einen gewaltsamen Umsturzversuch, der aber nach wenigen Tagen blutig niedergeschlagen wurde.
Im September 1848 kam es zu einem neuerlichen Versuch, der republikanischen Staatsform in Deutschland doch noch zum Sieg zu verhelfen. Gustav von Struve rief in Lörrach die Republik aus. Er sagte, man stehe im Kampf um die Volksherrschaft nicht allein. In allen deutschen Gauen breche am gleichen Tag die Erhebung los.
Außer in Südbaden wurde diese Botschaft nirgends so gläubig aufgenommen, wie in unserer Gegend. In einer großen Kettenreaktion, so glaubten sie, würde das ganze deutsche Volk nun aufstehen, um die Demokratie endgültig zu verwirklichen. Um Truppentransporte gegen Struves Freischaren zu verhindern, sollten u.a. auch in Weinheim die Eisenbahnschienen unterbrochen werden. Klein machte am 23.9.1848 in Birkenau, Reisen und Mörlenbach den Plan bekannt und forderte viele erfolgreich zur Mithilfe dabei auf. Am Abend wurde er auf dem Bahndamm gesehen, wo auf ca.40 Metern die Schienen und Schwellen herausgerissen wurden. Ein Zug, der vorher bereits Truppen transportiert hatte, kam leer mit zwei Lokomotiven zurückgefahren. Die beiden Loks stürzten den Bahndamm hinab. Hinterher stürzten zwei Pritschen- und ein Pferdewagenwagen, die gänzlich zertrümmert wurden. Ein Pferdewagen blieb schwer beschädigt am Rande der Böschung stehen, die nachfolgenden Personenwagen blieben auf den Schienen Die sieben Bahnbediensteten erlitten zum Glück keine schweren Verletzungen.
Militärisch war diese Aktion bedeutungslos, und bereits am nächsten Tag wurden die Freischaren bei Staufen geschlagen.
Klein wurde mit 68 anderen Odenwäldern verhaftet und monatelang verhört. Am 22.10.1849 begann der Prozess vor dem Assisenhof in Darmstadt. Im Prozessbericht der „Darmstädter Zeitung“ vom 15.11.1849 finden wir eine Personenbeschreibung: „Klein hat einen Glatzkopf und Hambacher Bart und trägt beständig eine Brille. Wie die ganze Gestalt, die eine unerschütterliche Ruhe zeigt, so scheint namentlich seine Stimme ausgetrocknet und er ist desshalb kaum zu verstehen" An anderer Stelle zitiert die Zeitung am 28.11. Kleins Verteidiger Dr. Schatzmann: „Er ist eigentlich ein vormärzlicher Liberaler, der nur vergessen wurde während man alle anderen, die je Strafe erlitten, mit Triumphbogen feierte [nach der erfolgreichen Märzrevolution] …Klein ist, wie zuverlässige Leute aus seiner Gegend versichern, ein grundehrlicher Mann, dem man 20 000 Gulden anvertrauen kann“. Auch das erwähnte der Verteidiger: Klein sei ein armer Mann, und seine Frau schon 18 Jahre lang geisteskrank.
Das Urteil vom 28.11.1849 lautete auf 4 Jahre Zuchthaus wegen Beihilfe bzw. Vorbereitung zum Hochverrat.
Jakob Klein sollte Birkenau nicht wiedersehen. Er starb kurz vor seinem 64. Geburtstag am 10. Februar 1853 auf Marienschloß, dem Landeszuchthaus in Rockenberg bei Friedberg.
Durch den tragischen Ausgang der Ereignisse wurden auch viele andere Familien aus Birkenau, Nieder-Liebersbach und Reisen in großes Leid und Unglück gestürzt. Wir gedenken ihrer heute als frühe Wegbereiter der Demokratie, die zwar gescheitert sind, aber ihre Ideale ließen sich nicht auf Dauer unterdrücken.
Buchhinweis:
Genaues über die Ereignisse steht unter dem Titel „Vormärz und Revolution von 1848/49 im Birkenauer Tal“ in dem Jubiläumsfestbuch „1200 Jahre Birkenau“, 1994.
Autorin: Helga Müller
-
Vorfahrt durch Horn und Peitschenknall
Probleme mit Fuhrleuten und Postillons / Bestimmungen über Alkoholverbot wurden nicht genannt
Heute erfordert die Regelung des immer dichter werdenden Straßenverkehrs umfangreiche gesetzliche Bestimmungen, Ausführungsverordnungen und Hunderte von verschiedenen Verkehrsschildem. Daß es bereits im letzten Jahrhundert Probleme mit dem Straßenverkehr gab, ist wenig bekannt. Das Großherzogliche Kreisamt in Heppenheim beklagt im Verordnungs- und Anzeigeblatt vom 13. März 1897, daß die für den Verkehr von Fuhrwerken auf Straßen bestehenden Vorschriften von Seiten der Fuhrwerksleiter wenig Beachtung finden“. Die wichtigsten Verhaltensmaßregeln aus dem Reichsstrafgesetz und dem Polizeistrafgesetz werden dabei genannt. Es ist frappierend, wie sich manche Sachverhalte, nachdem fast ein Jahrhundert vergangen ist, mit den heutigen gleichen.
Geschwindigkeitsüberschreitung
PS-Protze, die Geschwindigkeitsgebote mißachteten, sollten mit bis zu 60 Mark Strafe, ersatzweise 14 Tagen Haft, bedacht werden. Sehr interessant wäre allerdings ein Gespräch mit einem damaligen Verkehrsexperten, welche Geschwindigkeit als normal und überhöht betrachtet wurde. Konnte doch nur ganz allgemein zwischen den verschiedenen Gangarten der Pferde, wie etwa Schritt, kurzer Trab usw. unterschieden werden. Die Grenzen waren hierbei sicherlich fließend. Die wichtigsten Bestimmungen lauten:
„Jeder Fuhrmann, d. h. Leiter eines Fuhrwerks, muß sich bei Gebrauch desselben so verhalten, daß er seine Pferde oder sonstigen Zugtiere jederzeit in seiner Gewalt hat und immer im Stande ist, sie gehörig zu leiten. In engen Ortsstraßen, desgleichen beim Bergabfahren auf steilen Ortsstraßen sowie beim Ein- und Ausfahren in oder aus Höfen oder Häusern und an Orten, wo die Passage durch den Zusammenfluß von Menschen verengt wird, darf, bei Vermeidung einer Strafe, niemand -anders als im Schritt fahren oder feiten.
Den Fuhrleuten, namentlich den Postillons, ist das Jagen mit angespannten Pferden innerhalb der Ortschaft untersagt. Beim Zusammentreffen mit anderen Zugtieren und Fuhrwerken, wie auch beim Wenden um die Straßenecken, ferner auf Brücken und überhaupt auf allen Brücken, auf welchen das desfallsige Verbot durch besonderen Anschlag bekannt gemacht ist, darf nicht schneller als im kurzen Trabe oder Schritte gefahren werden. Ebenso dürfen Pferde innerhalb der Orte nicht anders als im kurzem Trabe oder Schritt geritten werden.“
Vorfahrtsregelungen
Es ist anscheinend eine unausrottbare Eigenschaft des Menschen, seinen Zeitgenossen in bestimmten Situationen, besonders im Straßenverkehr, zeigen zu müssen, wer zuerst am Drücker ist. Davon legen die Bestimmungen über die Vorfahrt Zeugnis ab:
1. alle Fuhrwerke, besetzte oder leere Chaisen, beladene oder leere Wagen, welche sich auf öffentlichen Wegen begegnen, müssen, insofern es die Beschaffenheit und Breite der letzteren gestatten, einander rechtzeitig zur Hälfte ausweichen, d. h. rechts auf die Seite soweit einlenken, daß für das andere Fuhrwerk die Hälfte der Fahrbahn freibleibt.
2. Gestattet die Beschaffenheit des Wegs das Ausweichen nicht, so muß derjenige Leiter eines Fuhrwerks, welcher den ihm entgegenkommenden Wagen zuerst bemerken kann, an einem schicklichen Orte solange mit seinem Fuhrwerk halten, bis das andere Fuhrwerk vorüber ist. Fuhrleute haben sich daher auf solchen Wegen* durch Rufen oder Klatschen mit der Peitsche, die Postillons mit dem Horn Zeichen zu geben.
3. Namentlich finden die Vorschriften unter 2 bei Hohlwegen Anwendung. Kommen aber gleichwohl zwei Fuhrwerke in einem Hohlweg zusammen, wo ein Ausweichen nicht möglich ist, so muß dasjenige von beiden zurückfahren, für welches dies, weil es das leichtere ist, oder weil es dem Anfänge des Hohlwegs sich am nächsten befindet, mit den wenigsten Schwierigkeiten verknüpft ist.
4. Viehherden, welche in Hohlwegen oder auf anderen Wegen, wo sie nicht ausweichen können, mit Fuhrwerken Zusammentreffen, müssen von ihrem Führer zurückgetrieben werden.
5. Bei dem Vorbeifahren (überholen) nach einerlei Richtung, welches überhaupt nur dann, wenn der Weg das Ausweichen gestattet, zulässig ist und nur mit der gehöbigen Vorsicht geschehen darf, muß der Leiter des zurückbleibenden Wagens auf die rechte Seite soweit ausweichen und langsam fahren, daß das andere Fuhrwerk auf der anderen Seite vorbeifahren und auf die Mitte der Fahrbahn gelangen kann. Das Vorbeifahren im Jagen und das Wettfahren ist ganz untersagt und das Vorbeifahren von schwer beladendem Fahrwerke nach einerlei Richtung nur im Schritt gestattet.
Bestimmungen über das Verbot von Alkohol am Zügel oder auf dem Kutschbock werden nicht genannt. So konnte der müde und betrunkene Fuhrmann die Verantwortung auf eine sichere Heimkunft auf seine nüchternen Pferde abwälzen.
Autor: Gemeindearchivar Günter Körner
-
Die Weschnitz, eine geschichtlich‑erdkundliche Skizze
Unser trautes Heimatflüßchen, die Weschnitz tritt in die Geschichte mit dem Namen Wisgoz ein. Soweit bis jetzt bekannt ist, wird ihr Name zum ersten Mal genannt in der Urkunde, in der der Gaugraf des Oberrheingaus, Cancor, und seine fromme Mutter Williswinda im Jahre 763 ihr auf einer Weschnitzinsel gelegenes Landgut Laurissa oder Lauresham samt der dort von ihnen selbst zur Ehre des Apostel Petrus und Paulus erbauten Kirche dem Erzbischof Routgang oder Chrodegang von Metz, einem Schwestersohne des Königs Pipin, zwecks einer Klostergründung zum Geschenk machten. Vielfach wurde der Versuch unternommen, den merkwürdigen Namen zu deuten. So will ihn z. B. A L. Grimm ("Vorzeit und Gegenwart an der Bergstraße, dem Neckar und Odenwald, Darmstadt 1822) mit "Wiese Gottes"! erklären, und er vermutet, daß der Name von dem Wiesengelände, auf dem die dem Graf Cancor gehörige und dem Kloster Lorsch geschenkte Kirche gestanden habe, herrühre, denn daß Lauresham an der Weschnitz lag, wird durch die Schenkungsurkunde bestätigt. Grimm nimmt nun an, "es möge zuerst die Wiese den Namen Wisgoz (= Wiese Gottes) geführt haben, und von dem Wiesenland sei er dann auf das daselbst bewässernde Flüßchen übergegangen". Es wird sich wohl erübrigen, auf die Unhaltbarkeit dieser Deutung des Weschnitznamens, die jeglicher wissenschaftlichen Unterlage entbehrt und sich nur an den Wortklang anlehnt, näher einzugehen. ‑ Auch die weitere, an derselben Stelle ausgedrückte Vermutung, die Römer hätten dieses Flüßchen wahrscheinlich Visucius genannt, entspricht durchaus nicht den Tatsachen, da einmal bei keinem römischen Schriftsteller oder Geschichtsschreiber unser Flüßchen Erwähnung findet, und sodann, weil Visucius kein Flußname, sondern der einer gallisch‑ romanischen Gottheit war. ‑ Die Ableitung des ursprünglichen Weschnitznamens von Visucius finden wir auch bei Dahl ("Geschichte des Klosters Lorsch") der sich wieder auf Lamay (Act. Pal. l.c. p. 202) stützt und S. 171 aussagt: "Entweder hat das Flüßchen Wisgoz von diesem Visucius seinen Namen erhalten, oder man nannte den Berg, worauf dieser Gott verehrt wurde, ebenfalls Visgotz oder Wisgotz, und so nannte man auch das Flßchen, das aus diesem Berg entsprang Wisgotz und gab sogar auch einem nahe gelegenen Orte denselben Namen". Die hier von Grimm, Dahl und Lamay bekundete Ansicht über die Entstehung und Bedeutung des Weschnitznamens kann jedoch nur als eine reine Vermutung gewertet werden, denn ihre Beweise beruhen ebenfalls nur auf Mutmaßungen und stützen sich nicht auf Tatsächliches.
An der Verbindung von Wisgoz mit Visucius trägt ein im 18. Jahrhundert bei Handschuhsheim, oder genauer gesagt, auf dem Heiligenberg bei Heidelberg aufgefundener Altar (aufgestellt im Museum des Mannheimer Altertumsvereins, Schloß) der dem Visucius geweiht war, wie aus der Inschrift Visucio aedem eum Signe fecit Cajus Candidius Calpurnanus etc. hervorgeht. Über diesen Visucius läßt sich Schumacher ("Siedlungsgeschichte der Rheinlande II, S 298 ff.) folgendermaßen aus:"Altgallische Gottheiten haben sich so gut wie guilische Sprachreste namentlich im Bauernstande durch die ganze römische Periode erhalten und zwar nicht nur in Gallien selbst, sondern auch in den Rheinlanden. Nach Cäsar waren die Hauptgötter der Gallier Merkur (an ersteer Stelle!), Apollo, Mars, Jupiter, Minerva etc." Und Seite 300 führt er weiter aus, daß Visucius ein in Südgallien, sowie bei den Treverern und Bituriger mehrfach vorkommender Beiname des Merkurius sei. Dieser Visucius besaß, wie der aufgefundenen Altar beweist, auf der Gaukultsstätte auf dem Heiligenberg einen Tempel, wo er, "anscheinend von römischen Offizieren oder romanisierten Kelten" (nach Dr. Freudenberg, der Lobdengau) verehrt wurde.
Grimm, der von dem Vorhandensein des genannten Altars Kenntnis besaß, während ihm dessen Standort nach seiner eigenen Angabe unbekannt war, meint nun inbezug auf die Ableitung des Weschnitznamenes von Visucius: " Da indessen Hammelbach früher zur Pfalz gehörte, so kann der Altar wohl an der Weschnitzquelle, wo ihn die Römer dem Flußgott zu Ehren aufgestellt, dahin (nämlich nach Mannheim) gekommen sein". Ähnlich äußerte sich Dahl über den Visucius Altar, und obgleich ihm der Fundort bekannt ist ‑ er gibt, gestützt auf Lamay, Handschuhsheim an ‑ versetzte er ihn trotzdem an die Weschnitzquelle, " Weil er vorzüglich in das Oberamt Starkenburg gehört, wo vormals bei dem Ursprung der Weschnitz von unseren heidnischen Vorfahren dieser Visucius als Gott verehrt wurde". Wenn er dann zur Bekräftigung des letzteren weiterfährt: "daß die Gegend einer deutschen Gottheit geweiht war, bestätigt auch die Benennung zweier in der Nähe gelegener Dörfer, Ober‑ und Unterostern", so hat er darin bestimmt Unrecht, da der Name der Göttin Ostara hier ebenso unbekannt war, wie wir es von dem Namen Odin wissen. Die beiden Osterorte (880 Osterhaha, später Osterna) leiten ihren Namen vielmehr von ostar, d.h. ostwärts, nach Osten, also an der Ostgersprenz gelegen, ab. Desgleichen läßt sich auch die durch nichts begründete Annahme von dem Standort eines Visucius‑Altares an oder in der Nähe der Weschnitzquelle ‑ mit letzterem ist an der Kahl‑ oder Walpurgisberg bei dem Worte Weschnitz gedacht ‑ aufrecht erhalten, da in unserer Gegend nur ein einziger Visucius‑Altar aufgefunden wurde und dieser ganz bestimmt seinen Standort auf dem Heiligenberg hatte. Somit verliert auch die Ableitung des Weschnitznamens von dieser Gottheit ihre Wahrscheinlichkeit, ja es darf als sicher angenommen werden, daß zwischen der Wisgoz und dem Visucius niemals eine Beziehung bestand.
Bei neueren Forschern (Schumacher u.v.a.) herrscht wohl kein Zweifel mehr, daß in dem Wort Wisgoz der gallische Fluname Visa steckt, wie dasselbe bei der "Wiese" im südl. Schwarzwald, dem "Wiesbach" und "Wißberg" in Rheinhessen der Fall ist, und wie auch Visa‑Flüsse in Gallien selbst vorkommen. Wohl gibt es auch ein ahd. wisa‑feuchtes Land, Grasland, von dem der erstes Teil des Wortes Wisgoz stammen könnte und das auch treffend die Weschnitz als ein durch feuchtes Gelände fließendes Flüßchen bezeichnet würde, da in frühesten Zeiten das Weschnitztal gewiß stark versumpft war, was natürlich auch, ja vielleicht in noch viel höherem Maße von dem Ried gilt. Trotzdem glaubt man an den keltischen Visa festhalten zu sollen, weil die Namen zahlreicher anderer Odenwaldbäche und ‑flüßchen, wie Ulvena (Ulfenbach), Eutera (Euter‑ oder Itterbach), Elantia (Elz), Scaflantia (Schefflenz), Gersprantia (Gersprenz), Nemana (Mümling), Liutra (Lauter), Mutdaha (Modau) ebenfalls keltischen Urpsrungs sind und die Weschnitz ebesogut innerhalb des keltischen Siedlungsgebietes lag als jene Wasserläufe. ‑ Der zweite Teil des Wortes Wisgoz stammt zweifellos von dem ahd, giozo = fließendes Wasser, Bach u. ähnl. ab.
Die Frage, ob etwa in dem Wort Visucius ebenfalls der Flußname Visa enthalten sei, beantwortete mir Schumacher dahin, das Visucius nicht unmittelbar davon abgeleitet zu sein braucht, woraus hervorgeht, daß zwischen Wisgoz und Visucius wohl ein sprachlicher Zusammenhang bestehen mag. Wenn Grimms Angabe, Visucius sei ein Flußgott gewesen, zu recht besteht, dann wäre damit ein, allerdings schwacher Beweis für die sprachliche Abhängigkeit beider Wörter gegeben.
Als älteste deutsche Namensform der Weschnitz nennt Dieterich ("Sigehart von Lorsch", Darmstadt 1923) "Weschense, d.h. Weschenz", in der möglicherweise das Wort "Wasen"" (Rasen) stecke. In Gernsheimer Rechnungen von 1463 lautet der Name Wesserce und in solchen von 1493 Wessentze. Als Weschenz erscheint er 1465 in einem Karlsruher Kopialbuch, sowie in Darmstädter Urkunden von 1539 und 1567. Vor 40 bis 50 Jahren lautete in der Weschnitzgegend die mundartliche Form "Weschenz", jedoch nur noch bei älteren Leuten, während die jüngere Generation damals schon die noch heute übliche Form "Weschetz" gebrauchte.
Quelle
In einer Höhe von 465 Meter über dem Normal‑Null befindet sich, in ältere porphyrische Granite eingebettet, die Wiege unseres Flüßchens. "An der Esch" wird diese Gewann im Flurbuch der Gemarkung Hammelbach genannt, und es ist leicht denkbar, daß in ältesten Zeiten dieses Gebiet mit Eschen bestanden war, da diese einen feuchten Boden lieben und sich somit dort in ihrem Elemente befanden. Heute ist die Gewann eine Wiese, und die darauf wachsenden Binsen und Riedgräser liefern den Beweis, daß das Gelände auch jetzt noch sumpfig ist. Mit der fortschreitenden Kultivierung der Gegend verschwanden wohl dort die Eschen, doch mag eine davon, vielleicht ein besonders schöner oder starker Baum stehen geblieben sein, der die Veranlassung zur Benennung der Gewann gab. Die die Geburtsstätte der Weschnitz bildende Wiese verläuft nach Westen schwach gabelförmig, der eine Arm mehr schluchtartig, der andere etwas flacher. Auf dieser Wiese sammelt sich das Wasser in kaum wahrzunehmenden Adern, die vereinigt unser Flüßchen bilden, das nun seinen Weg zum Rhein beginnt.
Lauf im Gebirge
Der Lauf der Weschnitz vollzieht sich von der Quelle an zunächst in fast nördlicher Richtung, und zwar auf der Grenze zwischen dem kristallinen und dem Buntsandstein‑Odenwald, bis zu dem Dörfchen Weschnitz. Kurz vorher weitet sich der seither enge, doch nicht schluchtartige Talgrund zu einer kleinen Mulde, und die dadurch freigewordene Sicht läßt im Vordergrunde den "Stotz", rechts aber den "Kahlberg" erscheinen. Letzterer, durch seinen dunklen Tannenbestand einen düsteren Eindruck erweckend, trägt an seinem Westabhange ein uraltes, der hl. Walpurga geweihtes Wallfahrtskapellchen, aus welchem Grunde der Berg im Volksmunde den Namen Walpurgis‑ oder Kapellenberg führt. Doch auch in geschichtlicher Hinsicht ist er von Bedeutung, war er doch ein wichtiger Grenzpunkt der einstigen von Karl d. Gr. 773 dem Kloster Lorsch geschenkten Mark Heppenheim. In der Grenzbeschreibung dieser Mark (Kod.Laur. Nr. 6) führt er den Namen Walinehoug, als dessen ursprüngliche Namensform Walonohoug angenommen wird, abgeleitet von Walh, Walah, Walach (dessen schwache Form im Nom. Sing. Walacho, im Gen. Sing. Walachine, im Gen. Plur. dagegen Walachono lautet) und Walche oder Welsche, d.h. Fremde bedeutet (nach Dr. Christ), und unter denen man mit Bestimmtheit die Kelten oder romanisierte Gallier erkennen will. Auf diesem Walinehoug fand im August 795 unter dem Vorsitz des Gaugrafen Warinus jenes placitum statt, bei dem das Protokoll der endgültigen Grenzabsetzung der Mark Heppenheim von den 37 administrativen Urkundspersonen, nämlich 12 aus dem Lobedengau, 8 aus dem Wingarteibagau und 17 aus dem Rhein‑ und Maingau, abgefaßt wurde.
In Weschnitz kehrt unser Flüßchen fast rechtwinklig um, indem der "Motzrain", der östliche Abhang des Stotz, den Weg versperrt, und durchbricht den Trommrücken in fast gerader Linie von Ostsüdost nach Westnordwest bis Brombach. Diese Strecke trägt einen durchaus schluchtartigen Charakter, besonders bei der "Leberbach", eines entfernt liegenden Ortsteils von Weschnitz, wo der steil abfallende 400 Meter hohe "Krehberg" und dessen ebenso hohe Fortsetzung, die "Winterhall", sich dicht an den gegenüberliegenden "Stotz" herandrängen.
Einige Meter unterhalb von Brombach beginnt sich das Tal zu weiten, und der Blick wird frei. Wir sind in die "Weschnitzsenke" eingetreten. Zugleich aber bietet sich dem Beschauer ein Landschaftsbild von ganz hervorragender Schönheit: Im weiten Umkreise die die Senke umsäumenden, hohen waldbedeckten Berge, diesen vorgelagert zahllose, im buntem Wechsel hingeworfene Hügel und mitten hindurch ein vielfach gewundener Streifen saftiger Wiesengründe mit hingestreuten freundlichen Ortschaften, wirklich ein Bild, wie wir es in gleicher Anmut nicht allzuhäufig finden. Und dann den Blick nordwärts gerichtet auf Lindenfels, dieses einzigartig auf lichter Bergeshöhe gelegene Städtchen mit seiner weithin leuchtenden Kirche, dem trutzigen Bürgerturm dahinter und der überragenden Ruine ! Wer im Zweifel war, wo die "Perle des Odenwaldes" zu suchen sei, diese Stelle wird es ihn lehren.
Die Weschnitzsenke wird im Osten durch den steilen Rücken der Tromm, im Norden durch die Neunkircher und Seidenbucher Höhe und im Westen durch das allmählich zu den Höhen der Bergstraße ansteigende Hügelland begrenzt, während sie nach Süden und Südosten in den Höhen zwischen Birkenau und der Kreidacher Höhe ihren Abschluß findet. Sie bildet einen an Parallelspalten zu denen der Rheinebene und an quer zu jenen verlaufenden Spalten abgesunkenen Gebirgsteil, und ihre Entstehung steht jedenfalls mit den Gebirgsbewegungen, die das Einsinken der Rheinebene bewirkten, in direktem ursächlichen Zusammenhang, geschah also zur Tertiärzeit und zwar im Oligozän. ‑ Das eigentliche Tal der Weschnitz, in dem es die Senke durchfließt, beginnt sich von oberhalb Fürth an zu weiten und breitet sich unterhalb des Ortes in dieser Hinsicht immer weiter aus. Infolge des flachen Wiesengeländes zu beiden Seiten erweckt es einen ruhigen Eindruck, dessen Wirkung eine besondere Steigerung erfährt, wenn die sinkende Abendsonne das Tal vergoldet und ihm die ersten Nebel entsteigen und sich wie ein Silberschleier über die Landschaft legen.
Direkt unterhalb von Mörlenbach treten die Hügel näher an die Weschnitz heran, das Tal engt sich immer mehr, um unterhalb von Birkenau einen fast schluchtartigen Charakter anzunehmen, das der Bach in zahlreichen Windungen durchfließt. Von der landschaftlich hervorragenden Schönheit dieses, das "Birkenauer Tal" genannten Stückes sind wohl alle Leser durch eigene Anschauung genügend überzeugt, daß es keinen weiteren Hinweises mehr bedarf. Anders verhält es sich jedoch mit dessen früherem Aussehen, und obgleich hie und da schon darüber berichtet wurde, sind diese Ausführungen noch nicht allgemein bekannt, So schreibt z.B. die anmutige Reiseschriftstellerin Johanna Schopenhauer, die Mutter des bekannten Frankfurter Philosophen, ihre Eindrücke beim erstmaligen Besuch des Birkenauer Tales in folgenden Sätzen nieder ("Ausflucht an den Rhein und seine nähere Umgebung", Leipzig 1818, S. 105") : "Weinheim, den 21. August 1816. Dicht an der Stadt öffnet sich das Birkenauer Tal. Zwei in den Felsen gehauene uralte Torpfosten, an welchen man noch die Spuren der Angeln erblickt, woran die Türflügel hingen (d.i. die Neumaurerspforte), bilden hier den Eingang in die düsteren Klüfte des Odenwaldes. Wahrscheinlich verschloß dies Tor den Zugang zu einem Odin geweihten heiligen Hain. Mich ergriffen ahnende Schauer einer gewaltigen Vorzeit, da ich hindurch schritt. Schon der Name des Odenwaldes verkündet, daß er vor allem dem Dienste Odins geweiht war; die ganze Gegend bietet noch Spuren davon, und wohin man tritt, ist altdeutscher klassischer Boden. Felsen und Steine, alte Denkmale und Namen von Gegenden und Ortschaften, alles erinnert an die Geschichte der Nibelungen und einer großen Vorwelt, die jetzt im romantischen Dunkel einzelner Sagen verhüllt liegt.
Starr und wild drängen sich die Felsen an Anfange des Birkenauer Tales zu einer engen Schlucht zusammen; die Weschnitz eilt rauschend zwischen ihnen hin, durch das Tal hindurch: oft läßt sie am Fuße der Berge kaum Raum genug für den sich längs ihrem Ufer hinziehenden Fahrweg, hin und wieder aber erweitert sich das Tal, und wo es der Platz erlaubt, ist auch eine Mühle hingebaut, hohe Erlen umgeben das ländliche Gebäude, und der Widerhall verdoppelt das Rauschen des unwillig über die Räder sich stürzenden Bergstromes. Solcher Mühlen gibt es hier drei, die alle die romantische Schönheit des wilden Felsentales erhöhen, jede auf besondere Weise und von den andern verschieden. Nächst einem Kloster wüßte ich nichts, das den Reiz einer gebirgigen Gegend mehr erhübe, als eine Mühle mit ihren brausenden Bächen, ihren immer in Schwung sausenden Rädern, und jetzt, da die Klöster wie ausgenommene Nester dastehen, ist mir eine Mühle fast noch lieber, als ein solches verödetes oder gar zu einer Fabrik umgeschaffenes Kloster. Die das Tal einschließenden hohen Felsen bieten dem Naturforscher höchst merkwürdige Erscheinungen dar; mich freute ihre wunderbare Gestaltung, der frische Wald, der sie kleidet, und die roten zackigen Felsspitzen, die hie und da aus dem üppigen Laub hervorragen und schöne Gruppen bilden. Das Tal endet in einer ziemlich weiten Ebene, in deren Mitte das Dörfchen Birkenau und das dazugehörige Schloß eine freundliche Landschaft bilden". Wenn auch in dieser Schilderung einige Irrtümer enthalten sind, besitzt sie trotzdem wegen ihrer Anschaulichkeit einen bleibenden Wert, besonders auch aus dem Grunde, weil wenig Beschreibungen über das Aussehen des Tales aus früherer Zeit vorhanden sind. ‑ Grimm, der begeisterte Weinheimer Heimatfreund, bezeichnet (in dem eingangs erwähnten Buche) den Charakter des Tales, und zwar "wegen der schroffen Felsenwände, der Wasserfälle und der Mühlen", und man darf wohl noch hinzufügen, wegen der mächtigen, die Bergabhänge bedeckenden Eichen und des zahllosen Buschwerks am brausenden Bache, als "ernst", und hat es damit wohl treffend charakterisiert. An derselben Stelle erfahren wir, daß der das Tal durchziehende Weg mit Pappeln bepflanzt war, von denen Grimm allerdings wünscht, sie möchten "gefällt und mit Erlen und Weiden oder anderen einheimischen Bäumen ersetzt" werden, denn sie passen nach seiner Ansicht durchaus nicht zu dem übrigen Charakter des Tales, auch verdeckten sie durch ihre alleenartige Pflanzung manche schöne Aussicht.
Leicht ist es dem Flüßchen hier nicht geworden, durch das Gebirge hindurch zu kommen. Der Wachenberg, sowie der gegenüberliegende Hirschkopf bildeten in früheren erdgeschichtlichen Zeiten zwei zusammenhängene Gebirgsschollen, wenn auch zwischen beiden eine tiefe Einsattelung angenommen werden muß, wie die Bachschotter an den Abhängen beider Berge beweisen. Zur Diluvialzeit nagte sich das Wasser immer tiefer ein, wobei es auf der linken Seite den aus Porphyr bestehenden Schlot, der den Wachenberg als Magma durchstieß und in ihm erstarrte, freilegte. Das bei der Aussägung der Talrinne gewonnene Schottermaterial, sowie die in noch weit größerem Umfange von dem Wasser mitgeführten Gerölle, Sande und Trübe wurden an der Austrittsstelle aus dem Gebirge und deren Umgebung abgelagert. Auf einem solchen Schuttkegel, wie man derartige Ablagerungsstellen bezeichnet, ist ein beträchtlicher Teil der Stadt Weinheim aufgebaut, doch rührt dieser Schutt nicht allein von der Weschnitz her, auch der Grundelbach trägt einen nicht unerheblichen Anteil daran.
Da der Austrittspunkt der Weschnitz aus dem Odenwald ungefähr 360 Meter tiefer als die Quelle liegt, ergibt sich für unser Flüßchen ein verhältnismäßig starkes Gefälle, doch ist dieses nicht gleichmäßig auf den ganzen Lauf verteilt. Es beträgt auf der kleinen Strecke des Oberlaufs bis Dorf Weschnitz 1:30, ebensoviel von hier bis Brombach, dann bis Fürth noch 1:70, dagegen von hier bis Mörlenbach auf etwas mehr als 7 Km. nur 1:80. Während sich von Mörlenbach an, abgesehen von einigen Ausnahmen, das Gefälle wenig ändert und in mäßigen Grenzen hält, vermehrt es sich im Birkenauer Tal wieder auf ein bedeutend höheres Maß, eine Erscheinung, wie wir sie bei den meisten Odenwaldbächen vor ihren Austritt aus dem Gebirge nach der Rheinebene hin beobachten können, und die vermutlich auf jüngere tektonische Vorgänge zurückzuführen ist.
Lauf durch die Ebene
Mit dem Eintritt in die Ebene, also von Weinheim an, beginnt die Weschnitz den zweiten Abschnitt ihres Laufs, der den ersten an Länge etwas übertrifft, doch verhielt sich letzteres in früheren Zeiten gewiß anders. Es ist bekannt, daß der Neckar schon im mittleren Diluvium unterhalb Heidelberg nach Norden umbog und in dieser Richtung in zahlreichen Schlingen und Armen das Ried und zwar meist in der Nähe der Bergstraße, durchfloß, sich bei Zwingenberg nordwestlich wandte, um sich in der Gegend von Trebur in den Rhein zu ergießen, vermutlich gemeinsam mit dem südlichsten Arme des Mains. Für die Weschnitz ergibt sich daraus, daß sie zu jener Zeit nicht in den Rhein fließen konnte, sondern schon bald unterhalbWeinheim, wohl gegenüber von Sulzbach bei den "Achtzehn Maden", von dem Neckar aufgenommen wurde. Anders gestaltete sich jedoch ihr Lauf, als sich der Neckar sein Bett mit der Mündung bei Mannheim gegraben und somit den sog. Bergstraßenlauf durch das Ried aufgegeben hatte. Hier liegt die Vermutung nahe, die Weschnitz habe das aufgegebene Neckarbett zu ihrem eigenen gemacht, um auf diese Weise den Rhein zu erreichen.
Zunächst interessiert uns jedoch die Frage, seit welcher Zeit etwa der Neckar seinen jetzigen bei Mannheim endigenden Lauf inne hat. In Beschreibung des Großh. Hessen" von Wagner wird I, S. 164 angeführt:"Im Jahre 369 soll Rando, ein allemannischer Fürst, den Neckar ab‑ und bei Mannheim in den Rhein geleitet haben", und in einer vorliegenden Abhandlung "Der ehemalige Lauf des Neckars durch das Ried" von Adolf Tschirner findet sich folgende Behauptung: "Die Verlegung der Neckarmündung in die Gegend von Mannheim erfolgte unter der Regierungszeit des römischen Kaisers Valentinian I. (364 bis 375). Der römische Geschichtsschreiber Ammianus beschreibt dieses Werk sehr anschaulich: Der Kaiser fand unter anderm, daß eine große und sichere Schanze, die er selbst von Grund aus neu angelegt hatte, von dem vorbeifließenden Nicer (Neckar) allmählich unterwaschen und dadurch zu Grunde gerichtet werden könne. Er kam daher auf den Gedanken, dem Fluß ein neues Bett anzuweisen, ließ auch, so schwer das Unternehmen war, unter Beirat kundiger Wasserbaumeister einen beträchtlichen Teil seiner Armee Hand ans Werk legen. Man brachte viele Tage damit zu Eichenstämme in das künftige Flußbett zu legen. Oft genug wurde diese durch die Gewalt der Wellen verschoben oder der reißende Fluß unterbrach den Zusammenhang unter ihnen. Doch siegte die Standhaftigkeit des Kaisers und der folgsame Eifer der Soldaten, die während der Arbeit bis an die Knie im Wasser standen, zum Teil auch in Lebensgefahr gerieten." Über die Lage der Schanze gibt der Verfasser an, diese sei umstritten, möglich sei, sie in der Nähe des Meerhofes zu suchen. "Der Neckar floß", fährt Tschirner weiter, "zur Zeit der Karolinger nicht mehr durch das Ried. Es wird nun vermutet, und die alten Gewannamen der Rieddörfer ("Die Neckargärten", "Der Schiffsweg", "Der Neckarpfad") sind die einzige Stütze dieser Annahme, daß nach der römischen Zeit, etwa im 5.‑7. Jahrhundert, der Fluß wieder seinen alten Lauf durchs Ried gehabt haben muß, und noch vor karolingischer Zeit abermals und nun endgültig, abgeleitet wurde".
Ohne auf die vorstehenden Ausführungen näher einzugehen, sei hier nur festgestellt, daß es sich bei der von Ammianus erwähnten Neckarverlegung nur um eine Korrektur des Neckarbettes handeln kann, niemals aber um eine Veränderung, durch die der Fluß zur Aufgabe seines Bergstraßenlaufs gezwungen worden wäre; und um einen ähnlichen Vorgang (oder sollte es nicht gar derselbe sein ?) mag es sich bei der von Wagner angeführten Vermutung handeln. Nach Ansicht aller ortskundigen Geologen durchbrach der Neckar die Sanddünen unterhalb Ladenburgs, etwa in der Gegend von Seckenheim, durch seine eigene Kraft und ohne jegliches menschliches Zutun.
Die Frage nach der Zeit des Inkrafttretens des jetzigen Neckarlaufes trat in den letzten Jahren in ein neues Stadium. 1925 und 1928 wurden bei dem Philippshospital bei Goddelau im Ried Ausgrabungen vorgenommen und hierbei eine Pfahlbausiedlung wissenschaftlich festgestellt. Alle hierbei zutage geförderten Funde weisen ohne Ausnahme auf die Steinzeit und zwar auf das Spät‑Neolithikum hin. Die aufgedeckte Siedlung lag in einem damals schon verlandeten Neckarbette. und zwar waren nicht nur die Pfähle in die das Bett füllende Moorerde und unreinen Torfschichten eingelassen, sondern auch Fundstücke (Steinbeile, Steinmesser, Spinnwirtel, Gefäßscherben, Tierknochen usw.) lagen darin eingebettet. Da nun das fragliche Neckarbett bei Goddelau zu den jüngsten dieser Art gehört, so muß der Fluß schon im Spätneolithikum seinen Bergstraßenlauf aufgegeben haben. Professor Dr. Haupt, Darmstadt, der die Fundstelle bei Goddelau geologisch untersuchte, schließt den das Neckarbett betreffenden Abschnitt seiner Abhandlung mit den Sätzen:"wir können also mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß alle jüngeren Neckarbetten, die uns im Gelände mit deutlichen Uferrändern z.T. von oft 1 1/2 Meter Höhe entgegentreten, zur älteren Litorinazeit noch vom Neckar benutzt, in der jüngeren Litorinazeit aber früher oder später stillgelegt und nur noch bei Neckarhochwasser wieder in Funktion traten. In dieser Zeit muß also der Neckar seinen alten Bergstraßenlauf aufgegeben und sich ein neues Bett, ähnlich seinem heutigen Lauf, gegraben haben. Dies dürfte etwa um das Jahr 2000 vor Chr. geschehen sein, denn wie wir später sehen werden, finden sich dieFunde aus der Bronzezeit, soweit sie geologisch festgelegt werden konnten, an der Oberfläche der Schlickmassen,die wohl noch von den Neckarhochwässern abgesetzt wurden. Sie lagen also bei der Besiedelung schon trocken und bildeten sicher schon längere Zeit die Oberfläche, weil sie entkalkt sind. Der Neckarlauf längs der Bergstraße war nicht mehr". (Aus Notizblatt des Vereins für Erdkunde und der Hess. Geologischen Landesanstalt zu Darmstadt 1927, 5. Folge, 10 Heft. ‑ Denselben Gegenstand behandelt in archäologischer, geologischer und paläobotanischer Hinsicht eine Abhandlung von Behn, Haupt und Heil "Ein Pfahlbau der Steinzeit bei Goddelau" in Mainzer Zeitschrift, Jahrgang XXIII, 1928). Auf die Untersuchungen der Neckarbetten glaubte ich besonders hinweisen zu sollen, zumal diese Frage unser Thema auf das engste berührt, indem die Weschnitz, seitdem der Neckar bei Mannheim mündet, ein Nebenfluß des Rheins ist.
Wie schon vorher angedeutet, darf mit aller Bestimmtheit behauptet werden, daß sich die Weschnitz des verlassenen Neckarbettes bemächtigte, um so ihren Lauf fortzusetzen. Eine andere Möglichkeit des Weiterkommens bestand für sie vorderhand nicht, da ihr, wenngleich viel wasserreicher als heute, trotzdem die Stoßkraft fehlte, sich durch eigene Kraft aus dem Neckarbett herauszuarbeiten und einen neuen Weg zu bahnen. Über ihr weiteres Schicksal bestehen drei Möglichkeiten. Zunächst bestünde die Möglichkeit, daß sie in der aufgegebenen Neckarrinne weiterfloß und vereinigt mit dem Winkelbbach, der Modau und den Schwarzbach bei Trbeur in den Rhein mündete. Sodann liegt die Vermutung vor, sie habe in der Ebene durch Einsickerung einen großen Teil ihrer Wasserfülle verloren und mit dem Rest die zahlreichen älteren und jüngeren Neckarschlingen und ‑läufe ausgefüllt, ohne zu einem oberirischen Ablauf nach Norden die Kraft besessen zu haben. In diesem Falle könnte sie die Veranlassung zur Entstehung des Lorscher Sees, der zwischen dem Seehof und Hüttenfeld lag, gewesen sein. Zuletzt könnte angenommen werden, die Weschnitz habe das Neckarbett an einer nach Südosten gerichteten Schlinge durch Ablagerung ihrer Schotter im Laufe der Jahrhunderte überdeckt und sich somit eine Brücke zur Überquerung der Rinne selbst geschlagen. Welche der drei Vermutungen jedoch den größeren Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erheben kann, wird schwer zu entscheiden sein, da vorderhand keinerlei Beweise für den einen oder anderen Fall vorliegen.
Mit ähnlichen Schwierigkeiten ist die Beantwortung der Frage nach dem späteren Weschnitzlaufe verknüpft. Ein großer Teil desselben kann nicht mehr als natürlicher Wasserverlauf betrachtet werden; die an vielen Stellen und öfters auf eine größere Entfernung sich erstreckende fast schnurgerade Richtung, wie die der beiden Weschnitzarme, des Stückes von deren Zusammenfluß bis zur Wattenheimer Brücke (siehe unten) und ganz besonders von Klein‑ und Großhausen an bis vor Biblis, läßt deutlich die regulierende Menschenhand erkennen, denn die außerordentlich rasch wechselnde Höhenlage der einzelnen Geländepartien des Riedes, die häufig um einige Meter differiert, würde einen vielfach gewundenen Lauf bedingen.Über die sich auf viele Jahrhunderte erstreckenden Regulierungsarbeiten läßt sich vielfach kein klares Bild entwerfen, da die Verhältnisse durch die Beteiligung verschiedener Landesherrschaften sehr komliziert sind. ‑ Ob die in der "Reichenbacher Chronik" (des Pfarrers M. Martin Walther, herausgegeb. v.W. Diehl, 1901, Selbstverlag) Seite 103 erwähnte "Landwehr" mit einer solchen Verlegung des Weschnitzbettes im Zusammenhang steht, wie vermutet werden könnte, bleibt unsicher. Der betreffende Eintrag der Chronik lautet:"Umb und baldt nach Bartholomaei (24. August) 1620 ist Bensheim bei der Rimpforte starck verschantzt worden und nachmals umb die gantz Stadt ein Wall uffgeworfen, ein Graben oder Landtwehr von Bensheim an bis uf den Rhein hinein gemacht, darin die Bäch, so bisher uf Gernsheim gellauffen in gemeldten Graben geleitet; haben auch die Erbachische Unterthanen, die Reichenbächer und andere an der Landwehr graben müssen". Da es sich in Vorstehenden um eine Schutzmaßnahme gegen feindliche Überfälle handelt (in erster Linie zum Schutz des pfälzer Gebietes, das infolge der Verpfändung des Oberamtes Starkenburg von Kurmainz an die Pfalz 1563 im Norden bis an die Gemarkung Auerbach reichte, gegen die Spanier unter Spinola), die Weschnitz aber schon eine solche Landwehr in gedachtem Sinne bildete, so kann m.E. nur das bisher ungeschützte Stück der Nordgrenze zwischen Bensheim und der Wattenheimer Brücke in Frage kommen. Tatsächlich führt ein Graben, "der neue Graben" genannt, von dem Knie des Winkelbachs am Rinnentor (die Rinnpforte der Chronik) in Bensheim in westlicher Richtung bis zur Weschnitz, in die er bei der erwähnten Brücke einmündet. Dieser Graben, der also als "Landwehr" errichtet wurde, erhielt sein Wasser von dem Winkelbach, der somit nicht mehr bei Gernsheim in den Rhein floß, sondern durch den neu errichteten Schutzgraben in die Weschnitz. Die diesbezügliche Stelle der Chronik wird zweifellos so zu verstehen sein, daß durch Errichtung des erwähnten Grabens nunmehr eine ununterbrochene Landwehr von Bensheim bis zum Rhein geschafen war. Eine Verlegung der Weschnitz kam hierbei gewiß nicht in Frage.
Die Stelle an der Wattenheimer Brücke verdient besondere Beachtung. Die Brücke selbst, ein massiver Hausteinbau mit 2 Wasser‑ und zwei Unterpfeilern, macht einen altertümlichen Eindruck. Die Zeit der Erbauung konnte nicht festgestellt werden. Der Schlußstein des mittleren Bogens trägt auf der Südseite das Mainzer Rad, während sich das Wappen auf der Nordseite nicht mehr erkennen läßt, doch kann es sich nur um das Hessen‑Darmstädtische handeln. Das Vorhandensein des Mainzer Wappens zeigt jedenfalls, daß die Erbauung der Brücke in die Zeit nach dem Bergsträßer Rezeß vom Jahre 1650, der die Besitzfrage des Oberamts Starkenburg endgültig regelte, geschehen sein wird, da ein höheres Alter wohl nicht in Frage kommt. Wie die Brücke zu ihrem Namen gekommen ist, bleibt unklar, denn es ist kaum anzunehmen, daß er mit dem über drei Stunden entfernt liegenden Dorfe Wattenheim in Beziehung gebracht werden kann. ‑
Doch auch der Bach selbst verdient an dieser Stelle unsere Beachtung. Er ändert, kaum unter der Brücke hindurch, plötzlich seine Richtung und biegt nach Westen um; eine Sanddüne von 100 Meter absoluter Höhe versperrt ihm den Weg. Betrachtet man das umliegende Gelände von dem erhöhten Standpunkte auf der Brücke aus, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf, warum die Weschnitz sich nicht östlich wendet und eine dort in allernächster Nähe vorbeiziehende alten Neckarschlinge zum Weiterlaufe benutzt, wie es im Hinblick auf die Beschaffenheit des Geländes das Natürlichere wäre. Die Erklärung dieses Falles ist einfach: Wir sehen hier mit größter Deutlichkeit den Eingriff der Menschenhand in den Weschnitzlauf, durch den ihm die westliche Richtung aufgezwungen wurde.
Der gegenwärtige, fast allerorts den Eindruck einer künstlich angelegten Wasserstraße erweckende Weschnitzlauf durch die Ebene vollzieht sich in folgender Weise: In Weinheim teilt sich das Flüßchen in zwei Arme, die "Alte" und die "Neue Weschnitz", die beide, fast parallel nebeneinander in nordwestlicher Richtung das Ried durchfließen und sich oberhalb von Lorsch wieder vereinigen. Nun schlägt die Weschnitz nahezu nördliche Richtung ein, die sie bis zur Wattenheimer Brücke, etwa 1/2 Stunde unterhalb Lorsch gelegen, beibehält. Lorsch selbst kann sie einer dazwischenliegenden Sanddüne wegen nicht berühren. Von der genannten Brücke an wendet sie sich westlich, trennt Klein‑ und Großhausen von einander, fließt zwischen dem Lorscher und dem Jägersburger Wald hindurch bis Biblis, wendet sich hier nach Nordwesten und mündet unterhalb von Wattenheim, dem "Steinerwörth" gegenüber in den Rhein.
Kurz vor der Einmündung der Weschnitz lag früher die "Feste Stein" über die Wagner ("Die Wüstungen in Hessen", Darmstadt 1862) berichtet: "Vor dem Ausfluß der Weschnitz liegt die langausgedehnte Rheininsel Steinerwörth, die vormals dem Hochstife Worms (jetzt zur Gemarkung Nordhein) gehörte. Die Weschnitz fließt an der Grenze der beiden Gemarkungen von Wattenheim und Nordheim in den Rhein, und hier liegt an ihrem Ausflusse und dicht an ihrer linken Seite in Nordheimer Gemarkung, wo zugleich eine steinerne Brücke über die Weschnitz führt, eine etwa zwei Morgen große Stelle, welche "der Schloßbuckel" genannt wird, und wo sich noch halbverschleifte Wallgräben befinden. Hier stand einst die Festung Stein, etwa 1/2 Stunde nördlich von Nordheim. "Der Steinwald" liegt vom Schloßbuckel südwestlich und von Nordheim nordwestlich, nahe am Rhein. Im Jahre 806 wird in dieser Gegend im Lorscher Kodex eine "Villa Zullestheim" genannt, doch ist diese wohl nicht mit "Stein" identisch. "Stein" kommt 995 zuerst vor: In diesem Jahr verlieh Kaiser Otto III. dem Kloster Lorsch das Marktrecht für die Villa Steine iure Rheni fluvium; 1350 verspricht Bischof Salmann von Worms dem Pfalzgrafen Ruppricht I., dem Älteren wegen der "Vesten Ladenburg, Steine, Dirmesteynen und Schaddecke", keinen Schaden zufügen zu wollen. Zerstört wurde die Feste 1688 von den Franzosen die diese abbrannten und in einen Steinhaufen verwandelten. Aus einer Urkunde von Jahre 1699 (Hess. Stattasarchiv zu Darmstadt; siehe Abschnitt "Hochwässer" geht hervor, daß zu dieser Zeit dort noch eine Siedlung mit Namen Stein bestand, die jedoch, wie so mancher Ort am Rhein, längst verschwunden ist.
Nebenbäche
Von den Odenwaldflüßchen und ‑bächen greift das Gebiet der Weschnitz am weitesten in die Breite aus. Die Wasserscheide beginnt im südlichen Stadtteil von Bensheim, dem sogn. Griesel, und setzt sich in fast östlicher Richtung auf dem Zell‑Gronauer vom Schönberger Tal trennenden Höhenrücken über den Knodener Kopf und den Gebirgssattel zwischen Kolmbach und Gadernheim bis auf die Neunkircher Höhe fort. Hier biegt sie rechtwinklig nach Süden um, zieht über das Buch, die Lützelröder, den Schenkenberg, das Gumpener Kreuz und den Stotz nach Weschnitz, ersteigt hier den Kahlberg, wendet sich nach Südwesten, läuft auf der Höhe weiter und erreicht im Hammelbach den Trommrücken. Hier geht die Scheidelinie südlich über die Tromm und den als Kreidacher Höhe bekannten Sattel, steigt aufwärts nach Siedelsbrunn und Ober‑Abtsteinach, das sie in einem weiten nach Süden offenen Bogen umgeht. In ihrem weiteren Verlauf zieht sie über den Rücken zwischen Ober‑Abtsteinach und Löhrbach, über den Waldsknopf und den Hohberg nach Hilsenhain, an Bärsbach vorbei, das links bleibt, nach dem Eichelberg, über diesen, zwischen Ursenbach und Rippenweiher hindurch nach der Hohen Waid und von da nach Leutershausen, wo sie ihr Ende erreicht.
In der Natur der Landschaft liegt es begründet, daß der Weschnitz vor ihrem Eintritt in die Senke keine größeren Bäche zufließen können, da zur Entwicklung solcher der Raum fehlt. Erst unterhalb von Brombach ist dies möglich, und so nimmt sie denn auf: Auf der rechten Seite den Krumbach, den Schlierbach, den Lörzenbach mit dem Lauten‑Weschnitzer‑ und den Linnenbach, den Albersbach, den Bonsweiherer Bach, den Liebersbach und in der Ebene das Sulzbächel, den Hemsbach, den Kirschhäuser Bach, der in Heppenheim den Namen Stadtbach erhält und kurz vor seiner Mündung den Erbach aufnimmt, den Hambach und als letzten den von der Knodener Höhe kommenden zuerst Schliefenbach genannten, an Bensheim vorbeifließenden Meerbach. Auf der linken Seite den Kröckelbach, den Steinbach, den Hornbach, den Kallstädter Bach und den Grundelbach, sowie die die drei Sachsendörfer berührenden Bäche, die sich gewiß ehemals ebenfalls in die Weschnitz ergossen haben, jetzt aber von dem Landgraben aufgenommen werden, der unterhalb von Lorsch einmündet.
In früheren Zeiten führten einige der genannten Bäche besondere Namen, die z.T. frühere Verhältnisse widerspiegelten und es darum wert wären, der Vergessenheit entrissen zu werden. So hieß der Schlierbach "der Talbach", denn fast das gesamte von ihm durchflossene Gebiet bis unweit seiner Mündung bildete die zum pfälzer Oberamt Lindenfels gehörende Talzent. Der oberhalb von Scheuerberg entspringende Lörzenbach wurde von 1561 an der "Pfalzbach" genannt und zwar aus folgendem Grunde: Die an ihm gelegenen Orte Scheuerberg, Mittershausen und Mitlechtern gehörten ehedem zur Grafschaft Erbach, kamen aber 1561 mit Lauten‑Weschnitz zusammen durch Tausch gegen die Orte Gadernheim, Reidelbach, Lautern und dem erbachischen Teil von Reichenbach an die Pfalz, sodaß der Pfalzbach an dieses Ereignis eine Erinnerung bildet. ‑ Als "Gelichtsbach" wird der Lautenweschnitzer Bach bezeichnet, und man kann bei älteren Leuten aus der Gegend hie und da noch den Namen hören. Er wird wohl von dem mhd. Wort geliches = gleich, gleichmäßig, auch unterbrochen, seine Herkunft ableiten , und allem Anscheine nach wollte man damit eine Parallele ziehen mit dem Linnenbach, der ebenfalls bei Seidenbach entspringt, einen ähnlichen Lauf hat und wie jener in den Pfalzbach einmündet. Wagner (Beschreibung des Großh. Hessen I.), der den Gelichtsbach fälschlich mit Lörzenbach bezeichnet, schreibt (S. 148) von ihm: " Im alten Starkenburger Jurisdiktionalbuch wird gesagt: Wer den Krätz hat und badet sich in der Lörzenbach, der wird davon befreit, und wer ihn nicht hat und badet sich darin, der bekommt ihn". Der in vorstehendem Satze enthaltene Widerspruch läßt sich wohl auf die Weise aufklären, daß fälschlich der Lörzenbach und nicht der Gelichtsbach gemeint und auf die Beschaffenheit seines Wassers Bezug genommen ist, das damit teils als rein und teils als verunreinigt bezeichnet werden soll. Der Lörzenbach an sich ist ein klarer Gebirgsbach mit reinem Wasser und ebenso der in ihn einmündende Lautenweschnitzer (Gelichts‑) Bach. Der Linnenbach jedoch, der ebenfalls von dem Lörzenbach aufgenommen wird, fließt besonders in und unterhalb des gleichnamigen Dorfes, durch einen stark versumpften Wiesengrund, und die zahlreichen in den Bach hineingeleiteten Abzugsgräben führen ihm viel "faules", vom Raseneisenstein rotgefärbtes, schlammiges Wasser zu, von dem man anscheined in damaliger Zeit glaubte, "den Krätz zu bekommen". ‑ Als "Langenbach" wurde früher der Liebersbach bezeichnet, und der Flurname in Birkenauer Gemarkung "Auf der langen Bach" erinnert gewiß noch an diesen Namen.
Hochwässer
Auf eine Eigentümlichkeit der Weschnitz, die bei keinem anderen Odenwaldflüßchen so stark hervortritt wie bei diesem, muß noch hingewiesen werden, es ist der außerordentlich veränderliche Wasserstand, der nicht selten zu Hochwässern führt. Die Erklärung für diese Erscheinung liegt in der Beschaffenheit des Flußgebietes begründet und zwar einmal in der weiten Spannung desselben und sodann in der Höhe der die Wasserscheide umrandenden Berge. Bei langandauerden heftigen Regengüssen, oder bei plötzlich eintretender Schneeschmelze führen die zahlreichen, mitunter starken Nebenbäche der Weschnitz so große Wassermengen zu, daß sie diese fortzuschaffen nicht in der Lage ist und über ihre Ufer treten muß, was besonders an den Stellen der Fall ist, wo sich das Gefälle auf ein geringes Maß beschränkt, wie von Rimbach bis Mörlenbach und bei Birkenau. Daneben hemmen die zahllosen Krümmungen des Bachbettes den raschen Wasserablauf, und die niedrigen Uferböschungen begünstigen das Übersteigen derselben. Auch die Erlen‑ und Weidenbäume und ‑büsche, mit denen die Ufer beiderseits, und zwar in früheren Zeiten in erheblich größerem Maße als heute, eigefaßt waren und die ihre Wurzeln weit ins Wasser vortrieben, bildeten für den ungestörten Abfluß des Wassers ein bedeutendes Hindernis und gaben zu Stockungen Veranlassung. Wohl wurden im Laufe der Zeit an besonders gefährdeten Stellen Regulierungen vorgenommen, wie z.B. der Gewannname oberhalb von Birkenau "Auf der alten Bach" beweist, oder es wurden die Bäume an den Ufern entfernt ‑ allerdings nicht zum Vorteil des Landschaftsbildes ‑ ; doch wird sich die Hochwassergefahr auf diese Weise nur abschwächen, niemals aber ganz beseitigen lassen können, eben aus den oben angeführten Gründen. Daß sich die Weschnitzhochwässer in früheren Zeiten besonders schwer in der Ebene auswirkten, liegt in der Natur der Sache, doch sei hiervon später die Rede.
Über die Größe der Wassermengen, die bei solchen Hochwässern unser Tal schon durchfluteten, gibt uns eine in Weinheim, Birkenauertalstraße Haus Nr. 87, angebrachte Tafel mit den Wasserstand der Hochflut des Jahres 1663 Kunde, und obgleich mir nähere Einzelheiten darüber fehlen, bietet uns der nachfolgende Hochwasserbericht vom Jahre 1732 eine Handhabe, die 1663 entstandenen Schäden und Verwüstunen auszudenken. Der genannte Bericht, abgefaßt von dem damaligen Birkenauer Pfarrer, mag hier, von einzelnen Kürzungen abgesehen, wörtlich folgen: Ao 1732 Festo Michaelis haben wir allhier auch eine große Wasserfluth gehabt, wie solche in Franken, an der Tauber, Main, Neckar und anderen Orten gewesen und großen Schaden getan ....Als es an bemeldeten Michaelistage von frühmorgens an beständig geregnet, so lief die Bach zusehens an, sodaß man nach der Frühkirche mit großer Not konnte über den Centsteg (=mittlere Brücke) kommen. Um 3 Uhr Nachmittags hörte zwar der Regen auf, allein das Wasser stieg immer höher, tobte und brausete dergestalt, als ob es unten donnerte und die Erde erschütterte. Nach 4 Uhr kamen die Bäume vom Schafssteg (=oberste Brücke), dann auch von der Brücke bei Reußen, eingleichen eine ganze Wand und Giebel von einer Scheuer zu Mörlenbach, ferner viel Klötzer, Planken, ander Holz, etliche Wagen voll Kürbse, Rüben, Krumet usw. angetrieben, welches alles sich an dem Centsteg anlegte darauf solchen aus dem Fundament mit seinen sehr starken steinernen Pfeilern fortriß, dem folgte darauf die Brücke unterm Dorf (=unterste Brücke) und die an der Bonnschen Mühle (= jetzige Kammfabrik. Weil nun das Wasser die ganze Spitz bis in die Landstraße, wie auch diesseits alle Almen‑Gärten, den Dorn‑Weg, das meiste in der frohen Hoffen (wahrscheinlich ist hierunter der Fronacker am großen Falltor zu verstehen) usw. hatte überschwemmt, so war es auch in den schönen herrschaftlichen Garten eingedrungen und riß um 5 Uhr an 3 Orthen die starke Mauer bei 4 Fuß hoch ein. Über 3 Schuh hoch hat es darinnen gestanden und sehr großen Schaden verursacht. Da nun, wie gedacht, der Regen aufgehört und das Wasser anfing zu fallen, bekamen wir gute Hoffnung, daß es mit diesem Unglück auf diesmahl würde genug sein. Allein weit gefehlt. Um 7 Uhr fing es wieder an heftig zu regnen, anbey gegen Osten entsetzlich zu blitzen und zu donnern, da dann das Wasser wieder hoch anwuchs. Gegen 9 Uhr wurde des Peter Jakobs sein an der Kirchofmauer neu erbautes Häusgen aus dem Grund fortgerissen, bald darauf folgte des Christian Bischoffs sein Haus, dann das Hans Michael Schönherrs (jetzt Wirtschaft und Bäckerei des Joh. Peter Eberle) seine Stallung, welche bei 30 Schuh hoch hinab stürzte. Nachdem vorher des Adam Brechts seine Gartenmauer und der an der Weschnitz gewesene Fahrweg samt dem hohen Rain mit allen darauf stehenden Bäumen, bei 12 Schritte breit war unterminiert und weggeführt worden. Um 10 Uhr mußte auch die über 20 Schuh hoch und mit starken Strebe‑Pfeilern versehene Kirchhofmauer daran, welche bei 90 Schuh lang aus dem Fundament ausgehoben und mit grausamen Krachen umgeworfen, auch vom Kirchhof über 10 Schuh breit mit fortgerissen wurde .... Um 11 Uhr wurde des Paul Schabs sein Haus und Mühle (Dengers‑Mühle) mit entsetzl. Geprassel umgeworfen. Da erhub sich ein erbärmliches Geschrey im Dorf, dieweil jeder meinte, es wären etliche Personen umgekommen, denn da man wohl gesehen, daß die Mühle würde Noth leiden, hat man 1 Stunde vorher angefangen, die Frucht und andere Mobilien zu solvieren, wobei bei 20 Männer geholfen. Aber, Gott sei Dank, waren alle heraus, da der Sturz geschah. So endigte sich mitten in der Nacht der betrübte Michaelistag, dessen Gedächtnis billig mit blutigen Thränen auff die Nachkommen soll und muß gezeichnet werden ..... Als der Morgen angebrochen, sah man auch die Greuel der Verwüstung unterhalb des Dorfes, denn an manchen Orten hatte der Fluß einen ganz andern Lauf genommen, mehr als 20 Morgen Acker und sehr viele Aliment‑Gärten ruiniert, das hohe Gerichte (= der Galgen) umgeworfen, das ganze Wehr an der Bonnischen Mühle ausgehoben und bei 20 Schritt lang die Mauer an dem Mühlgraben weggeführt, an der Walk‑Mühle ein großes Stück Mauer eingerissen. Als etwas sonderliches ist noch zu merken, daß die ungestüme Fluth einen sehr großen viele 100 Zentner schweren Stein aus seiner Lage ausgerissen und bei 10 Schritt mit fortgewälzet und in die Höhe gestellt, wie solcher noch zum Zeugnis steht und zu sehen ist (jetzt allerdings nicht mehr). ‑ Was solche Fluth in der Weinheimer Gemarkung für Schaden angerichtet ist nicht zu beschreiben. Der ganze Weg von hier bis Weinheim war so ruiniert, daß solcher nicht mehr zu passieren war. Alle Wehr an den Mühlen waren ausgehoben und Mühlgräben gänzlich verdorben. An der Keglers Mühle (= obere Fuchssche Mühle) waren die Schneid‑ Öhlmühlen und das Brauhaus aus dem Grunde mit fortgerissen, die schöne und starke steinerne Brücke beim Adler in Weinheim ist aus dem Grunde ausgehoben worden, die ganze Hintergasse ist unter Wasser gestanden. Im summa, diese Wasserfluth hat entsetzlich und unbeschreiblich Schaden getahn. Gott behüte uns vor dergleichen hinkünftig in Gnaden. Von der Cent allhier ist beliebet worden, alle Jahre den Michaelistag als einen großen Buß‑, Bet‑ und Fasttag zu celebrieren". ‑ Die in vorstehendem Bericht angeführten Beschädigungen der Mühlen im Birkenauer Tal finden wir bestätigt in "Zinkgräf, Die ehrbare Bäcker und Müllerzunft zu Weinheim", wo wir (S. 114) bei der Seitzenmühle (untere Hildebrandsche Mühle) den Eintrag finden: "1733 am 2. September ist den Müllern auf der Weschnitz, weilen die Mühlen durch die große Wasserflut ruiniert worden, von der Herrschaft nachgelassen: Mengessemühl 5 fl", bei der oberen Hildebrandschen Mühle lesen wir daselbst:"Müllermühl 4 fl. und bei der oberen Fuchsschen Mühle: "Hoppemühl 3 fl.". In dem gleichen Buche scheint ein anderer Eintrag bei der Seitzenmühle auf ein weiteres Hochwasser hinzuweisen: "Dagegen fordert das Mühl und Hausgebäu, wie Wehr und Wassergebäu das uns unmöglich ist, weilen das Wasser zu Zeiten so ungestüm wild und großen Schden verursacht, so 1702 allein 80 Gulden". Es dürfte somit für das Jahr 1702 ebenfalls ein solches vermutet werden, wenn auch von kleinerem Umfange.
Hochwässer von solch gewaltigen Ausmaßen wie 1663 und 1732 scheinen bis heute nicht wieder vorgekommen zu sein, wenn auch die Weschnitz noch gar manchesmal stark anschwoll und über ihre Ufer trat, wie z.B. in den Jahren 1859, 1869 und 1909. Unter diesen dreien war das Hochwasser im Jahre 1859 das bedeutendste und die Birkenauer Kirchenchronik berichtet darüber: "Ähnlich dem großen s. g . Michaelishochwasser 1732 hatte die Gemeinde am 11. Juni, dem Tage vor dem hl. Pfingstfeste, eine schwere Heimsuchung zu bestehen. Bei nicht sehr heftigen Regen fing in der Nacht vom 10. auf 11. Juni die Weschnitz mit unglaublicher Schnelligkeit zu steigen an, sodaß schon in der Frühe des Morgens die derselben zunächst wohnenden Leute das Vieh aus den Ställen treiben mußten. Dabei schwollen ebensoschnell die Nebenbäche an, und ob auch gegen Mittag der Regen nachließ, so stieg das Wasser immer höher und höher. Quellen, dicker als ein Arm kamen von dem Bergen zwischen den Felsen hervor, wo man früher nie etwas von solchen gesehen hatte, wie z.B. in Kallstadt in dem Kuhstall des Beigeordneten Reinig. Immer höher schwoll die Flut, und zu den Balken und Bäumen, selbst Türen, die Leute gesehen haben wollen, die hier im Ort die Brücke passierten, gesellten sich bald mehr hier aus dem Ort selbst. Schon um 7 Uhr des Morgens war die sonst so friedliche Kallstädter Bach so angeschwollen, daß das Wehr zu der Mühle von Denger am Ende der sog. Pfarrwiese verschwunden war und mit donnerähnlichen Getöse die Felsen weiter rollte. Es dauerte nicht lange so mußten die Leute ihre Häuser, die zunächst an der Brücke in der Untergasse lagen, verlassen, und kaum waren sie geflüchtet, so stürzten zwei Häuser, das von Sedewitz und das von Adam Brehm zusammen. Nur mit Ketten konnte, nachdem die Brücke sehr beschädigt und vieles Gelände weggerissen war, ein drittes Haus gerettet und das sog. Judenbad erhalten werden. ‑ Wie hier so ging es auch den Filialen. Verheerungen an Häusern und Ländereien in Ober‑Mumbach, in Gorxheim, in Kallstadt und fast nirgends war mehr eine Brücke über die sonst so unschuldigen Bächlein zu sehen. Die Berge fingen an sich zu lösen und an manchen Stellen war selbst die Chaussee nach Weinheim durch den heruntergerutschten Rain zwei Tage nicht zu passieren. Menschenleben waren nicht zu beklagen."
Daß in den letzten 2 Jahrhunderten keine solch gewaltigen Hochwässer mehr vorkamen wie in früheren Zeiten, deutet auf eine beträchtliche Verminderung der Wassermenge des Baches im allgemeinen hin, und wir gehen gewiß nicht fehl in der Annahme, diese Erscheinung der immer weiter um sich greifenden Ausrottung der Wälder zuzuschreiben. Wurden doch z.B. in Birkenauer Gemarkung allein im Jahre 1804 nicht weniger als 100 Morgen Wald urbar gemacht, und bei Reisen war der ganze Berg zwischen dem Ort Nieder‑Liebersbach im Jahre 1741 noch mit Wald bestanden, der ebenfalls schon längst verschwunden ist. Und so können wir überall eine gewaltige Abnahme der Wälder feststellen, was auf die Wasserfülle der Weschnitz nicht ohne Einfluß bleiben konnte, denn der Wald ist der Ernährer der Quellen.
Es wurde schon erwähnt, daß sich die Hochwässer besonders schwer in der Ebene ausgewirkt haben mußten. Die Ursache liegt einmal in dem kaum nennenswerten Gefälle, sodaß der vorher so munter dahineilende Gebirgsbach bei seinem Eintritt in die Ebene in eine träge fließende Wasserader verwandelt wird; sodann aber besonders auch darin, daß ihre Flußsohle stellenweise, ihr Spiegel aber öfters höher liegt als das umgebende Land. Dieser Umstand führte, und zwar gewiß schon recht früh, zur Errichtung von Schutzdämmen auf beiden Ufern während ihres gesamten Laufs durch das Ried bis zur Mündung. Als Jahr des Aufwurfs der Dämme an den beiden Weschnitzarmen von Weinheim bis Lorsch gibt Dahl (S. 166) 1771 an und teilt dabei weiter mit, daß "zugleich die beiden Kanäle durchaus auf 32 Schuh breit erweitert worden sind." Jedenfalls, aber war die Weschnitz, d.h. der alte Arm, schon viel früher mit Dämmen versehen worden, denn aus dem Jahre 1265 wird berichtet, daß der Erzbischof von Mainz den Lorscher Bruch, d.i. die Stelle zwischen dem Lorscher See und der Weschnitz, eindämmen ließ, was gewiß durch Errichtung von Schutzdämmen an dem Bach geschah.
Welch große Sorgfalt zu allen Zeiten auf den ungestörten Wasserabfluß gelegt wurde, geht aus einer Reihe von Bachordnungen, Instruktionen und Erlassen hervor, von denen einige hier mitgeteilt seien: "Bachordnung wegen der Waschnitz de anno 1562 .....Demnach die Waschnitz von der Wattenheimer Brücken bis zu Ende der Großhauser Gemarckung viel Krümme und Bögen hat, an denen sich der Bach stoßet, den beyden Ufern Schaden thut, in ihrem richtigen Lauf nicht gehaben kann, so haben wir mit beyder Gemeinden Gesandten gutwilliger Zulaß, vor ratsam und nützlich angesehen, daß die ietzt bemelte Bögen und Krümmen zu beyden Seiten, uff ein zimbliche richtige Schlichtung sollen gestochen werden ..... Zum zweiten soll die Bach von Anfang bis zu Ende der Großhauser Gemarcken durchauß zweyer Meßruthen, daß seind dreißig zween Werkschue haben und behalten. Zum Dritten haben wir auch die über Baue beiderseits besehen, dieselbig abzuschaffen befohlen, und uff der landgraffischen Seiten (d.i. das rechte Ufer, das linke war mainzisch) sonderlich die Bach an und uff ihren alten Gestaten oder Ufer gewießen, und denselben ufer oder Gestaten mit siebenzig fünff hölzernen Plöcken von Anfang biß zu Ende der Großhauser Gemarckung also richtig verplöcken und zeunen (= Zäunen) lassen, daß über solche Plöcke nun hinführo an, kein Uffstößer (=Angrenzer) etwas bauen, legen oder anrichten soll, dadurch der Gestadt geschmelert und die Bach ihren richtigen Lauff nicht gehaben könnte .... Zum Fünfften sollen die Landgräffischen Unterthanen die gemelte Bach jährlich fegen und neu auswerfen oder außführen das Kummers (Kummer = Bauschutt) und Unreinigkeit der Bach sich der Außweisung der vorgeschriebenen ersten Articuls gemeß halten, nemblich das beyde Ufer sogleich erhöhet und darin kein Gefehrlichkeit gefüret werden."
Ein weiteres diesbezügliches Schriftstück (Staatsarchiv zu Darmstadt, wie das vorige) trägt den Titel "Extract aus Herrn Regierungs Rath Krebßen und Herrn Rath Paßer Relation von 18. Juli 1696" und lautet: "Übrigens ist beiderseits vor gut befunden, daß obgedachter Bach die Waschnitz genannt, geräumt, und ihre gehörige Tieffe und Weitung nemblich oben 37 und unten 24 Schue, und ist jeder Seiten eine Meßruthen der Bachordnung und denen in der Bach befindlichen Steinen und Pfählen gemäß gebracht, hinkünftig kein Unrath mehr darin geworfen auch von einem oder andern Teil einseitig keine Weiden oder ander Gehölz an die Ufer eingepflanzt, sondern solche Einpflanzung entweder gänzlich unterlassen, oder doch den Fluß in seinem rechten Gestade zu continuiren, auf beiden Seiten geschehen, und alsdann gleichwohl jedes Jahr das aufgewachsene und über den Fluß hangende Gesträuch, so den Lauf des Wassers hinderte und selbiges auß dem Gestade uf die angelegene Güther schwellete, abgehauen werden solle."
Ähnlichen Inhalts ist ein "Extractus aus der Instruktion vor den Cammerrath und Landschreiber Zürth, sodann Centhmeister Plus zu Dornberg von 14 Marty 1699: Nachdem der Anfang mit der Waschnitz gemacht werden wird, so sollen unser Deputierte denen andern aus dem Vertrag de anno 1579 die Remonstration (Gegenvorstellung, Entgegnung) thun, daß die Einwohner von Bibloß gehalten sind, ihre Kühe, Brücke, die Waschnitz, und den haubt Teich (=Deich, Damm) dermaßen zu versehen und in Bau zu halten damit durch dieselbe das Wasser aus der Waschnitz, auf die Bibloßer und einfolglich auch die Groß‑Rohrheimer, und anderer unserer Unterthanen Felder nicht kommen, sondern stracks in den Rhein geführet werden möge, auch daß die vom Stein, Northeim und Wattenheim und Klein Rohrheim zu Hanthabung ihrer Teich und Gräben auch angehalten werden sollen ‑‑‑."
Aus all diesen Schriftstücken, von denen noch eine Unmenge ähnlichen Inhalts vorhanden ist, läßt sich die peinliche Sorgfalt erkennen, die man auf die Instandhaltung des Bachbettes verwandte, um ein Übersteigen des Wassers über die Ufer zu verhindern. Zweifellos stehen damit auch die zahllosen im Laufe der Jahrhunderte ausgeführten Bettregulierungen im Zusammenhang und die Anlage der sog. "Neuen Weschnitz" erfolgte sicherlich ebenfalls nur aus dem Grunde, eine weitere Rinne zu schaffen, um die Wassermengen bei Flutzeiten zu teilen und ihnen einen leichteren Abfluß zu ermöglichen.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Fröhliche und nachdenkliche Episoden
Birkenau. Kaum jemandem ist bekannt, dass der Birkenauer Ortsteil Kallstadt vor 100 Jahren ein reges geschäftliches Leben und sogar eine gut frequentierte Gaststätte hatte, schreibt Günter Körner, Gemeindearchivar der Gemeinde Birkenau. Eine frühe Ansichtskarte klärt auf: „Gasthaus im Kallstädter Tal von Ludwig Quenzer, Kallstadt, Post Birkenau.“ Sogar in Reimform wurde geworben: „Den Durst stillt Bier und guter Wein von Äpfeln und von Trauben. Auch gute Betten, weich und rein, sind da, Ihr dürft mir’s glauben!“ In der Gewerbeanmeldung ist der offizielle Name der Gaststätte zu erfahren – „Schildwirtschaft zum Bachebergen“.
Zum „Quenzer“, wie die Bevölkerung diese Gaststätte nannte, lag an der Landstraße zwischen Birkenau und Löhrbach, heute das Gehöft vor dem Landhotel „Lammershof“. Eine Anzeige wirbt für eine Tanzveranstaltung im Vorfeld von Fastnacht am 30. Januar 1909. Im Jahr 1912 ist von einem Maskenball die Rede. Auch unter dem Jahr fanden öfters Tanzveranstaltungen statt.
Gäste treten in „Bierstreik“
Im August 1910 wurde der Bierpreis erhöht, 0,3 Liter kosteten 10 Pfennige, 0,4 Liter 12 Pfennige und 0,5 Liter 15 Pfennige. Nur zwei Wirtschaften in Birkenau hielten zunächst den alten Preis.
Wenn man damaligen Berichten Glauben schenken darf, traten Gäste in einen „Bierstreik“, der allerdings nach kurzer Zeit abgebrochen wurde. 1909 muss es zwischen Maria Quenzer, der Ehemann war verstorben, und einem Gast zu einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung gekommen sein. Der beteiligte Löhrbacher zahlte wegen Beleidigung 3 Mark in die Waisenbüchsenkasse von Löhrbach.
Am 20. Oktober 1913 kam es zur Katastrophe, die Gebäude und Wirtschaftsgebäude brannten bis auf die Grundmauern ab. Bereits im November wurde der Regierungsbaumeister Knaup mit der Neuplanung beauftragt. Offenbar genügte erst der vierte Plan den Ansprüchen der Auftraggeberin. Bereits am 4. Juli 1914 erschien eine Anzeige „Wegen der Einweihung der neuen Wirtschaft in Kallstadt von Ludwig Quenzer“, fortan führte der Sohn die Geschäfte.
Die Gaststätte wurde ab Mai 1915 bis Februar 1920 an Adam Böhm, verpachtet. Danach wird 1931 Marta Müglitz als Pächterin erwähnt. Zwei Innenansichten aus den 1930er-Jahren nennen „M. Goerkes Gaststätte in Kallstadt-Birkenau“. Die Gaststätte hatte demnach einen offenen Kamin, 50 bis 60 Sitzplätze und auf den Tischen standen Blumen. Im hinteren Bereich des Gebäudes war ein Tanzsaal mit 90 Quadratmetern. Der damals moderne Ausschank war staffiert mit Weinflaschen, einer Preisliste und verschiedenen Bierreklamen, heute wäre es eine perfekte Nostalgiegaststätte, schreibt Körner.
Eine Begebenheit erinnert an die unselige Naziherrschaft und den Umgang mit Menschen, die nicht genehm waren. In Löhrbach wohnte eine alleinerziehende französische Staatsangehörige mit Kindern im Alter von einem halben, 3, 7 und 8 Jahren. Sie geriet immer wieder mit ihrem alkoholsüchtigen Vermieter in Streitigkeiten und sollte deshalb zwangsgeräumt werden. Der Löhrbacher Bürgermeister fragte wohl bei jedem infrage kommenden Vermieter im Ort nach, ob er für die Frau mit ihren Kindern Wohnraum hätte. Die Suche verlief ergebnislos. Am 26. September 1936 morgens um 4 Uhr wurde die Familie zu Maria Quenzer nach Kallstadt gebracht, die einige Räume für 3 Mark Wochenmiete zur Verfügung stellte. Weiter heißt es in einem Schriftsatz: „Frau X. ist bekanntlich Französin, soll demnächst sterilisiert werden. Hiergegen sträubt sie sich mit allen Mitteln, und behauptet, die deutschen Gesetze hätten für sie keine Gültigkeit. Ich beantrage das hiermit, sollte sie nicht einverstanden sein, so sollte umgehend der Abtransport nach Frankreich erfolgen.“
„So war die Gaststätte ,Quenzer‘ ein beliebtes Ausflugslokal, das lustig-fröhliche Episoden, aber auch Nachdenkliches erlebte“, schreibt Körner. Das Gebäude selbst wurde 1941 veräußert und dient heute Wohnzwecken und hat sein Aussehen seit dem Neubau 1914 nicht verändert.
Blick zurück: Gaststätte Ludwig Quenzer im Kallstädter Tal bestand von 1909 bis um 1940 an der Landstraße zwischen Birkenau und Löhrbach
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
-
Aus Schimbachs Vergangenheit
Vorbemerkungen:
1. Schimbach ist ein kleiner, am oberen Ende eines Seitentälchens der Weschnitz gelegener Weiler, der schon 1407 churpfälzisch war und auch bis 1803 bei der Pfalz verblieb, in welchem Jahre er an Hessen kam. Schimbach bildet jetzt keine selbständige Gemeinde mehr, sondern gehört zur Gemarkung Reisen bei Birkenau. Vor 100 Jahren besaß es nur 4 Häuser mit 52 Einwohnern, von denen 31 lutherisch, 20 katholisch und eine Person reformiert war.
2. Das Wort Weistum kommt von weisen = zeigen. Während in früheren Zeiten die Verpflichtungen der Untertanen den Landes‑ bzw. Lehensherren gegenüber jenen gelegentlich der Volksversammlungen oder ähnlichen Gelegenheiten von Zeit zu Zeit mündlich vorgetragen wurden, schrieb man diese, besonders vom 13. und 14. Jahrhundert an, auf, und man nennt solche Urkunden "Weistümer", weil sie "das Recht weisen". Diese Weistümer enthielten in der Regel die politische Zugehörigkeit des Ortes, die Ausübung der hohen und niederen Gerichtsbarkeit, die Fronden, die Zehnten, sowie die übrigen Abgaben in ihrer mannigfaltigen Gestalt.
3. Bei der Abschrift des Originals werden wohl Fehler unterlaufen sein, da die Schriftzüge nicht immer leicht zu entziffern waren und eine Überprüfung nicht stattfinden konnte.
4. Die eingeklammerten Angaben sind im Original nicht vorhanden.
5.Das hier abgedruckte Weistum läßt sich in den Schulen gut verwerten, da es ein anschauliches Bild von den Abgaben der Bauern darstellt, zumal diese Abgaben in allen churpfälzischen Orten gleich waren.
Das Weistum Schümbach
Obrigkeit zu Schümbach.
Ober gemelter Flecken, wie auch ihrer Gemarkung ist Pfalzgraf Churfürst allein regierend Eigentumb. Er hat alle Regalia (Hoheitsrechte), hohe und niedere Obrigkeit, Gebodt, Verbodt, Frevel, Straff und Bußen, wie solches hernach von Articulen zu Articulen unterschiedlich beschrieben folget.
Item Schümbach ist centhbahr zu Waldmichelbach, giebt auch Centhrichter dahin, und alles das jenige zu thun schuldig, so der Centh daselbsten angehörig.
Malefitz und Halßgericht
Wann ein Übeltäther in diesem Flecken begriffen wird, wird solcher einem jeden Landschreiber zu Heidelberg überlieffert, und ferners nach Beschaffenheit zur Centh überschicket.
Wer Schultheißen und Gericht zu setzen und zu entsetzen und ihm gebieth (?) zu machen habe. Solcher Ort ist Churfürst, Pfalz allein zuständig. Schatzung und Türckensteuer; auch Raißen (Reisen) und Musterung belangend.
Werden die Unterthanen von Churfürstl. Pfaltz gleich andern daselben angehörigen Unterthanen in Schatzung belegt, welcher hernacher einem Landschreiber zu Heidelberg gelieffert werden muß. Die Raiß und Musterung hat Churf. Pfaltz solches auch mit ihnen zu exerciren (üben).
Umgeldt und Weinschank.
Befallet nicht, weil sie ohne einen Würth seind
Einzug
Dieserorts ist Herkommen, wann eine fremde Mannsperson alda einzeugt, muß dieselbe Churf. Pfalzt geben 3 fl. (Gulden) und empfang die Gemeind auch 3fl.
Auszug
Welcher außer dießen Flecken unter fremder Herschafft zeugt, ist Churf. Pfaltz den 10. Pfennig zu geben schuldig, so er aber in der Pfaltz bleibt, ist er daßelbig frey, wie von alters Herkommen.
Greuell, Straff und Buß
Alle ......... Handlung und Bußen, so in vorbemelten Flecken und Häuser sich begeben und zu tragen, hat Churf. Pfaltz allein zu thädig(en), doch werden die Frevel auff der Centh zu Waldmichelbach, durch das Ambt Heidelberg besetzt gethädigt.
Leibeigene, so zum Hauß Waldeck (sieh Anm. am Schluß) gehörig, was dießelbig schuldig und was von ihen geleistet.
C. Geld an Laibaigenen Leuthen, genand Leibsgeld, die seyen gesessen wo sie wollen, folgendermaßen gelieffert wird, geht ab und zu und geht ein Mannsperson ... 18 Pfg.
Leibsgeld von Mannspersohnen zu Schümbach
Zinßmeister Antonius Lammer; Balthasar Schneider ... 18 Pfg.; Hans Hein, Schultheiß ... 18Pf
Folgende Mannpersonen gehören in das Amt Starkenburg: Michael Thomann (?)
Weibspersohnen zu Schümbach.
seind der Leibes Hühner, weilen sie im Amt wohnen, befreyet.
Catharina, Michael Thomanns Frauen: Kindter:Margaretha, Catharina und Hans ‑ Anna, Balthasars Schneiders Frauen: Kindter: Ottilia, Agatha.
Folgende Weibspersohnen gehören in das Amt Lindenfels
Anna, Jörg Mengen Frauen: Kindter: Anna, Gertrude, Agatha, Catharina, Ottilia, Elisabetha. ‑
Catharina, Bastian Schaben Frauen. Kindt: Jörg
Hauptrecht‑Thädigung.
Von allen nechst (?) Specificaten und dergleich Leibseigenen Leuthen, Manß und Weibspersonen, wird, wann solcher eines verstirbt, das Hauptrecht bey churf. Pfaltz gethädiget, nach demo die verstorbene Persohn etwa ein Nahrung hinterlassen.
Hauptrecht und Wallmahl (?)
Alle die jenige, so zu Schümbach wohnen, seind churf. Pfaltz nach ihrem Todt verfallen, als nemlich ein Mannspersohn zu Hauptrecht den besten Ochs und die Weibspersohn zum Wallmahl die beste Kuh, oder Kleidt, und müssen die nechste Erben der Verstorbenen außer Centh vor dem Amt solches thädig, nachdemo die Nahrung von ihnen verlassen.
Kirchen Satz
Der Endts hat es keinen eigenen Pfarrer, sondern pfarren nach Mörlenbach.
Bastartfäll und Wildfäng
Die Bastartfäll, wie auch die Wildfäng haben churf. Pfaltz auch im Herbring und da sich deren Begeben werden, solche eingezogen und verrechnet.
Weg‑ und Stegerhaltung
Solche werden von einer Gemeind im Flecken ohne Pfaltz zu thun erhalten.
Große Zehnde
Den großen Zehnden haben die Landschaden zu Steinach und das Kloster Lorsch zu empfangen und hat daran Landschad 2 Teil und Lorsch 1 Teil.
Klein Zehnde
Solchen empfanget die Pfarr zu Mörlenbach.
Ständige Habern, genannt Hueben Habern
Und wird zu jedem Malter ein Viernzel gestrichen und drey gehaufft gemessen, wie Keller auch Renovator berichtet.
Item 16. Sept. ließen (?) die Schümbachische Unterthan von allen ihren Gütern Huben im Schümbacher Gemarkung gelegen, wird durch den Schultheißen umgesocht folgendes auf Martini eingesemblet, einem Keller zu Waldeck überlieffert. Haben ihr Maß zu lieffern und nicht Heidelberger Maß, wie es dann zu etlich unterschiedlich Mahlen zu Waldeck und Heidelberg mit dem Waldmichelbacher Maß gelieffert haben, dann sie zu Schümbach der Centh Maß haben, und brauchen auch dasselbige Mäß zu euch zu Waldmichelbach, daß seind die Schümbacher auch zu lieffern, wo sie wohnen, wie zu Maß schuldig sein und gelieffert haben.
Frohndienst
Seind die Frohndienst befreit vermög Herkommens.
Viehetrieb der Gemein
Sie treiben ihr Viehe auf ihre eigene Wäldt und Gemarkung.
Fasel Viehe Erhaltung
In dem oft geml. Flecken wird der Fasel in allerhand Viehe ohne Pfaltz zu thun erhalten.
An die Mumbacher und an die Reißener. Ständige Beethgebot, genannt Martinsbeeth
Item 2 fl. 23 alb. geben die Schümbacher Unterthanen von allen ihren Güthern, so sie der Orths haben. Werden Jahrs vom Schultheißen umbgesagt, folgendes auf Martini gesamblet, und einen Keller zu Waldeck überliefert.
Ständige Gelt, genannt Frohngeldt
Item 9 Alb geben die Schümbachische Unterthanen zu Frohngeldt, wird Jahrs von Schultheißen umbgesagt, folgendes auf Martini gesamblet, und einen Keller zu Waldeck gelieffert.
Ständige Gelt von der Schafwaidt
Item 6 1/2 Alb. geben die Schümbachische Unterthanen von der Schafwaidt, wird Jahrs (wie vorher)
Ständige Martins Zinß
Item 3 Alb. Jörg Meng von seinem Hofstatt, beforcht an 4 Orthen mit seinem Eigentumb, wie abgesteint ist, giebt auch 4 Coppen
Ständige Gänß uff Margaretae von den Hueben
Item 16 Gänß lieffern dieselben von ihren Hueben im Flecken gelegen, wird durch den Schultheißen eingesamblet und einem Keller überlieffert.
Daran giebt: Jörg Meng ... 10 Stück; Bastian Schab .... 1 Stück; Bastian Thomann ....2 Sück.
Ständige Coppen auf Margaretae fällig
Item 4 Coppen Jörg Meng von seiner Hofstatt, beforcht an 4 Orthen mit seinem eigentumb, giebt auch 3 Alb.
Faßnachthühner
Item 9 Hühner gefallen dieß 1612 Jahrs des Orthe zu Fastnacht Hühner von so viel Hofstätten und Häußern, jeden eins, und da dran an diesem Orth mehr erbauet werden sollten, fallt allwegen auch davon ein Fastnachtshuhn.
Ständig Sommer Hahnen
Item 16 Sommerhahnen lieffern die Schümbachische Unterthanen von allen ihren Gütern und Hueben gelegen des Jahrs, durch den Schultheißen eingesamblet, und einem Keller zu Waldeck überlieffert.
Extrahiert auß der Kellerey Waldeck, Schloßbuch zu Heidelberg, den 1. May 1714 Most, A. Keller.
Anmerkungen:
1. Die Burg Waldeck stand bei Heiligkreuzsteinach und wird 1301 zum erstenmal genannt und zwar als Besitz der Herren von Strahlenberg auf der Strahlenburg bei Schriesheim a.d.B.. Anfänglich gehörten nur die 5 Orte Eiterbach, Heiligkreuzsteinach, Altneudorf, Langenhahn und Bersbach dazu, während Schimbach, damals Schimpfbach genannt, erst seit 1407 als Waldecker Lehen genannt wird. Näheres über Burg Waldeck in Weinheimer Geschichtsblätter Nr. 3, 4 und 5,6,7,.‑
Autor: Rektor J. Pfeifer
27.2.2023
27.2.2023
-
Ein Gruß aus Buchklingen
Buchklingen. Ab dem Jahr 1895 taucht die Gemeinde Birkenau mit ihren Ortsteilen als Motiv auf Postkarten auf. Michael Geiß hatte damals angefangen, den Ort fotografisch festzuhalten. „Typisch war es Kind, Kegel und Koch vor der Wirtschaft zu fotografieren“, sagt Birkenaus Gemeindearchivar Günter Körner, der schon viele Ansichtskarten gesammelt – und ersteigert hat. Wie dieses Exemplar aus dem Jahr 1910, das er für einen Euro bei einem Online-Auktionshaus erstanden hat. Für die einen mag es einfach eine Abbildung sein, vielleicht auch ein Zeugnis für die damalige Mode, für andere – wie für Körner – ist es mehr: Ein Einblick in die Geschichte, die bei dieser Ansichtskarte wirklich interessant ist.
Die Ansichtskarte vom 24. Juli 1910 zeigt den Ausflug des Maschinen-Setzer-Klubs Mannheim-Ludwigshafen nach Buchklingen. „Der sperrige Titel müsste eigentlich den Maschinen-Setzer-Klub (=Schriftsetzer) Heidelberg mit einschließen. Doch das wäre des Guten zu viel“, sagt Körner. „Die erwähnte Ansichtskarte macht dem ersten Ansehen nach den Eindruck eines fröhlichen Vereinsausfluges, doch dahinter verbirgt sich, wenn man etwas tiefer gräbt, ein Stück Sozial- und Gewerkschaftsgeschichte aus dem Rhein-Neckar-Raum“, sagt er.
Ansichtskarten als Werbemittel
Der Ausflug fand am 24. Juli 1910, einem Sonntag, nach Buchklingen statt, das heute zu Birkenau gehört. Die Aufnahme entstand im rückwärtigen Bereich der Gastwirtschaft zum „Grünen Baum“, die heute noch betrieben wird. „Aufgenommen haben dürfte die Karte Adam Weber, der Inhaber höchstpersönlich, der für seine Gaststätte Ansichtskarten als Werbemittel, aber auch für andere Gastronomen, herausgab“, sagt Körner.
Die beiden Maschinen-Setzer-Klubs aus Mannheim-Ludwigshafen und Heidelberg trafen sich am Bahnhof Weinheim und hatten zu Fuß Buchklingen nach etwa zwei Stunden erreicht. „Nicht auszuschließen ist, dass die illustre Gesellschaft vorher in Weinheim bei einer Druckerei eine damals moderne Setz- oder Druckmaschine bestaunt hatte. Dies ist zumindest für andere Ausflüge, die immer in Erinnerung des Stiftungsfestes stattfanden, überliefert“, sagt Körner.
Über die Gründung des Maschinen-Setzer-Klubs Mannheim-Ludwigshafen wird 1903 erwähnt: „Auf den 9. August wurde von dem provisorischen Vorsitzenden die konstituierende Versammlung anberaumt, und konnte derselbe die erfreuliche Mitteilung machen, dass sich durch Unterschrift bereits 19 Kollegen in Mannheim und 2 in Ludwigshafen zum Beitritt verpflichteten […].“ Zum Vorsitzenden wurde der Kollege Lebkuchen gewählt. Dachverband war dabei der Verband Deutscher Buchdrucker. 1904 unternahm der Klub mit Damen, wie es heißt, einen Ausflug nach Neustadt an der Weinstraße, wo man „nach einem genussreichen Spaziergange vereinigt ein Mittagsmal einnahm. Nachmittags fand mit den Neustädter Kollegen eine gemütliche Unterhaltung in einem Bierkeller, bei Reden, Liedern, Tanz und Kegelspiel statt.“
Mitgliederversammlungen fanden in Mannheim zunächst im Restaurant „Morgenröte“, späterhin im Restaurant „Trifels“ statt. „Auf diesen Versammlungen stimmte man Lohnforderungen ab, geißelte Missstände und bestimmte Delegierte, die etwa bei Generalversammlungen der Mittelrheinischen Maschinensetzervereinigung die Interessen der Mannheimer Kollegen vertraten“, erklärt Körner. Aber auch technische Neuerungen wurden besprochen und registriert, so heißt es 1907: „ . . . in unserem Klubbezirke wurde die Zahl der Setzmaschinen um drei Linotypes vermehrt, es beträgt die Zahl somit 28 (16 Linotype, 10 Typograph und 2 Monoline).“
1907 hatte der Maschinen-Setzer-Klub Mannheim-Ludwigshafen 35 Mitglieder. 1908 fand eine im Tarif enthaltene Bestimmung eine halbstündige Putzzeit der Setzmaschinen heftige Kritik. Man vertrat der Standpunkt, dass diese zu knapp bemessene Zeit zu regelmäßigen Überstunden führen würde. Im gleichen Jahr unternahm man einen Familienausflug nach „Heidelberg-Schriesheim“, wo man eine „Doppelmagazin-Linotype“ besichtigte, um anschließend zum gemütlichen Teil überzugehen.
In Sonntagskleidung unterwegs
1910 hatte der Maschinensetzer-Klub Mannheim-Ludwigshafen 59 Mitglieder, die mit ihren Heidelberger Kollegen nach Buchklingen kamen. Man hatte Sonntagskleidung angezogen und auch Frauen und Kinder mitgenommen. In der Mitte der Gruppenaufnahme ist breitbeinig und selbstbewusst der Vorsitzende namens „Eyer“ zu sehen, neben oder hinter ihm seine herausgeputzte Frau.
„Etwas seltsam muten die zu dieser Kleidung gezeigten bäuerlichen Geräte, wie Rechen, Sensen oder Dreschflegel an. Vermutlich ein Spaß, der an die zupackende Art und lärmintensive anstrengende Arbeit an den Setzmaschinen erinnern sollte“, sagt Körner. Man verbrachte fröhliche Stunden im „Grünen Baum“ in Buchklingen, wo damals gutbürgerliche Küche zu haben war. Man bekam damals eine Haferflockensuppe, drei Spiegeleier mit Kartoffelsalat und anschließendem Kaffee für vier Mark. Man konnte aber auch Suppe, Salzbohnen mit Kartoffelbrei und Speck für drei Mark zu sich nehmen. Nach einem erfüllten Tag wanderte man zurück zum Weinheimer Bahnhof und fuhr mit dem Zug mit Kind und Kegel nach Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg zurück.
Buchklingen und der „Grüne Baum“:
Buchklingen, das immer zu Löhrbach gehörte, wurde 1799 gegründet durch den Bau eines Hauses an der Stelle, wo die Gastwirtschaft der „Grüne Baum“ steht. Bauherren waren Peter Jöst und seine Ehefrau Anna Maria.
1886 war das Gebäude so baufällig geworden, dass es an- und umgebaut wurde.
Man kann davon ausgehen, dass bereits um 1850 oder davor ein bescheidener Wirtschaftsbetrieb vorhanden war. Ein damals entstandener Lageplan zeigt rechts einen „Tanzsaal“, links war vermutlich die Gastwirtschaft.
Buchklingen lockte insbesondere arme Bevölkerungsschichten an, 1822 hatte der Ort bereits 110 Einwohner, von denen die meisten keine ausreichende Lebensgrundlage fanden. Löhrbach als „Hauptort“ wehrte sich mit Händen und Füßen gegen diesen Zuzug, da die Gemeinde bei Bedarf finanziell einspringen musste. Es herrschte durch die Höhenlage bedingt permanenter Wassermangel bis zur Verlegung einer Wasserleitung Anfang des 20. Jahrhunderts.
Autor: Günter Körner
-
Das Steinbild auf der Weschnitzbrücke zu Reisen
Auf der Weschnitzbrücke zu Reisen steht ein altes, vom Zahn der Zeit stark zernagtes Sandsteinbild. Es ist ein Mann mit wallendem Gewand, der Priestermütze auf dem Kopfe und einem Kruzifix im Arm. Das Postament trägt eine an manchen Stellen ebenfalls stark beschädigte Inschrift, die nach Ergänzung der fehlenden oder unleserlich gewordenen Buchstaben durch das Hess. Staatsarchiv lautet: Sub satrapa Moriz est positus eo anno (f)ere quo caesar Franciscus Stephanus es stripe Lotharinggica electus, d.h. unter dem Amtmann Mohr ist dieser (nämlich der Stein) aufgestellt worden in dem Jahre etwa, in dem Franz Stephan aus lothringischem Geschlechte zum Kaiser gewählt wurde. Der erwähnte Franz Stephanus war der Gemahl Maria Theresias, der Gegnerin des alten Fritz in den schlesischen Kriegen, und wurde im Herbst 1745 mit sieben Stimmen zum deutschen Kaiser gewählt und bald darauf gekrönt. Die Inschrift enthält auch die Jahreszahl der Errichtung des Standbildes und zwar in einem sog. Chronogramm, d.h. man findet sie, wenn man alle römischen Zahlzeichen, die zu diesem Zweck groß geschrieben sind, addiert. Es ergibt sich so die Zahl 1745, die auch mit dem Krönungsjahr Franz Stephanus übereinstimmt. Der genannte Satrap Moriz ist der chupfälzische Amtmann Mohr zu Lindenfels, der zu jener Zeit lebte, und er wird hier genannt, weil Reisen damals zu diesem Amte gehörte.
In Nachfolgendem sollen nun die Fragen beantwortet werden: Wen stellt das Standbild dar ? Warum errichtete man solche Bilder auf Brücken ? Warum steht ein solches gerade in dem kleinen Dorfe Reisen ?
Die beiden ersten Fragen lassen sich gut in Zusammenhang beantworten. Das Standbild stellt den Heiligen Nepomuk dar, und die Errichtung solcher Statuen auf Brücken oder in der Nähe von Flüssen hat ihre Ursache in einer aus Böhmen stammenden Sage, deren erste und älteste Aufzeichnung von dem böhmischen Geschichtsschreiber Hajek aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt und bei diesem wörtlich lautet:: "Am Morgen nach Sankt Siegmundsfest (3. Mai) rief Wenzel nun den Priester Johann von Nepomuk vor sich, einen gottesfürchtigen Mann, der Magister an der Prager Universität, Domherr und Beichtvater der Königin war, und drang mit allem Fleiß in ihn zu sagen, welche Sünden die Königin gebeichtet. Der Priester gab darauf zur Antwort:"Mein Herr König, ich weiß das nicht mehr, und wenn ich es wüßte, würde es mir doch nicht zukommen, Euch es mitzuteilen, so wenig es Euch geziemet, mich darum zu fragen". Der König von Zorn entbrannt, ließ ihn in einen unterirdischen Kerker werfen und ihn vom Henker, den er seinen Gevatter nannte, auf die Folter legen; als er ihm auch damit nichts auspressen konnte, befahl er, ihn nachts auf die Prager Brücke zu fahren und gebunden ins Wasser zu stürzen. Auf das hin wurden noch in derselben Nacht und in der folgenden viele brennende Lichter über dem Körper des Ertränkten gesehen. Die Prager Prälaten aber zogen den Leichnam aus dem Wasser und begruben ihn in der Sankt Peterskirche und deckten einen Stein darauf. Seitdem sind viele und mannigfaltige Wunderzeichen dort geschehen, und darum nannten ihn diese einen Martyrer Gottes und einen Heiligen. Wenn aber jemand seine Heiligkeit anfocht und mutwillig auf das in den Stein gehauene Kreuz trat, der hat an dem Tag Spott und Schande erfahren, und darum haben die geistlichen Herrn das Grab mit einem eisernen Gitter unschließen lassen". So berichtet Hajek.
Nun hat diese Sage wie fast alle ihrer Schwestern eine geschichtliche Grundlage, der wir jetzt nachgehen wollen, zu deren Verständnis jedoch notwenig ist, etwas weiter auszuholen.
In dem deutschen Reiche herrschte zu Mitte und Ende des 14.Jahrhunderts an Zustand von Verwirrung, Gesetzeslosigkeit und eigenmächtiger Selbsthilfe. Am Besten ist dieser Zustand geschildert in der "Goldenen Bulle", dem von Kaiser Karl IV. (1347‑1378) geschaffenen Reichsgrundgesetze, wo es es im Eingang heißt: "Ein jeglich Reich, so in ihm selber uneins ist, wird zu Grunde gehen. Denn seine Fürsten sind worden der Räuber Gesellen, darum hat Gott unter sie gemischt den Geist des Schwindels; er hat die Leuchten ihres Geistes von ihrer Seele getan, daß sie blind sind und Führer der Blinden, und mit blinden Gedanken begehen sie viel Missetat ! " Seinen höchsten Grad erreichte dieser Zustand aber unter Kaiser Wenzel, dem Sohn und Nachfolger Karl IV., der von 1378 an regierte, aber 1400 auf Betreiben des Erzbischofs Johannes von Mainz zu Lahnstein abgesetzt wurde. Wenzel suchte in der ersten Zeit seiner Regierung mit strenger Gerechtigkeit den Bürgerstand gegen die Gewalttätigkeiten des selbstsüchtigen Adels zu schützen., doch zog er sich später durch rohe Leidenschaftlichkeit, Tyrannei und Habsucht, Haß und Verachtung zu. Schwankend zwischen Jähzorn und Schwäche, die unvermittelt nebeneinander wohnten ergab sich zuletzt dem Trunke, um dadurch, wie ein Geschichtsschreiber von ihm sagt " der inneren Leere zu begegnen". Seine ursprüngliche Gerechtigkeit ging später in Grausamkeit über, seine Hab‑ und Geldgier verleiteten ihn zur Härte und Bedrückung der Juden, von denen bei einem Aufstande in Prag 3000 ermordet und ihres Gutes beraubt wurden. Als leidenschaftlicher Freund der Jagd war er stets von großen Hunden umgeben, von denen seine erste Gemahlin, die fromme Johanna, eines Nachts zerrissen worden sein soll (1386). Mit dem Erzbischof von Prag, Johann von Genzenstein, hatte Wenzel einen Streit wegen des Schlosses Rudnicz und anderer Krongüter, die sich die Kirche, nach Wenzels Meinung unrechtmäßig, angeeignet hatte. Hauptwerkzeug und Ratgeber des Erzbischofs war der damalige Generalvikar Johannes zu Prag, der aus dem Böhmischen Städtchen Pomuk stammte. Dadurch, nach anderen Geschichtsschreibern auch wegen kirchenpolitischen Meinungsverschiedenheiten, lud er Wenzels Zorn auf sich, und Johannes mußte deshalb durch den jähzornigen Kaiser den Tod in den Fluten der Moldau erleiden, indem er ihn von der Prager Brücke aus am 20. März 1393 in dem Fluß stoßen ließ.
Dieser geschichtliche Vorgang bildet die Grundlage zur Nepomuksage, einer mit vielen fremdartigen Sagen erweiterten und durch die Volkstradition entstellten Legende. Nun besteht zwischen der Sage, und der geschichtlichen Tatsache ein Widerspruch insofern, als Wenzels erste Gemahlin, die vorerwähnte fromme Johanna, schon im Jahre 1386 starb, während Nepomuks Tod er 1393 erfolgte, zu einer Zeit, wo der Kaiser schon mehrere Jahre mit der bayrischen Fürstentochter Sophia vermählt war. Dieser Umstand veranlaßte einige (z.B. Balbinus 1670) den Tod Nepomuks 10 Jahre früher zu verlegen, also 1383, während andere Geschichtsschreiber (z.B. Schmude) behaupten, es habe zwei Nepomuk gegeben; beide Ansichten müssen jedoch als unzutreffend zurückgewiesen werden. Interessant ist es, wie Abel ("Die Legende vom heil. Nepomuk", Berlin 1855) vorgenannten Widerspruch aufzuklären sucht, doch müssen wir es uns versagen, dessen Ausführungen hier wiederzugegeben.
Über den geschichtlichen Nepomuk weiß man wenig Bestimmtes. Neben den, gelegentlich der Schilderung des die Grundlage zur Nepomuksage bildenden geschichtlichen Vorgangs erwähnten Angaben ist bekannt, daß seine Vaterstadt das im Bezirk Preßnitz an der Bahnlinie Wien‑Eger gelegene Nepomuk ist, wo er um 1330 geboren sein soll. Der vorerwähnte Balbinus gibt an, Nepomuk sei nach Empfang der Priesterweihe Prediger an den Teynkirche in Prag, und bald darauf Domherr von Sankt Veit und Probst der Allerheiligenkirche, sowie später Almosenpfleger des Königs Wenzel und Beichtvater der Königin Johanna geworden.
Zu Anfang des 18. Jahrhunderts sammelte der Jesuitenorden alle Beweisstücke, die sich in Schrift und Überlieferung auffinden ließen, und bestürmten den Pabst die feierliche Heiligsprechung zu vollziehen. 78 schriftliche Bittgesuche von geistlichen und weltlichen Fürsten unterstützten die Bitte der Jesuitenväter, und diese Bemühungen hatten zur Folge, daß Johannes von Nepomuk am 19. März 1729 durch Pabst Benedikt XIII. in die Reihe der heiligen Märtyrer aufgenommen wurde.
In Böhmen wird Nepomuk als der Schutzpatron des Landes verehrt, und sein Gedächtnistag (16.Mai) noch jetzt als ein hohes Volksfest begangen. Zuerst galt Nepomuk als der Schutzpatron gegen Verleumdungen und Verdächtigungen, und man rief ihn zugleich, da er seinen Tod in den Fluten gefunden, als Helfer gegen Wassernot an. Während ersteres bald in Vergessenheit geriet, hat sich letzteres bis in die jüngste Zeit erhalten, und darum wurden Bildnisse von ihm in der Nähe von Gewässern, besonders aber auf Brücken errichtet, und aus diesem Grunde nennt man ihn den "Brückenheiligen". In unserer Gegend gibt es solche Standbilder neben dem auf der Weschnitzbrücke in Reisen ein solches auf der Brücke über den Winkelbach in Bensheim und eines in Gernsheim in der Nähe des Rheins.
Somit wären die beiden ersten Fragen beantwortet und wir wenden uns der 3. zu: Warum befindet sich die Nepomukstatue nun gerade auf der Brücke zu Reisen und nicht etwa auf einer solchen in Birkenau, Rimbach oder Fürth, die doch damals schon viel bedeutender waren als das kleine Reisen ? Daß dieses, zum erstenmal 877 in Urkunden und zwar Ruzondum genannte Dorf (Kod Laur. Nr. 40) auch in früherer Zeit keinen großen Umfang besaß, geht aus einer Reihe alter Urkunden hervor, von denen jedoch in einem späteren Aufsatz die Rede sein soll. Der Grund zur Errichtung des Standbildes an dieser Stelle kann darum unmöglich in der Bedeutung des Dorfes liegen, sondern wir müssen die Ursache anderswo suchen. Die vor der 1843 erbauten Landstraße die Orte des Weschnitztales verbindende "Straße", wenn man sie ihrer schlechten Beschaffenheit wegen so nennen darf, führte von Weinheim bis Reisen auf der rechten Weschnitzseite hin, überquerte hier das Flüßchen , um dann ganz bis Fürth auf der anderen Seite hinzuziehen. (Die nähere Beschreibung des Verlaufs der alten Weschnitztalstraße wird in einem späteren Aufsatze erfolgen). Daraus wird uns ohne weiteres klar, welche Bedeutung die Brücke in Reisen für den damaligen Verkehr besaß. Es war die einzige im ganzen Weschnitztal, die jener alten Straße diente, und deshalb erforderlich, weil hier das Flüßchen so breit und tief war, daß man es nicht mehr mit den Wagen durchfahren konnte. Man darf aus diesem Grunde wohl annehmen, daß sich dort schon sehr früh eine Brücke befand, bestimmt jedoch 1732. In diesem Jahr nämlich und zwar am 29. September (Michaelistag)) wurde das Weschnitztal von einer furchtbaren Wasserflut heimgesucht. Welche Zerstörungen dieses Hochwasser in Birkenau anrichtete, erzählt ein ausführlicher Bericht des damaligen Pfarrers (Birkenauer Kirchenchronik), dem wir die nachfolgenden, uns hier interssierenden Sätze entnehmen:"....Nach vier Uhr kamen die Bäume vom Schafsteg, dann auch von der Brücke bei Reußen, eingleichen eine ganze Wand vom Giebel von einer Scheuer zu Mörlenbach, ferner viel Klötzer, Planken, ander Holz, etliche Wagen voll Kürbisse, Rüben, Krummet usw. angetrieben, welches alles sich an den Centsteg (jetzige mittelste Brücke) anlegte und daran solchen aus dem Fundament mit seinen sehr starken steinernen Pfeilern fortriß, dem folgte darauf die Brücke unterm Dorf und die (1656 von Generalmajor Rabenhaupt von Sucha erbaute) an der Bonnischen Mühle (jetzt Kammfabrik von Fr. Grösche Nachfolger).. Zur Charakterrisierung dieses Hochwassers sei noch angeführt, daß damals in Birkenau 3 Wohnhäuser, 1 Mühle und 1 Scheuer und Stall von den Fluten umgerissen wurden. Aus vorstehenden Bericht ist ersichtlich, daß 1732 zu Reisen eine Weschnitzbrücke bestand, die dem Hochwasser zum Opfer fiel. In Anbetracht ihrer Bedeutung für den Verkehr des Weschnitztales darf aber angenommen werden, daß ihre Wiederherstellung, und zwar als feste Steinbrücke, von dem Oberamt Lindenfels durch den Amtmann Mohr schon in der nächsten Zeit erfolgte. (Die Hauptbrücke in Birkenau, im vorstehend erwähnten Hochwasserbericht als "Centsteg" bezeichnete, wurde 1735 erbaut). Diese Annahme wird bestätigt durch ein "Geometrisches Rißbuch über den Churpfälzischen im Oberamt Lindenfels gelegenen und zur Waldmichelbacher Cent gehörigen Orth Reußen," das von Geometer Johann Wilhelm Grimm im November 1744 angefertigt wurde und worin die Brücke eingezeichnet ist. Ob die Aufstellung des Nepomukbildes nun gleichzeitig mit der Erbauung der Brücke erfolgte oder erst 1743, ist nebensächlich; jedenfalls steht fest,daß die Ursache dazu das Hochwasser 1732 bildete, indem der Heilige das Weschnitztal vor ähnlicher Gefahr beschützen sollte.
Autor: Rektor J. Pfeifer, Birkenau.
30.1.2023
-
Dorfherren-Rechte in Birkenau (1580, 1611, 1711)
Der Begriff Gerechtigkeiten [Rechte] der Dorfherren in Birkenau ist nicht genau fassbar, da er sowohl Herrschaftsrechte als auch Dienstanweisungen für den Schultheißen (Grenzumgang, Aufbewahrung der Rathausschlüssel) in sich schließt. Es scheint, als hätten die Ortsherren Sachverhalte aufschreiben lassen, die ihnen gerade wichtig erschienen oder die aber, aus unbekannten Gründenkeine Beachtung mehr fanden. Das entsprechende Gegenstück zu diesen Gerechtigkeiten, ein Weistum hat sich für Birkenau bis jetzt noch nicht ermitteln lassen. Es existiert lediglich eine Bittschrift der Birkenauer Einwohner, die um 1625 versuchten, ihre alten Rechte zu wahren , da in den Wirren des 30jährigen Krieges ihr Weistum „vernommen“ (entwendet) worden war. Insofern lassen sich die Grenzen, innerhalb deren sich das Weistum bewegte, in etwa abstecken.
Erstaunlich ist der Wandel, dem die Gerechtigkeiten der Ortsherren unterworfen waren. Verschiedene Punkte finden später überhaupt keine Erwähnung mehr, andere wurden, ohne sie vorher genannt waren, einfach hinzugefügt. Mit diesen hinzugefügten Diensten und Beschwerungen waren teilweise erhebliche Eingriffe in die ohnedies immer mehr beschnittenen Rechte der Gemeindsleute verbunden. Die Gerechtigkeiten der Dorfherren weisen also keine kontinuierliche Entwicklung auf, wie das eigentlich zu erwarten wäre, und wwaren einem ständigen Wechsel unterworfen. Das Freiherrlich Wamboltische Archiv bewahrt folgende belege auf:
- Eine Aufzeichnung der Gerechtigkeiten, sind undatiert, jedoch um 1580, eher früher entstanden. Diese Datierung ergibt sich einwandfrei aus den anhängenden späteren Vorgängen. Den betreffenden Bestand bildet ein Buchrücken , an dem nur noch ca. 20 Blätter befestigt sind, deren erste vier Seiten die Gerechtigkeiten enthalten.
- Ein Aufzeichnung aus den Jahre 1611, die wortgleich in zwei Beständen ermittelt erden konnte (einmal falsch datiert mit 1411, späterer handschriftlicher Vermerk „antik“)
- Eine Aufzeichnung aus dem Jahre 1711 als Ergebnis einer mainzischen Verhandlungskommission, die Differenzen zwischen dem ab 1706 in Birkenau wohnhaften Johann Philipp von Bohn und den Birkenauer Gemeinsleuten zu schlichten hatte.
Gerechtigkeiten um 1680
Item wann zwey Ehe Eheluten ihre Kinder alle ußgesetz [=auswärtig ansässig sind] und stirbt der alten einß, so soll der ander die fahrend Habe den Kindern aufgeben [übergeben] vor Schultheißen, Schöffen und Zinsmeistern.
Wo das nicht geschicht und das ander auch stirbt, so gefallet die selb fahrend Habe den Dorffsherren zu Birkenauwe.
Item wäre es Sach, dass Kinder wären dass ein einiger [Irgendein] fremder Mensch queme [käme], der kein Kind hätt und keine Frauwe und stürbe er an den Enden [hier] und hätt die fahrend Habe nit uffgeben, wie oben steht, so wäre dieselbe aber den Dorfsherren.
Item es soll auch keiner, der in der Zent zu Birkenauw gesessen oder gehörig ist, keinerlei Güter, die in der Herrschaft zinsbar, die Frone oder ander Gerechtigkeit unterworden sind, verkaufen oder versetzen, verändern, verteilen oder verwenden in keiner ander Hand ohne Wissen, Willen und Verhengnisse [Zustimung] der Dorffsheren. Wo solichs geschehe oder geschehen wäre, so soll [es] kraftlos, vernicht. Onmechtig und absin [ab sein, ungültig sein]. Und der solichs heruber [hierüber] thet, der soll dazu in der Herren Straf stan [stehen].
Item ein Schlagfrevel [Schlägerei] der vor Gericht bracht wäre, ist 30 Schilling Heller.
Item wäre es, das sich icht [etwas] Unwillen, Zweiung oder Misshandlung hinter oder dem Wein in der Zent begebe, das soll ein jeglicher, der das sieht oder hört, bei seinem Eide an den Zentgrafen oder Schultheiß zu Birkenau zu bringen, wo dann der Handel hingehört.
Die oder der sollen solches auch bei ihren Eiden für [vor] die Zent oder das Gericht bringen, die alsdann mit Recht erkennen sollen, was sich der Herrschaft in einem inkleichen [jeglichen] nach centlicher Gewohnheit darin schuldig sind, dem soll nachgekommen werden.
Item ein Frevel der Zent ist 3 Pfund Heller, [und zwar] den Dorffsherren 30 Schilling und der Zent 30 Schilling Heller.
Item wäre es Sach, dass jemand ein Gewalt stellet in der Zent, der soll das verbüßen den Dorffsherren mit zehn Pfund heller und der Zent 30 Schilling Heller.
Item wäre es Sach, dass einer ein Frevel schuldig wäre nit gehorsam in der Zent Fristen, so soll er zwyfältig verbüßen, und geschehe das aber nit, so ist er der Dorffsheren Gnade.
Item in der Zent Birkenauwe haben die Gerichtsherren Reher und Hasen gejagt und von alters her ohne Intrag [Widerrede[ getan.
Item die Dorffsherren haben auch zu fischen und gefischet on Intrag in der Weschentz vom Katzensteg an bis in die Karlebach. Item dergleichen die Liebersbach von der Weschentz bis in Liebersbacher Mark [Gemarkung]
Item die Liebersbach in gemelter Maß zu fischen als ferr [weit] Birkenauer Mark geht.
Item dergleich die Hornbach von Wechentz bis an die Hornbacher Mark zu fieschen.
Item dergleichen fünfzehn Morgen Holz, an einem Stück in der Herdbach [1611 Haubach] gelegen in Weinhemer Gemarkung.
Item wer iß [wäre es] dass eyniger eyn Uffgabe [Grundstücksübereignung] oder eyn Insatzung [Besitzeinweisung] oder waß das were verschrieben, wolt han in das Buch [Grundbuch] soll dem Gericht geben 18 Pf. und dem Schreiber 6 Pf.
Item solich Schreibung, wie oben stett, wieder zu verklären und lesen, auch dem Gericht 18 Pfennig und dem Schreiber 6 Pfennig.
Gerechtigkeit aus dem Jahr 1611
Verzeichnis. Was mir, [dem] Keller Hans Jakob Dell, anno 1611 von meinem hochadeligen gestrengen Junker ist anbefohlen worden. Birkenau, Kallstadt, Kisselberg [Rohrbach] zu diesen nachfolgen[den] Diensten, wie vorbemelter Junker [nicht genannt, Junker Wambolt] bei den Lehensbriefen gefunden.
1. Sollen die drei bemelten Ort[e] in Frohn die Lehnwies mähen.
2. Sollen sie das Holz zu Weinheim in der Haubach alle fünf Jahre abhauen und zu Birkenau im Herrenholz, was zum Brennen gebraucht wird, fällen
3. Die Fisch und Krebs in der Weschnitz von der Reisener Brück an die Unterliebersbach ausfischen. In der Leerbach [Löhrbach] bis nach Kallstadt an den oberen Hof. In Hornbach bis an die Hornbacher Gemarkung.
4. Zu Birkenau, Kallstadt und Kisselberg mit Hasengarn jagen.
5. In Lehensgshäften vergebens [umsonst] Boten gehen, in anderen Geschäften aber nicht weiter [als] bis an [den] Rhein und Main. Und nacher [darüber hinaus] sie von der Meil anderthalb Batzen.
6. Die Zent muss auch helfen Holz [zu] führen zum Gericht [Galgen] und zum Steg.
7. Die Wirt geben vom Fuder Wein 4 fl. [Gulden], aber vierzehn Tag vor der Kirchweih und 14 Tag hernach müssen sie Herrschaftswein verzapfen, haben von dem Maß zwei Heller, können sie aber mit der Herrschaft handeln, wird ihnen kein Wein eingelegt.
8. Wann zu Birkenau ein[e] Hochzeit gehalten wird und sie [et]was Wein einlegen, müssen sie ihn verungelten [versteuern] wie die Wirte auch.
Dieses all so all so gehalten werden und die Untertanen durch mich [den] Keller, vermög des alten Herkommens nicht weiter beschwert werden, vielweniger mit Geld, man darf sie nicht weiter treiben.
Im übrigen [wird] es so gehalten vermög des alten Herkommens: Wann etwas an der Kirche, Pfarrhaus und Rathaus gebaut wird, muss auch die Zent Hölz dazu geben, Fuhr und Handreichung dazu tun, auch für Ziegel und Kalk und Handwerkslohn ihr Teil dazu geben, desgleichen auch am Klockhaus [Glocken-].
Wann ein armer Sünder zum Tod verurteilt wird, muss die Zent ihr Teil Unkosten dazu geben.
Wann ein Haus zu Birkenau durch einen Gemeindsmann gebaut wird, muss Birkenau, Kallstadt, Kisselberg eichene Schwelle [Fachwerk] dazu geben.
Wann ein neuer Gemeindsmann wird, muss er drei junge Eichbäume setzen.
Der Kirchenpfleger muss alle Jahr Rechnung [legen] dem Keller, desgleichen auch dem Baumeister wegen des gemeinen Holzes.
Denen Hausarmen wird alle Woche etwas vom Almosen gegeben.
Der Schulz [Schultheiß] hat jährlich wegen der Ritterschatzung einzunehmen 15 Batzen.
Schulz und Gericht müssen alle Jahr die Gemarkung umgehen, wann etwas an Markstein[en] fallet, verbessern gegen den Gegenmärker.
Der Schulz hat den Schlüssel zum Rathaus und zum Gefängnis.
Der Älteste vom Gericht muss den Schlüssel haben zum Gerichtskasten.
Der Schulz hat drei Batzen vom Gerichtssiegel zu siegeln.
Wann einer begehrt, das Gericht zusammen geboten haben will, wann sie nicht ohne da sitzen hat einer 3 Batzen 8 Heller desgleichen auch vom Schulz, wann sie einen Markstein setzen, haben sie auch so viel wie obgemelt.
Wann der Glöckner auch zur Hochzeit läutet, hat er ein Maß Wein oder das Geld dafür.
Der Gebüttel hat vom Schließgeld [Schließen der Falltore] acht Heller desgleichen auch, wann er wegen eines Fremden gebieten muss.
Wann eine Ritterschatzung, wird einem hundert [1 %] aufs Haupt geschätzet, hernach die Güter.
Birkenau sind drei Huben gewesen, die groß Hub, Flederwisch Hub und die Fronhub. Gibt dem Junker keine Pacht, den Zehnten ins Closter Lorsch.
Schiedspruch: Gerechtigkeiten 1711
Eine mainzische Kommission machte folgenden Schiedsspruch bekannt, nachdem sich die Gemeindsleute aus Birkenau, Kallstadt und Rohrbach mit einer Beschwerde über den Ortsherrn, den Obristen Johann Philipp von Bohn , an den Lehensherrn in Mainz gewandt hatten. Ein Vergleich zu den vorher angeführten „Gerechtigkeiten“ zeigt, das Freiherr von Bohn entweder aus Unkenntnis oder aber mit Vorsatz Dienste und Beschwerungen von der Gemeinde forderte, die vorher so nicht existierten. Hier ist in erster Linie das Schafsweidebestandsrecht, das 1625 der Gemeinde zustand, zu nennen.
Nach einem Vermerk im Zentgerichtsprotokoll von 1602 „geben die Birkenauer, Liebersbach, Kallstadt jährlich und von altersher nicht mehr als 27 Pfund Heller den Junkern für ihre Fron- und Hofdienste, vermög Zinsbuch de anno 1530 ...“, d.h. grundsätzlich waren keine derartigen Dienste gegen Leistung einer Abstandszahlung zu erbringen. Der Schiedsspruch:
„Wird allem Vor- und Anbringen, auch erwogenen Umständen nach zu Recht erkannt, dass sie, die Lehensuntertanen der genannten drei Orte [Birkenau, Kallstadt und Rohrbach], welche mit Fuhrwerk versehen, jeder mit all seinem Zugvieh des Jahrs zu bequemer [ihm passender] Zeit 18 Tag, worunter das Heumachen auf der Lehnwies zu Weinheim mitgerechnet, desgleichen diejenigen mit kleinen Fuhren versehen, jedoch Haus und Gut haben 18 Tag mit der Hand , andere aber, welche weder Haus noch Gut besitzen, 9 Taghanddienst [zu] leisten [haben].
Daneben [hat der Ortsherr das Recht] mit Hasengarn zu jagen, fischen, Botengehen in Lehensgeschäften umsonst [zu verlangen] in anderen Geschäften [sind die Untertanen] bis an den Neckar, Rhein, Main gegen Rechnung von 6 Kreuzer von jeder Mail, über sothane Flüss aber vermittels Zahlung des Fahrgelds [Fähr-] und völligen Botenlohns zu gehen schuldig.
Zm andern in der Schäferei betreffend, dass gnädigem Herrn Obristen von Bohn 275 Hämmel und 25 Schaf zu halten berechtigt [ist]. Im Fall aber derselbe den Übertritt nach Rohrbach nicht erlangen würde [die Hornbacher Gemarkung war pfälzisch], alsdann nur 250 Hämmel und 25 Schaf zu halten befugt, jedoch dergestalten, dass dann das Rindvieh an einem Ort weidet, das Schafsvieh an einem anderen Distrikt die Weid suchen und keineswegs auf gesämten Ackern hüten und sonst denen Untertanen einigen Schaden verursachen [soll], die Weid auch und dessen Bezirk zu nutzen, dass kein Ort vor dem andern beschwert werde, und so[bald] die Frucht von den Feldern abgeführt ist, alsdann das Rindvieh 3 bis 4Tag die Vorweid in allen Distrikten nach und nach zu genießen haben soll.“
Unterzeichnet haben diese Schiedsspruch vom 15. September 1711 Freiherr von Hackenberg und Raymond Peetz. Die Gemeinde hatte zwei, der Ortsherr ein Drittel der entstandenen Untersuchungskosten zu tragen.
Der wamboltische Amtmann Ignatz Bouthelier, der 1787 bestallt wurde, erhielt als Anhaltspunkt für seine Dienstgeschäfte eine Abschrift der „Gerechtigkeiten“ von 1611, ein Zeichen dafür, dass selbst bei der Herrschaft in diesen Fragen eine große Rechtsunsicherheit bestand. Die daraus entstehenden Reibereien und unterschiedlichen Rechtsauffassungen hatten 1806 beim Übergang an das Großherzogtum Hessen, ein Ende. Heute sind diese Dokumente ein Stück Birkenauer Ortsgeschichte, das von den Sorgen und Belastungen der früheren Einwohnerschaft berichtet.
Autor: Gemeindearchivar Günter Körner
Allgemein
Bild
Zugriff
Verbergen
Titel
Text
WYSIWYG-Editor, data_tx_communicebase_accordionitem__NEW63ce979d56a98296833848__tx_communicecontent_text_Editor WerkzeugleistenStileFormatFormatGrundstile Fett Tastaturkürzel Strg+B Kursiv Tastaturkürzel Strg+I Tiefgestellt HochgestelltAbsatz Nummerierte Liste einfügen/entfernen Liste Einzug verkleinern Einzug vergrößern Zitatblock Linksbündig Zentriert Rechtsbündig BlocksatzLinks Link einfügen/editieren Tastaturkürzel Strg+K Link entfernenZwischenablage/Rückgängig Ausschneiden Tastaturkürzel Strg+X Kopieren Tastaturkürzel Strg+C Einfügen Tastaturkürzel Strg+V Als Klartext einfügen Tastaturkürzel Strg+Umschalt+V Aus Word einfügen Formatierung entfernen Rückgängig Tastaturkürzel Strg+Z Wiederherstellen Tastaturkürzel Strg+YEditieren Rechtschreibprüfung während der Texteingabe (SCAYT)Einfügen Tabelle Horizontale Linie einfügen Sonderzeichen einfügenWerkzeuge Ein bedingtes Trennzeichen einfügen Tastaturkürzel Strg+½ MaximierenDokument QuellcodeDrücken Sie ALT 0 für Hilfe◢Elementepfad
Bild-Einstillungen
Bild PositionierungLegt fest, wie das Bild im Akkordion positioniert ist. Wird nur bei Einzelbildern berücksichtigt.
Links im TextRechts im TextLinks neben TextRechts neben Text
Bild GrößeLegt die größe des Bildes fest. Wird nur bei Einzelbildern berücksichtigt.
KleinMittelGroßBild
Bild, welches im Akkordion-Item angezeigt wird.
Neue Relation erstellen
Start
Stopp
-
Bericht über das Birkenauer Gewerbe 1809
Beim Übergang zum Großherzogtum Hessen 1806 hatte jede Gemeinde über 40 Fragen über die Struktur des Ortes, Gewerbetreibende, Märkte, Abgaben und Steuern und sonstige Gebräuche zu beantworten. Eine Anfrage beim Staatsarchiv Darmstadt, das diese wichtigen Archivalien aufbewahrt, ergab für Birkenau eine Fehlanzeige. Umso dankbarer muss man dafür sein, dass sich im Wamboltischen Archiv 11 Fragen mit Antworten haben finden lassen. Die Antworten bezüglich der Gewerbetreibenden wurden der besseren Übersichtlichkeit halber nach Berufsgruppen geordnet und um die heutige Anschrift, soweit dies möglich war, ergänzt Daraus mag der interessierte Leser erschließen, welcher frühere Bewohner seines Hauses welches Gewerbe betrieben hat.
- Auf welche Tage und wie lange wird jedes Mal der Jahrmarkt in Birkenau gehalten?
Der hiesige Kirchweih-Markt ist jedes Mal am Sonntag nach Jakobi [25.7.].
Bis vor einiger Zeit war der Markt an Bartholomäi [24.8.]. nun aber ist er am Sonntag vor Mariä Geburt. Beide Märkte dauern gewöhnlich einen Tag.
- Findet sich über die Entstehung oder Bewilligung dieser Märkte irgendeine historische oder urkundliche Notiz?
Wegen dem alten Kirchweihmarkt weiß an nichts Besonderes. Dieser soll nach Aussagen der älteren Männer hier anno 1754 oder 1755 erste errichtet worden sein. Die gnädige Ortsherrschaft habe mit demselben auf einen Viehmarkt errichten wollen, der aber bis jetzt, man weiß nicht warum, noch nicht zustande kam.
- Welche Ordnung und Abgaben haben bei diesen Märkten Geltung? Wie hoch belaufen sich letztere Abgaben und wer mit welchem Recht bezieht solche? Bei diesen Märkten findet keine besondere Verordnung statt. Die Abgaben gestehen in dem gewöhnlichen Standgeld, das die Krämer, oder jeder, der etwas verkaufen will, nach Verhältnis des Warenlagers zu entrichten hat. Das Standgeld beläuft sich jedes Mal am ersten Markt auf ca. 20 bis 24 Gulden, am zweiten Markt auf 12 bis 15 Gulden. Das Erstere bezieht der hiesige Beamte [der herrschaftliche Amtmann], das Letztere der Ortsschultheiß.
- Wie viele Wirte befinden sich derzeit in Birkenau, wie heißen sie und welche Konzessionsgebühren haben diese bei ihrer Annahme zu entrichten?
-Beck, Johannes, Obergasse 20
-Bernhard, Adam, Kreuzgasse
-Eisenhauer, Jakob, Hauptstraße 88
-Hofmann, Georg, Kreuzgasse 18
-Jakob, Johannes Senior, Hauptstr. 75 oder Kreuzgasse 5
-Kadel, Christoph
-Krall, Georg, Hauptstraße 81
-Krämer, Philipp, Hauptstraße 73
-Schäfer, Johannes
-Wittemayer, Michael
Diese haben noch nie Konzessionsgebühren entrichtet, jedoch um die Erlaubnis zur Wirtschaft bei der Ortsherrschaft nachsuchen müssen.
- Wie viele Gewerbsleute befinden sich derzeit in Birkenau, welches sind ihre Namen und die von ihnen betriebenen Gewerbe?
Bäcker:
-Helfrich, Steffan, Obergasse 2
-Hofmann, Georg, ist zünftig nach Weinheim, Kreuzgasse 18
-Jakob, Johannes [Bäcker und Krämer]
-Kohl, Leonhard, Hauptstraße 92 [abgerissen]
Büchsenmacher:
-Schäfer, Georg, Hauptstraße 126
Holzhändler:
-Weber, Nikol [Holzhändler und Bordschneider]
Küfer:
-Kohl Georg, Untergasse 12
-Kohl, Michael, Kirchgasse 22
-Müller, Georg
Krämer:
-Bernhard, Adam, Kreuzgasse 5
-Wittemayer, Michael, verschiedene Häuser
Maurer:
-Melbert, Georg Michael
-Wagner, Johannes, zünftig nach Heppenheim
-Wagner, Nikol, Hauptstr. 122
Metzger:
-Molitor, Johannes, Kirchgasse 3, [abgerissen]
Müller:
-Kadel, Jakob, Obergasse 65
-Kadel, Johannes, Lindenstraße 3 und 5
-Kinscherf Gg. Witwe, zünftig nach Heppenheim, Weinheimer Str. 6
-Zoph, Nikol. Untergasse 3 und 5
Leineweber:
-Bernhard, Michael
-Boll, Wilhelm, Kreuzgasse 16
-Brehm; Adam sen.
-Brehm, Adam jun. Untergasse 15
-Brehm, Nikol Kirchgasse 18
-Brehm, Peter Witwe, Untergasse 14 [1955 abgerissen]
-Florig, Adam, Untergasse 22
-Fritz, Georg, Kirchgasse 34, [1960 abgerissen]
-Geis, Michael, Brückenstr. 5
-Jakob, Andreas, Untergasse 7
-Jakob, Georg Friedrich, Kreuzgasse 1 [1964 abgerissen]
-Jakob Johannes, Kreuzgasse 5
-Jakob Nikol, Kreuzgasse 1 [1964 abgerissen]
-Jakob, Valentin Witwe, Obergasse 40
-Kadel, Christoph sen.
-Lieberknecht, Johannes, Obergasse 42
-Müller, Georg Sandbuckelgasse 3
-Müller, Georg Friedrich, Sandbuckelgasse 8
-Müller, Johannes, Obergasse 11
-Müller Johannes Erben, Obergasse 31
-Müller, Michael, Sandbuckelgasse 6
-Nikolai, Philipp Witwe, Obergasse 49
-Schäfer, Johannes, Hauptstraße 59 [1966 abgerissen]
-Schäfer, Peter, Untergasse 16
-Scheuermann, Nikol., Brückenstraße 7
-Schütz, Michael, Sandbuckelgasse 17
-Sturm, Georg, Sommerbuckelweg 2
-Stutz, Adam
-Weber, Johannes, Untergasse4
-Weber, Leonhard, Hauptstraße 61
-Werner, Peter, Am Schlosspark 3
Schlosser:
-Schmitt, Franz, Untergasse 3
Schmied:
-Dillmann; Georg, Untergasse 9
-Kadel, Nikol., Obergasse 45
-Krämer, Heinrich, Hauptstraße 71
-Löw, Georg, Kirchgasse 12
-Löw, Georg Friedrich [ledig], Obergasse 3
-Löw, Jakob, Kirchgasse 16
Schneider:
-Bauer, Michael, zünftig nach Heppenheim, Untergasse 26
-Becker, Peter, Obergasse 12
-Bernhard, Georg, Hauptstraße 67
-Freund, Gotthilf
-Hofmann, Johannes [Schultheiß], zünftig nach Weinheim. Kreuzgasse 14
-Kadel, Christoph jun., [Schneider und Krämer]
-Kadel, Nikol.
Schreiner:
-Gaßmann, Peter, Am Schlosspark 11
-Hofmann, Johannes, Untergasse 30 [1937 abgerissen]
-Krall, Adam
-Krall, Georg
-Krall, Jakob, Untergasse 1
-Schab, Jakob, Hauptstraße 65 [1970 abgerissen]
-Scherer, Johannes, Am Schlosspark 5
Schumacher:
-Bischoff, Adam, Untergasse 6
-Christ, Michael, zünftig nach Heppenheim, Sandbuckelgasse 9
-Erhard, Andreas, Obergasse ? [schon ca. 1856 abgerissen]
-Florig, Johannes, Obergasse 53
-Jost, Peter [Schuhflicker], Kirchgasse 9
-Junker, Friedrich, Kirchgasse 13
-Kadel, Michael
-Müller, Adam, Obergasse 60
-Schäfer, Adam, Brückenstraße 7
-Tritsch, Johannes jun., Untergasse 14
-Tritsch, Johannes sen., Lindenstraße 2
-Schuch, Philipp, Obergasse 48
Tüncher:
-Florig, Leonhard, Obergasse 29
-Florig, Simon
-Roth, Peter
Wagner:
-Florig, Johannes, Obergasse 43
-Helfrich, Adam, Im Oberdorf, bereits 184 abgerissen
Ziegler:
-Stief,, Friedrich, Ziegeleiweg 10
Zimmermann:
-Dörner, Peter
[zusammen 92 Namen mit 18 Berufen]
Zu Kallstadt, Johannes Kadel, ein lediger Schneider
Zu Rohrbach, Jakob Schütz, ein Weber, Haus Nr. 3
- Welche sind von ihnen zünftig und wohin?
Ist unter 5 schon vermerkt.
- Welche Lasten und Abgaben haben die Eingezünfteten deswegen zu entrichten?
Wenn ein Meister in die Zunft aufgenommen und das Meistergeld, das verschieden angesetzt wird, entrichtet, so haben selbige jährlich etwa8-10 Kreuzer oder 12 Kreuzer Auflage zur Zunft zu zahlen.
- Steht es jedem hiesigen Untertan frei, nach eigenem Belieben irgend
ein Gewerbe zu treiben, oder und auf welche Artist er hierin beschränkt?
Es stand bisher jedem Untertan frei, und da es nicht zünftig war, hier ein Gewerbe zu treiben, welches er wollte, und da es nicht zünftig war, so hatten keine anderen Beschwerungen statt. Als dass man um die Erlaubnis eine Profession zu treiben, bei gnädiger Herrschaft nachzusuchen hatte.
- Muss hierzu eine besondere amtliche Konzession beantragt und dafür eine Gebühr entrichtet werden?
Hierzu war nie eine amtliche Konzession erforderlich und also auch nichts dafür zu zahlen.
- Gibt der Untertan, der eine mehr oder weniger ehrbare Profession betreibt [=Beruf]. Diesem ungeachtet keine stärkeren herrschaftlichen Abgaben, wie jeder Bauersmann oder Taglöhner?
Wenn diese Frage auf die vergangene Zeit beantwortet werden soll, so gab ein Handwerksmann wie der andere, ohne Rücksicht auf diese oder jene Profession, mehr oder weniger Gewerbe, jeder oft als die gewöhnliche Schatzung erhoben wurde 5 Kreuzer vom Handwerk. Und wenn er Bürger war nochmals 5 Kreuzer vom Kopfsteuer. Die Bürger, die keine Profession trieben, z.B. die Bauern und andere entrichteten auch nur 5 Kreuzer Kopfsteuer. Sollte diese Frage aber auf die gegenwärtige Zeit [wie nicht wahrscheinlich ist] zu beantworten sein, so ist das neue gegenwärtig eingeführte Steuersystem eine ganz andere Sache, die zu diesem voraus auch nicht nötig sein wird, auseinandergesetzt zu werden.
- Welches ist der nächste Großherzogliche Hessische Ort bei Birkenau, wo eine erforderliche Zunfteinrichtung besteht und wohin die Birkenauer Gewerbetreibenden am füglichsten eingezünftet werden könnten, auf den Fall, dass die Errichtung einer eigenen Zunft in Birkenau für unzulässig erkannt würde?
Zu Birkenau ist die nächste Zunft die in Heppenheim. Die dortigen Zünfte haben auch schon mehrmals wegen der Einzünftung von Birkenau nachgesucht.
Also nach Aschaffenburg an gnädigen Herrn abgeschickt. [damals war die Ortherrschaft Wambolt dort ansässig]
Birkenau, den 27. Juli 1809, Ignatz Bouthelier, herrschaftlicher Amtmann
-
Die Falltorstraße in Birkenau
Unter den Straßen des Birkenauer Ortsnetzes, befindet sich eine, deren Name von kulturgeschichtlicher Bedeutung ist. Sie zweigt am Friedhof von der Kirchgasse ab und zieht auf der rechten Seite lückenhaft, auf der linken Seite jedoch unverbaut, in südöstlicher Richtung nach dem Güterbahnhof. Während sie früher mit dem nichtssagenden Namen "Zufuhrstraße" belegt war, änderte man diesen in jüngerer Zeit in "Falltorstraße" oder "Am Falltor" um. Die Veranlassung zu der jetzigen Benennung bildete der Umstand, daß sich ganz in der Nähe der Ausgangsstelle in früherer Zeit das "große Falltor", d. i. ein hölzernes von selbst zufallendes (sich schließendes) Tor befand. Es hatte den Zweck, den Weidetieren die Rückkehr ins Dorf zu versperren. Dem gleiche Zweck diente auch der sich beiderseits an das Tor anschließende "Bannzaun" (bannen i. S. von unmöglich machen). Da die unseren Mitteilungen zugrunde liegenden Urkunden schon aus den Jahren 1568 und 1613 stammen, läßt sich der Standort des Falltors, sowie der Verlauf des Bannzaunes heute nicht mehr genau bestimmen; jedenfalls stand ersteres auf der Straße, damals "gemeiner Weg" genannt, zwischen Landwirt Jost und Schreiner Hoffmann. Östlich vom Falltor und Bannzaun breitete sich die "gemeine Almend" aus, die als Weidegelände für das Vieh diente. Darauf weist auch der "Schafsteg hin, der von den Ortsherrn am Ende ihres Parks errichtet worden war, um die Schafe, ‑ die Schafhaltung war ein alleiniges Vorrecht der Ortsherrschaft ‑ auf die Weide zu bringen. Bei zunehmender Vergrößerung des Ortes, wurde die Weide weiter gegen die Gemarkung Hornbach verschoben, denn dort befindet sich das Grenzgewann der "Matzenberg", dessen Name aus "Am Atzenberg" durch Hinüberziehen des m zu dem A. entstanden ist. In Urkunden der dort angrenzenden Gemarkung Reisen wird diese Gewann mit richtigem Namen "Atzenberg" (von atzen, etzen = äßen oder Etz, Etzel = Viehweide) bezeichnet. Etwas weiter westwärts von dem großen Falltor befand sich das "kleine Falltor" deas jedenfalls den Weideplatz der Kleintiere abschloß.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Der Odenwälder Landsturm im Birkenauer Tal 1799
Wenn wir von Weinheim kommend unsern Nachbarort Gorxheim betreten, so erblicken wir links neben der Straße eine kleine Anlage. Es ist ein von einem Sandstein mit darauf sitzenden Eisengeländer eingefasster elliptischer Platz, auf dem sich ein vierkantig behauener, oben abgerundeter größerer Stein erhebt, vor dem zwei niedrige Sandsteinkreuze stehen. Die Vorderseite des Hauptsteines trägt oben ein Kreuz in der Form des Eisernen Kreuzes und darunter die Inschrift: "Zum Andenken denen die da hier im Jahre 1799 den 20sten April im Streit für das Vaterland gebliebene tapfere Odenwälder gewidmet". Diese Inschrift belehrt uns, dass wir es mit einem Denkmal zu tun haben, das an eine Begebenheit erinnern soll, die sich vor 125 Jahren hier zugetragen hat. Doch ist der Schauplatz dieses Ereignisses keinesfalls das Gorxheimer Tal allein, sondern er erstreckte sich über den ganzen Odenwald von Schönberg bis an den Neckar. Wie die Inschrift sagt, handelt es sich um einen Kampf oder besser gesagt um Kämpfe, die sich in der Gegend abgespielt haben, und es ist zu vermuten, daß die im Gorxheimer Tal in diesem Kämpfen Gefallenen an dieser Stelle begraben liegen. (Es ist allerdings nur eine Vermutung, und es wäre interessant zu erfahren, wieweit diese Annahme richtig ist.) Die genannten Ereignisse werden zusammenfassend mit dem Namen "Odenwälder Landsturm" belegt und gehören zweifellos zu den interessantesten geschichtlichen Begebenheiten unserer Gegend.
Wie schon angeführt, erstreckten sich diese Kämpfe über den größten Teil des vorderen Odenwaldes, und ganz besonders heftig und zahlreich waren sie in dem Birkenauer Tal. Über diese Vorgänge sind mir drei Aufzeichnungen von Augenzeugen bekannt und zwar eine von dem Freiherrlich Wamboltischen Amtmann Bouthelier, die in der von Herrn Pfarrer Sulzbach zu Birkenau anlässlich des hundertjährigen Bestehens der katholischen Pfarrei daselbst verfassten Festschrift veröffentlicht ist und aus welcher Quelle auch Herr Gastwirt Fuchs zu Weinheim (Fuchs'sche Mühle) in seiner Beschreibung des Birkenauer Tales schöpfte. Die zweite, allerdings viel dürftigere Aufzeichnung entstammt der Birkenauer Kirchenchronik, während der dritte sehr umfangreiche Bericht von dem damaligen hiesigen Lehrer und Gerichtsschreiber Johann Ludwig Schneider herrührt. Letzterer überschreibt ihm mit dem Worten: Kurze historische Beschreibung der vom Frühjahr 1799 bis zum Ausgang des selbigen Jahres zwischen dem so benannt wordenen Odenwäldischen Landsturm in Vereinigung der k.k. von Szekler Husaren und nachher auch kurmainzischen Truppen und den Franzosen in hiesiger Gegend und an der Bergstraße vorgefallenen Gefechten und dessen Erfolg, besonders im Hinblick auf den Ort Birkenau". Diese drei angeführten Quellen liegen den nachfolgenden Ausführungen zugrunde.
Zum besseren Verständnis mögen dem Geschichtsunkundigen noch einige Angaben dienen: Im Jahre 1789 brach in Paris die Große Revolution aus, und der Nationalkonvent beschloss am 21. September 1792 die Umwandelung Frankreichs in eine Republik. Bald darauf erließ er die Erklärung, die Revolutionsarmee Frankreichs sei bereit, alle Völker zu unterstützen, die gewillt seien, ihre Herrscher zu vertreiben. Daraufhin traten die meisten Fürsten im westlichen Europa auf die Seite Österreichs, dem Frankreich schon im Jahre 1792 den Krieg erklärt hatte. Es entwickelten sich drei Kriege, die Koalitonskriege genannt, der erste 1792‑97, der zweite 1799‑1801 und der dritte im Jahre 1803. Der erste dieser Kriege endigte mit dem Frieden von Kampo Formio 1797, worin Österreich die Niederlande und die Lombardei an Frankreich abtreten musste und als Entschädigung nur das zur Republik Venedig gehörende Land links der Etsch mit Istrien und Dalmatien erhielt. Als darauf Napoleon 1799 in Ägypten kämpfte, hoffte Kaiser Franz II., die verlorenen Gebietsteile wieder zurückzuerobern zu können und begann im Frühjahr des genannten Jahres neben England, der Türkei und dem Königreich Neapel besonders von Rußland unterstützt, ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten. Die Franzosen hatten im ersten Jahr wenig Glück und erlitten in Oberitalien durch den russischen Feldherrn Sinvorow und in Oberdeutschland durch den Erzherzog Karl, einen Bruder des Kaisers, zahlreiche Niederlagen. Der "Odenwälder Landsturm" bildet nun eine Episode dieser letztgenannten Kämpfe.
Am 1. März 1799 überschritten die Franzosen den Rhein und überfielen am 2. März Mannheim. Von hier aus verbreiteten sie sich rasch über die Rheinebene und besetzten die Orte an der Bergstraße, darunter auch Weinheim, mit Dragonern, denen die Infanterie nachfolgte. Von da aus ließ der Kommandant der Franzosen "sogleich hierher und weiter hintennaus (in den Odenwald) patrollieren, welche Patroll ‑ ohne dass sich selbige wie gewöhnlich gut bewirten ließ ‑ sonsten sich nicht feindselig äußerten". Letzteres geschah aus Berechnung, da sie die Bewohner für ihre neuen Ideen von Freiheit und Menschenrechten zu gewinnen suchten. Die Odenwälder wollten aber davon nichts wissen, und als dazu noch der französische Kommandant den Ritterkanton "Ottenwald" mit einer "starken Kontribution in Geld belegte, da entwickelte sich ein gewisser Eigensinn in dem sonst so kaltblütigen, druckenen Odenwälder Bauern, sich zur Wehr zu stellen und für die Sache ihres Eigentums, Religion, Sitten und Gesetzte zu streiten".
Die Bewegung nahm ihren Anfang nicht hier, sondern in weiter zurückliegenden Orten, doch ist nicht mehr festzustellen, wo die ersten Anfänge zu suchen sind und auf welche Weise sie dort hervorgerufen wurden. Bekannt ist nur, dass den Mittelpunkt der Bewegung Waldmichelbach bildete, wo sich auch das Hauptquartier des Landsturms befand.
Zuerst vereinzelt, dann immer zahlreicher erschienen die bewaffneten Bauern hier in Birkenau, und der Freiherrliche Wamboltische Amtmann Urbani schreibt am 13. April 1799: Wir sehen uns durch die fast allgemeine Stimmung der Odenwälder, besonders Mainzischer Untertanen gegen die Franzosen in einer sehr kritischen Lage; denn diese Bauern streifen Tag und Nacht, zu Fuß und zu Pferde mit Seitengewehr, Pistolen und Flinten zu 10‑20‑30 in den Hecken und Waldungen und Straßen umher; so kam gestern Vormittag der Amtsvogt Kraus von Fürth mit einem Advokat Wailand von Heppenheim in Begleitung von 16 berittenen und bewaffneten Bauern mit bloßen Seitengewehr vor dem Haus vorbeigesprengt, jagte so bis an des Kinscherfs seine Schneidemühle, ein Teil davon blieb auf der Straße halten und dann galoppierten sie wieder gegen Reisen zurück". ‑ Und Amtmann Bouthelier schreibt darüber: "Die Bauern streifen bei Tag und Nacht und besetzen zu 200 und mehr auch unsere Grenze, die Gebüsche gegen die Kinscherfische Mühle über; ohngeachtet die hiesige Gemeinde hiervon nicht den mindesten Anteil nimmt, so haben wir jetzt täglich alles zu besorgen (befürchten)". ‑ Über die Begebenheiten dieser Tage sowie über den 14. April berichtet die Urkunde von Schneider: "Angefangen durch die hier rückliegenden Pfälzer, Mainzer und gräflich Erbachischen Untertanen, machten selbe starke Patrollen hierher und an die Weinheimer Grenze, besetzten nächtlicher Weise den Paß allda, und kamen endlich den 14. April auf einen Sonntag zu Hunderten hierher, forderten die Birkenauer mit Ungestüm und Bedrohung auf, sich mit zur Wehr zu stellen. Herr Amtmann Bouthelier dahier, ‑ welcher anfangs gegen die nächtlichen Patrollen hierher, bei Herrn Amtsvogt Kraus zu Fürth protestierte ‑ kam auf nämlichen Tag von Weinheim heraus und wurde von selben, wie den hiesigen Untertanen, die bedrohenden Vorwürfe gemacht, welcher sodann von einem ganzen Schwarm umgeben, alles versprach, und von der Menge dieser so geschwind gestempelt gewesenen Bauern‑ Soldaten auf eine Möglichkeit geschlossen, dem Feind sich respektable machen zu können, und sonach befohlen, ‑daß die Birkenauer ‑ wozu schon im Voraus ein großer Teil gestimmt und parat war, ‑ auch bewaffnet sich auf die Grenze begeben sollten, Als dies begann, zog abends der größte Teil dieser odenwäldischen Bauern und Patrollenläufer wieder mit ihren Anführern, Herrn Amtsvogt Kraus und Herrn Oberamtsverwalter Mack von Lindenfels, von dieser Wachtparade zurück. So engagiert, wurden nun die guten Birkenauer dieser odenwäldischen Bauernkorps als Mitstreiter einverleibt, welche aber bald empfunden, was sie getan hatten; denn das nun fortwährende Piketerstehen, die Nähe des Feindes, die fürchterlichen Vorstellungen bei leicht möglichem Durchbrechen des Feindes, das erste Opfer seiner Wut zu werden usw. durchkreuzte nun die hiesigen Bewohner, und wenn nicht die gleichsam angezwungene Teilnahme an dieser Selbstwehr noch in etwas beruhigte und den Vorwürfen unter sich selbsten vorgebeugt hätte, die Reue würde bei einigen nicht zur Verzweiflung gekommen sein".
Nachdem der Aufstand durch den Beitritt der Birkenauer Cent ( es gehörten noch die Orte Nieder‑Liebersbach, Balzenbach, Hornbach, Kallstadt und Rohrbach dazu) eine nicht unbedeutende Verstärkung erhalten hatte, ging man in aller Eile daran, die sich bis jetzt noch unregelmäßigen Ahufen der Abuern zu organisieren. Der Amtmann Bouthelier wurde dabei zum Oberbefehlshaber des Landsturms und Kommandanten des Birkenauer Tales bis Fürth ernannt und ihm die Schultheiße von Reisen und Mumbach als Adjudanten beigegeben. Die Bauern wurden in Kompagnien eingeteilt und die besten Schützen zu sog. "Scharfschützen"‑Kompagnien vereinigt.
Amtmann Bouthelier hatte schon vorher zum Schutze unserer Cent allerlei Veranstaltungen getroffen und an der Grenze starke Verhaue anlegen lassen, dass es wie er selbst seinem Herrn schreibt, "glatterdings eine Unmöglichkeit war, dass feindliche Kavallerie zu uns hätte kommen können". Diese Verteidigungsmaßnahmen wurden nun noch bedeutend erweitert und außerdem unterhalb des Ortes 3 Kanonen aufgestellt, sowie 9 "Stark mit den besten Scharfschützen besetzte Piquetten (Feldwachen) eingerichtet, die von Bouthelier und seinen Adjudanten täglich 2‑3mal "visitiert" wurden. damit kein Spion "auch nur 1/4 Stunde nach Birkenau kam". Ein solcher sich noch hier befindlicher Pass lautet: "Den 17. April 1799. Peter Schell, Vorzeiger dieses, ist am Piqete nach Weinheim frei passieren zu lassen. Amtmann Bouthelier., als bestellter Kommandant des Weinheimer Tales".
Es ist klar, dass diese Vorgänge den Franzosen nicht verborgen bleiben konnten und daß es über kurz oder lang zu Zusammenstößen kommen mußte. Diese ließen in der Tat nicht lange auf sich warten, denn schon der 20. April brachte den ersten derselben.
Über dessen Verlauf berichtet Amtmann Bouthelier an Freiherrn Wambolt folgendes: "Den 20. April in der Frühe, gleich nach 2 Uhr griff der Feind, der bei 2000 Mann geschätzt werden konnte, wovon der größte Teil Infanterie war, die Ottenwälder im Trösler und Gorxheimer Tal an; die nicht genug gerühmt werdende Standhaftigkeit und Mut der dortigen Scharfschützen vereitelte alldort seinen ganzen Angriff, ‑‑ alsdann kam es an unser Tal, wo sie mit dem nämlichen Force zurückgeprellt wurden. Die höchst erbittert gewesene Attak dauerte bis gegen 1/2 6 Uhr hin morgens, wo zu Abzug des Feindes getrommelt wurde".
Die Aufregung in Birkenau während des Gefechts schildert Schneider: "Fortwährend tönte das ängstliche Gewimmer des Tages dahin, wo Scharen von Menschen, mit Hausrat belastet, den Wäldern zuirrten, und Mütter und Kinder todschreckend sich fürchten, wo Christen und Juden in Ängsten einander zuweinten, und Männer, mit Flinten und Gabeln bewaffnet, noch flüchtend verzagten, bis Nachricht gekommen, der Rückzug des Feindes sei eiligst erfolgt; und habe denselben, um durchzubrechen, die Furcht behindert; auch seien die Pässe schon wieder besetzt. Dann kamen sie wieder, die Flüchtlinge, nicht, als dächten sie keine Gefahr mehr zu haben: Nein, schrecklicher dachte man des Feindes nie als jetzt und des Abends: Man fürchtete sich nächtlich, wie morgens, überfallen zu werden, und dann wurde gepackt, geladen, gefahren zum Dorfe hinaus. Wie angstvoll hierauf die Nächte den wenig Gebliebenen wurden ist denkbar" ! ‑
In seinem Bericht fährt Bouthelier fort: "Von den Bauern können im Ganzen an Tod und plassierten bei 14 Mann ebenfalls gerechnet werden, die aber nicht sowohl von dem Feind, als von den w. Bauern erlegt wurden". Was "w" Bauern bedeuten soll, geht aus dem später folgenden "w" Brücke hervor: es heißt zweifellos "Weinheimer". Nun ist gewiss nicht anzunehmen, dass die Weinheimer auf Seiten der Franzosen gekämpft haben, wie die Angabe Boutheliers vermuten lässt. Es wird wohl so gewesen sein, wie Schneider berichtet: "Verworfene führten die Feinde zum Überfall der Wachen heran". Dass die Franzosen in Weinheim Gesinnungsgenossen fanden, braucht noch lange kein schlechtes Licht auf unsere Nachbarstadt zu werfen, denn die Schlagwörter der Revolution waren Köder, denen wohl mancher nicht leicht widerstehen konnte, wenn man bedenkt, dass dieselben damals völlig neu und unverbraucht waren. Die Zahl der "Französlinge" in Weinheim muss allerdings nicht gering gewesen sein, denn Amtmann Urbani bezeichnet die Weinheimer allgemein als " französische Patrioten".
"Soviel man erfahren", fährt Bouthelier fort, "sind an der "w" Brücke bei 42 teils tod und plassierte Franzosen aufgeladen worden, ohne was im Trösler Tal gefallen sein muss. ‑ Von den hiesigen haben wir einen Toden und drei Verwundete" ‑ 1ter ist Johann Nikolaus Kadel der Wagner, unter den letzteren der ledige Georg Löw, der auch schwerlich wird davon kommen (nach dem anderen Bericht ist er am Abend noch gestorben) ‑ Georg Friedrich Müller, verehelicht und der ledige Michael Beck. Es war überhaupt eine der fürchterlichsten Massacre und die kummervollste Lage in Ansehung der geflüchteten Weiber und Kinder. Die Scharfschützen bezeichneten sich überall als die mutvollsten und geschicktesten Kämpfer, die gleich dem diszipliniertesten Militär standhaft auf ihren Posten ausgehalten haben".
Welchen Ausgang nahm aber das geschilderte Gefecht ? Jedenfalls ist es nicht von besonderem Erfolg für den Landsturm gewesen, denn die Berichte sind sich darüber einig, dass es "in die Reihen der Bauern Entmutigung brachte". Man geht wohl nicht fehl wenn man annimmt, dass die Franzosen im allgemeinen Sieger geblieben sind, und die Bauern zurückgedrängt wurden. Amtmann Urbani nennt den Tag für die Bauern einen "ungünstigen" und gibt als Grund für ihre Niederlage an, "weil die meisten mit schlechten Gewehren versehen, wenig oder gar keine Munition hatten und auch von Niemand erfahrenem angeführt worden seien". Ähnlich berichtet auch die Pfarrchronik, die von einem "unordentlichen Rückzug der Bauern" spricht. (Auch in der "Geschichte der letzten 120 Jahre" von Menzel ist ‑nach Fuchs ‑ zu lesen: Nur die Odenwälder standen auf und schlugen sich mit den Vorposten herum, erlitten aber am 20. April eine Niederlage bei Weinheim.) Dass der Zusammenstoß "einen solchen Schrecken unter die Bauern verbreitete", wie Urbani seine Betrachtung schließt, "dass viele nicht mehr auf ihren Posten gehen wollten", ist darum leicht zu begreifen. Da aber keiner der Augenzeugen von einem neuen Angriff der Franzosen am nächsten oder an den nächsten Tagen etwas meldete, ist wohl anzunehmen, dass auf Seiten der Feinde der "Siegesjubel" nicht besonders groß gewesen sein mag ! ‑
In die Verteidigung des Odenwaldes kam erst wieder mit dem 15. Mai ein neuer Zug. An diesem Tage erschienen zur Unterstützung des Landsturmes von Würzburg kommend 500 Mann "Kaiserliche Szekler Husaren" in unser Tal und wurden in Fürth und Mörlenbach stationiert. Weitere 200 Mann Kavallerie und Infanterie lagerten in Erbach, doch wird in keinem Bericht erwähnt, dass Abteilungen dieser letzteren hier in unserm Tal eingegriffen hätte; es ist vielmehr stets nur von Husaren die Rede.
Die Ankunft der Husaren entfachte wieder neuen Mut in dem Landsturm, und auch die Furcht der Birkenauer Einwohner vor feindlichen Überfällen verschwand, "wie nach der aufgehenden Sonne des Morgens der Nebel entflieht".
Die nachfolgenden Ereignisse schildert Schneider so anschaulich weshalb sein Bericht unverändert wiedergegeben sei: "Kaum kam Herr Obrist‑Leutnant von Szeklers Husaren, Baron von Gehringen, so sah er und schreckte den Feind, der wütend dem Odenwald drohte. Bald ließ er seine Husaren vorrücken ‑ die machten Patroll durch Birkenau, Weinheim und auf die Bergstraße. Die Feinde betroffen, verließen ihre Stellung und zogen sich an den Neckar zurück ‑‑‑‑‑‑ (ausgelassen, weil unwichtig). Der Feind, wieder vom Schrecken erholt, wagte die Schande zu rächen, von wenigen Husaren und Bauern zurückgedrängt zu sein. Viele Vorpostengefechte auf dieses tagtäglich vorfielen; Wo öfters der Odenwald‑Pässebesetzer sich kühn gewagt, den Husaren freiwillig ins Feuer und Kampf zu gehen.
Die gräflich Erbachische und Mainzer verbündeten Teilnehmer, bewiesen gar schön, was deutscher Gemeingeist und Treue noch kann, wie unermüdet selbe die vordere Verteidigungslinie mit Mannschaft besetzen und alles, was möglich, wie Brüder getan; und standhaft und treu zur Unterstützung in Nöten gewesen, wenn alles in Alarm (durch das Läuten der Sturmglocken) durch feindliche Angriffe gesetzet. Die Heppenheimer, Liebersbacher, Birkenauer und Gorxheimer Bewohner müssen noch rühmen, was Treuheit und nachbarliche Hilfe vermag. ‑
Nichts, nichts, verdient aber verglichen zu werden an sorgender Treu wie die, so die Husaren und Bauern‑Verteidiger dem Landmann erzeigt: Die Feinde zu Tausend, rachzornig und wütend, durch Kühnheit gereizt, vermochten mit Stärke, List und aller Anstrengung von Kräften, die tapferen Streiter zu keiner Abtrennung vom Landmann bewegen: Freudig, wie Helden, starkmutig wie Löwen ganz furchtlos gestritten, errungen sie Siege auf Siege gegen die fränkische Infanterie; von ihnen die Bauern zwischen die Pferde genommen, schützten sie selbe; und nahmen Gefahren großmütig auf sich. Verwundet, getötet, gefangengenommen ward demnach das Los so manchen betroffen in diesen Bergsträßer Patrollgefecht: Weil Hundert gegen Tausend standen. so wars unmöglich stets siegend und schlagend den Kampfplatz und das Schlachtfeld zu bestehen:
So war auch letzthin bei Schriesheim der Fall, morgens den 30. Mai in dunkler Dämmerung von andern geführt, umging der Feind die Husaren‑ und Bauern‑Pikatore und warf sich in Schriesheim hinein. Als nun die Franzosen die vorderen Posten zurückgedrängt, und erstere vom Feind von vorne und hinten umzingelt waren, so sprengten die meisten durch Schriesheim und mitten durch den Feind hindurch; indem hier nicht Tapferkeit, sondern die feindliche Menge entschied.
Dieser Verlust und Überfalls‑Schade wurde bald wieder wett gemacht: Vor Heppenheim, Weinheim und Bensheim hinaus ‑ bestahlet mit Blut ‑ trafen die Husaren, dem Rhein ganz nahme, die Feinde und schlugen dieselben und machten gefangen, was Blut und Tod scheute; und so wurde gerächt der Vorgang bei Schriesheim. Man löste uns aus. ‑ Diese Husaren‑ und Bauern‑Pikotor ‑ dem Feinde sich furchtbar gemacht ‑ drängten sie nun selben in Mannheim und über den Neckar zurück."
Mit der Vertreibung des Feindes aus unserer Gegend ist der erste Abschnitt beendigt. Der Landsturm löste sich auf, und die Bauern kehrten "zu ihren Wohnungen und Hantierungen zurück". Am 25. August brachen auch die Husaren auf und zogen mit ihrem hier unterhaltenen Lazarett in das Neckartal.
Es folgen hier noch die Namen der Husaren‑Offiziere: "Herr Obrist‑Leutnant von Gehringer, Szekel, Benkö und Bayer, Lazar, Keuhl, Mottock, Bemesch, Schimon pp".
Teil II
Die Ruhe sollte jedoch nicht von allzulanger Dauer sein. Schon zu Anfang des Septembers zog eine Abteilung Franzosen die Bergstraße entlang nach der Festung Philippsburg und berührte auch Heppenheim (Starkenburg 3/4, Seite 14). Da Schneider dieses Ereignis ebenfalls gedenkt, mag sein Bericht hier folgen: "Den 1. September 1799 fiel zu Heppenheim zwischen einer etliche 1000 Mann starken Kolonne Franzosen, welche die Bergstraße herauf nach der Festung Philippsburg zogen, und einigen 100 Mann Bauern, die ohne gehörige Anführung und ohne alle Einsicht und Verhältnis auf die Stärke des Feindes, Feuer auf denselben gaben ‑ eine unzeitige Attacke vor, wobei die Stadt Heppenheim nicht nur durch diese unvorsichtige Reizung der Bauern geplündert wurde und sonstige Drangsale erleiden musste, sondern auch in Gefahr stunde, abgebrannt zu werden". ‑
In der ersten Oktoberhälfte überschritten nach unserm Berichterstatter 8‑12000 Franzosen bei Mainz den Rhein, drückten die schwache Gegenwehr zurück und drangen durch das "Darmstädtische" gegen die Bergstraße vor. "Worauf den 14. besagten Monats schon französische Furagierer, Reiter und Infanterie, hierher nach Liebersbach und Balzenbach, und den Tag darauf auch nach Birkenau kamen, welche aber abends, mit dem, was sie requirierten, wieder abzogen. ‑ Bei deren Vorrücken an der Bergstraße, stellten nun selbe den 17. Oktober
schon Vorposten in das Birkenauer Tal bis auf die hiesige Grenze an den Galgen; und musste die hiesige Gemeinde gleich den 2 ersten Piketer hierher die Kost und den Trank verabreichen, Furage geben und die Wachtfeuer unterhalten, welche Piketer aber jedesmalen nachts wieder nach Weinheim zurückgezogen wurden.
Als nun mittlerweile unter Vorwirkung des von k. k. Szekler Husaren Obrist‑ Leutnants, Herr baron von Gehringer, der schon im Frühjahr bestandene Landsturm aufgetreten um sich wieder zu verteidigen und ihre Gegend und Herd zu schützen, so fehlte es abermals selbigen Bauern nicht an Mut und Ehrbegierde, als Zeugen, nach d. k. k. . Szeklerschen Husaren, abzugeben, und im Stolzsein dieser so ausgezeichneten Bekämpfer des Feindes, zur Seite vor den Feind führen zu lassen.
Diese abermalige Gegenwehr, so roh und ungebildet sie auch noch war, und so wenig innerliche Festigkeit ihr auch wegen Ermangelung regulierter Infanterie als Artillerie gegeben werden konnte, wäre dieselbe dennoch kräftiger geworden, wenn nicht die so tapferen Szeklerschen Husaren, deren Regiment ohnehin nicht vollzählig war, wegen der langen Verteidigungslinie, von der Darmstädtischen Grenze bei Schönberg an, bis an den Neckar bei Hirschhorn und Heidelberg, sich so sehr hätten schwächen müssen.
Auf den 29. Oktober, Dienstags‑ Morgens, machten einige von Szeklers Husaren, wie auch die Franzosen hierher Patroll: Die Husaren zogen sich etwas zurück und lockten die französische Patroll, die immer stark war, vor hiesiges Dorf hinaus, wo die Bauern gleich von den nahen Bergen auf den Feind anfingen zu feuern, und diesen auch ob derselbe schon von seinem nahem Posten Verstärkung an sich zog, zurück nach Weinheim drängten, wo er alsdann seinen ganzen Schwarm zusammennahm und die Bauern wieder zum Rückzug nötigte. Der Verlust an diesem Tage ‑ an welchem Morgen der hiesige Schultheiß Hofmann, Anwalt Jöst und der herrschaftliche Verwalter Güthel als Geisel von den Franzosen mitgenommen worden,
war auf beiden Seiten gering. Bemerken muss ich doch noch hierbei, dass man mich, den Gerichtsschreiber, aufsuchte, um mich als Geisel mitzunehmen; allein da ich alle Morgen mit Tagesanbruch auf den Kirchturm stieg, um die beiderseits ankommenden Patrollen zu beobachten, so fand man mich nicht.
Den 30.Oktober, als den Tag darauf, machten die Franzosen ein Gegenstück des Angriffs, und zogen mit einer kleinen Kanone ‑ die sie zu Reisen lösten und den dortigen Schultheißen durch das Gebäude schossen ‑ nach Mörlenbach bis ober Zotzenbach, und jagten die schwach besetzten Bauern‑Piketer überall zurück; bis endlich der Feind genugsam geplündert, nachmittags wieder in seine vorige Stellung nach Weinheim zurückging: dabei aber beinahe dessen Kanone eingebüßt hätte, wenn nicht die stille Anrückung der halben Reserve‑Eskadron unter der Anführung des Rittmeisters von Benkö samt dem Oberleutnant Keil, mit Anschluss einer Anzahl Mainzer Linien‑Truppen und Landsturm, dem Feind durch einen Holzmacher zufälligerweise verraten worden wäre.
Den 31. Oktober fiel hier kein Gefecht vor, wohl aber wurde hiesigem Orte vom Feind eine namhafte Hafer‑ und Heulieferung angesetzt, welche Requisitionen aber, als schon alles geladen war, wieder mit Geld, worauf es nur abgesehen war, durch mich mit zwei französischen Talern abgekauft, und den Eigentümern wieder zurückgegeben wurde; dabei wurde aber doch noch das beste Pferd hier ‑ das ich angeben sollte, aber mich indessen versteckte, und von einem Gerichtsmann dennoch angezeigt, mitgenommen wurde.
Diese Tagesstille nun wurde von dem Landsturm dazu bezweckt, dass man sich zu einem allgemeinen Angriff auf den folgenden Tag, als den 1. November, anschickte; und kaum begann der Tag Allerheiligen ‑ als an welchem die hiesige Gemeinde eben im Begriff war, ihr Geisellösungsgeld durch den hiesigen Schultheiß, der in der Absicht entlassen war, fortzuschicken, so kamen zwei Mann von Szeklers Husaren ins Dorf um Kunde einzuziehen; worauf bald zwischen den beiderseitigen Patrollen geplänkelt wurde, und ging ‑ als inzwischen der Landsturm vorrückte ‑ das Lärmen der Attacke an. Ein Zug Szekler Husaren war mit seinem tapferen Anführer Leutnant Bemesch auf die Landstraße im Dorf postiert, und Rittmeister von Benkö hielt mit einem etwas stärkeren Trupp Husaren hinterm Dorf gegen Kallstadt in einem Hohlweg verdeckt vor, wo, nachdem Ersterer des Feindes Grenadier zu Pferden (von uns die Bärenkappen genannt) aus dem Weinheimer Talweg auf das obere Feld vor Birkenau heraus manövriert. Letzterer wie ein Wetter mit seinen Hinterhalt durch das Dorf hier durch, auf die Franzosen hinstürzte, die dann den pfeilschnellen Hieben der Szeklers Husaren zu entfliehen, in größter Unordnung und Verlust sich nach Weinheim retirierten. Das Gefecht auf dem hiesigen beiderseitigen Gebirge, als wie auch das zu Gorxheim zwischen den Bauern und des Feindes sogenannten Grundelchen zog sich in gleiche Zeit mit dem von der Reiterei, oben so rasch vor, und wurde sonach der Feind überall, wie vor der Stadt geschlagen und verfolgt, auch gänzlich aus Weinheim vertrieben.
So wie es aber nicht selten geschieht, dass auch bei ganz regulierten Truppen die errungenen Vorteile über den Feind, in der Hitze nicht mit Vorteil benutzt werden, so ging es auch hier den vor Freuden und Einbildungen trunkenen Bauern: Sie glaubten ganz das Ziel und Ende ihres Zwecks erreicht und übersprungen zu haben, und überließen sich sonach größeren Teils einer gänzlichen Sorglosigkeit und dem berauschenden Gefühl. Der geschlagene, aber nicht ganz zersprengte Feind sammelte sich wieder und zog noch Verstärkung an sich und rückte wieder schnell auf Weinheim vor: und so war es natürlich, dass so eine unregelmäßige Streitmaschine, als die Bauern, die zugleich in diesem Zeitpunkte den zweckmäßigen Orde der Husaren‑Offiziere im geringsten nicht nachkamen, in solchem Zustande keiner Gegenwehr mehr fähig war. Die Bauern liefen also in Unordnung wieder nach ihren Gebirgen rückwärts und ließen manchen der Ihrigen nicht selten berauscht im Blute liegend zurück, und ward sonach der zuerst weit größere Verlust des Feindes am Ende wieder gegen den der Bauern ihrem um etwas gemindert; schon auch der Feind den Verlust seines Adjudants, Grenadier zu Pferd (als der durch einen höchst unvorsichten Zurück‑Ritt in der Stadt Weinheim währenden Gefechts am Oberentor erschossen wurde) den Bauern immer noch sehr über nahm. Die Szekler Husaren hingegen, begnügten sich selbigen Tags ihre Tapferkeit aber malen bewiesen zu haben, und zogen sich in Ordnung mit ihren Gefangen gemachten zurück, wo die Franzosen alsdann auch selbigen Abend noch ihre alte Position einnahmen.
Hierauf wurde der odenwäldischen Verteidigungssache ein anderer neuer Schwung gegeben. Die Stimmung des ganzen Mainzischen Volkes war mehr als von andern zur Wehre zu gehen. Herr v. Albini, kurmainzischer Staats‑Konferenz‑Minister und Kanzler, wusste hiervon Gebrauch zu machen, und organisierte dieses in vieler Rücksicht gewiss schwer ausführbare gefährliche Werk.
Acht Tage nach obigem Vorfall, rückte schon ein Teil von dem Mainzer Landsturm, in Vereinigung der Szekler Husaren und Mainzer Infanterie auf die hiesige Verteidigungslinie vor, als eben der Feind, der hiervon Nachricht erhielt, in der Nacht auf den 8. November sich von Weinheim zurückzog. Den Tag darauf wurde sonach hiesiger Pass mit 60 Mann Mainzer Infanterie und dem Landsturm, dann den Aschaffenburger Freiwilligen, zusammen mit ungefähr 150 Mann Mainzer, ohne die von Szekler Husaren Patroll 12‑15 Mann dazugerechnet, besetzt; und wurde sodann gleich bei der untersten hiesigen Mühle ein Schanzgraben aufgeworfen, die Straße verrammelt und Verhaue gemacht.
Bei denen nachherigen Gefechten machten mehrenteils die Franzosen ‑ ihre Furage‑Abholung zu Weinheim zu decken ‑ nur verstellte Angriffe, wurden aber jedes Mal mit Verlust wieder zurückgewiesen, und verursachten diesseits weiter sonst keinen Schaden, als dass sie etliche malen den diesseitigen Vorposten die Hütten abbrannten. Die erheblichsten unter solchen Angriffen waren die auf den 21. und 25. November, dann aber hauptsächlich der auf den 2. Dezember bei einem dicken Nebel; auf welchen Tag auch viele von dem Landsturm zu Hirschhorn, von dem Feind bei solcher Dunkelheit überfallen, zu Gefangenen gemacht wurden.
Bei welch letzteren Hauptvorfallenheit sodann die Szekler Husaren ‑ und unverzüglich das Benehmen des verdienstvollen braven Herrn Leutnants Bemesch, als der die Bauern am öftersten dem Feind entgegenführte ‑ dann das aufmerksame Betragen des Mainzer Herrn Hauptmann Stutzer mit Unterstützung dessen Infanterie, vorzüglich auch die Wachsamkeit, der Eifer und das furchtlose Betragen des Herrn Leutnants der Aschaffenburger Freiwilligen, Baron von Borsdorf, jedes Mal die gemachten Angriffe des Feindes auf hiesigen Pass wieder vereitelten und zurückwiesen, bis endlich gegen den 4. und 5. Dezember der Feind sich aus hiesiger Gegend über den Rhein gegen Mainz hinab zurückzog; worauf alsdann auch die hiesige Gegenwehr, oder der Landsturm ab‑ und am Rhein und den Main hinunter in die Kantonierungs‑Quartiere ging".
Soweit der Bericht Schneiders. Im Jahre 1825 setzte er eine Nachschrift darunter, der wir die Worte entnehmen, indem wir uns ihnen anschließen:" Wie und was man auch jetzt nach Jahren von solcher Odenwäldischen Wehrstellungs‑Geschichte denken und sprechen mag, so war solche immer merkwürdig genug, sich daran zu erinnern". –
Zum Schluß noch einen Blick auf die wirtschaftliche Lage unserer Gemeinde in jener Zeit. Im Juli 1799 richtete der Ortsvorstand von Birkenau ein Schreiben an die Ortsherrschaft, worin die traurige Lage der Gemeinde in den Worten Ausdruck findet: " Wir sind bald des Elends gewohnt, und machen mit, solange wir können. Der Reiche lästere und der Arme weine auch indessen über so hartes Schicksal, gut ! wir werden stoisch und unempfindlich denken lernen müssen und dann wieder weniger Not haben". Spricht schon hieraus die helle Verzweiflung und die ganze Trostlosigkeit der Lage, so ist dies noch viel mehr der Fall in einem am 19. Dezember 1799 an das Direktorium der Reichsritterschaft gerichteten Schreiben des hiesigen Gemeindevorstands. Darin werden die im Jahre 1799 von unserer Gemeinde gebrachten Opfer an Geld und Gut auf 5000 Gulden berechnet, eine für die damalige Zeit furchtbar hohe Summe, und es ist zu begreifen, wenn es in dem genannten Schriftstück heißt: "Das Jahr 1799 hat endlich der Gemeinde den uns schon lange geahnten Ruin herbeigezogen und selbe an den Rand des zerstörten Wohlstandes gebracht".
(Anmerkung: Birkenau gehörte damals zu den "Reichs‑Ritterschaftsorth Ottenwald", der einen Teil des "Fränkischen Ritter‑Cranzes" bildete, dessen Hauptstadt Heilbronn war. Die Ritterorte wurden zuweilen auch "Cantone"genannt.) ‑
Neben den Anfangs erwähnten Gedenkstein zu Gorxheim erinnern die "Franzosenschanze" in der Hohhecke bei Birkenau wohl ebenfalls an diese Zeit. Letzterer ist eine grabenartige Vertiefung, der man auf den ersten Blick ansieht, dass sie nicht durch die Erosion des Wassers entstanden sein kann, sondern ausgehoben worden sein muss, und auch keinem anderen Zweck als dem der Verteidigung gedient haben kann. ‑ Weiter oberhalb des Birkenauer Franzosengrabens steht am Waldweg Birkenau‑Kallstadt ein einfaches steinernes Kreuz ohne jegliche Jahreszahl oder Inschrift, "Franzosenkreuz" genannt. Niemand weiß über die Bedeutung desselben etwas bestimmtes zu sagen, doch ist anzunehmen, dass auch dieses Wahrzeichen mit den Ereignissen 1799 in Verbindung steht. Auch die hiesige Kirchenchronik vermag keine genaue Auskunft darüber zu geben, denn sie schreibt: "Die Fama erzählt, ein französischer Offizier sei dort im Kampfe mit dem Odenwälder Landsturm gefallen, als die Franzosen dort ein Fruchtfeld plündern wollten". ‑
Schatzgräber durchwühlten vor einigen Jahren den das Kreuz tragenden Hügel, wobei jenes seines Untergrundes beraubt wurde und umstürzte. Die hiesige Ortsgruppe des Odenwaldklubs richtete, in rechter Erkenntnis ihrer Aufgaben, den Hügel neu her, stellte das Kreuz wieder auf und bepflanzte den Platz mit Efeu und Immergrün, wofür an dieser Stelle Dank gesagt sei.
Autor: Rektor Pfeifer
-
Fröhliche und nachdenkliche Episoden
Kaum jemandem ist bekannt, dass der Birkenauer Ortsteil Kallstadt vor 100 Jahren ein reges geschäftliches Leben und sogar eine gut frequentierte Gaststätte hatte, schreibt Günter Körner, Gemeindearchivar der Gemeinde Birkenau. Eine frühe Ansichtskarte klärt auf: „Gasthaus im Kallstädter Tal von Ludwig Quenzer, Kallstadt, Post Birkenau.“ Sogar in Reimform wurde geworben: „Den Durst stillt Bier und guter Wein von Äpfeln und von Trauben. Auch gute Betten, weich und rein, sind da, Ihr dürft mir’s glauben!“ In der Gewerbeanmeldung ist der offizielle Name der Gaststätte zu erfahren – „Schildwirtschaft zum Bachebergen“.
Zum „Quenzer“, wie die Bevölkerung diese Gaststätte nannte, lag an der Landstraße zwischen Birkenau und Löhrbach, heute das Gehöft vor dem Landhotel „Lammershof“. Eine Anzeige wirbt für eine Tanzveranstaltung im Vorfeld von Fastnacht am 30. Januar 1909. Im Jahr 1912 ist von einem Maskenball die Rede. Auch unter dem Jahr fanden öfters Tanzveranstaltungen statt.
Gäste treten in „Bierstreik“
Im August 1910 wurde der Bierpreis erhöht, 0,3 Liter kosteten 10 Pfennige, 0,4 Liter 12 Pfennige und 0,5 Liter 15 Pfennige. Nur zwei Wirtschaften in Birkenau hielten zunächst den alten Preis.
Wenn man damaligen Berichten Glauben schenken darf, traten Gäste in einen „Bierstreik“, der allerdings nach kurzer Zeit abgebrochen wurde. 1909 muss es zwischen Maria Quenzer, der Ehemann war verstorben, und einem Gast zu einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung gekommen sein. Der beteiligte Löhrbacher zahlte wegen Beleidigung 3 Mark in die Waisenbüchsenkasse von Löhrbach.
Am 20. Oktober 1913 kam es zur Katastrophe, die Gebäude und Wirtschaftsgebäude brannten bis auf die Grundmauern ab. Bereits im November wurde der Regierungsbaumeister Knaup mit der Neuplanung beauftragt. Offenbar genügte erst der vierte Plan den Ansprüchen der Auftraggeberin. Bereits am 4. Juli 1914 erschien eine Anzeige „Wegen der Einweihung der neuen Wirtschaft in Kallstadt von Ludwig Quenzer“, fortan führte der Sohn die Geschäfte.
Die Gaststätte wurde ab Mai 1915 bis Februar 1920 an Adam Böhm, verpachtet. Danach wird 1931 Marta Müglitz als Pächterin erwähnt. Zwei Innenansichten aus den 1930er-Jahren nennen „M. Goerkes Gaststätte in Kallstadt-Birkenau“. Die Gaststätte hatte demnach einen offenen Kamin, 50 bis 60 Sitzplätze und auf den Tischen standen Blumen. Im hinteren Bereich des Gebäudes war ein Tanzsaal mit 90 Quadratmetern. Der damals moderne Ausschank war staffiert mit Weinflaschen, einer Preisliste und verschiedenen Bierreklamen, heute wäre es eine perfekte Nostalgiegaststätte, schreibt Körner.
Eine Begebenheit erinnert an die unselige Naziherrschaft und den Umgang mit Menschen, die nicht genehm waren. In Löhrbach wohnte eine alleinerziehende französische Staatsangehörige mit Kindern im Alter von einem halben, 3, 7 und 8 Jahren. Sie geriet immer wieder mit ihrem alkoholsüchtigen Vermieter in Streitigkeiten und sollte deshalb zwangsgeräumt werden. Der Löhrbacher Bürgermeister fragte wohl bei jedem infrage kommenden Vermieter im Ort nach, ob er für die Frau mit ihren Kindern Wohnraum hätte. Die Suche verlief ergebnislos. Am 26. September 1936 morgens um 4 Uhr wurde die Familie zu Maria Quenzer nach Kallstadt gebracht, die einige Räume für 3 Mark Wochenmiete zur Verfügung stellte. Weiter heißt es in einem Schriftsatz: „Frau X. ist bekanntlich Französin, soll demnächst sterilisiert werden. Hiergegen sträubt sie sich mit allen Mitteln, und behauptet, die deutschen Gesetze hätten für sie keine Gültigkeit. Ich beantrage das hiermit, sollte sie nicht einverstanden sein, so sollte umgehend der Abtransport nach Frankreich erfolgen.“
„So war die Gaststätte ,Quenzer‘ ein beliebtes Ausflugslokal, das lustig-fröhliche Episoden, aber auch Nachdenkliches erlebte“, schreibt Körner. Das Gebäude selbst wurde 1941 veräußert und dient heute Wohnzwecken und hat sein Aussehen seit dem Neubau 1914 nicht verändert.
Foto:
Blick zurück: Gaststätte Ludwig Quenzer im Kallstädter Tal bestand von 1909 bis um 1940 an der Landstraße zwischen Birkenau und Löhrbach
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
-
Das Schicksal einer Bettlerin zu Weihnachten 1772 in Birkenau
Man nennt sie von staatlicher Seite Durchwanderer. Personen, die sich auf den Sozial- und Pfarrämtern ein paar Mark ergattern. Im Volksmund werden sie als Penner oder Wermutbrüder bezeichnet. Meistens sind sie mit klapprigen Fahrrädern unterwegs, die unter der Last der kunstvoll aufgeladenen Plastiktüten, in denen sie ihre persönliche Habe untergebracht haben, fast zusammenbrechen. In Gesprächen ist zu erfahren1, dass Jahr für Jahr feste Routen, oft über hunderte von Kilometern, abgefahren werden, um dann an Weihnachten darauf bedacht zu sein, in einer Stadt Halt zu machen, die eine hohe Weihnachtsbeihilfe, z. Zt. um 50,- DM (=1989), auszahlt.
Ihre Zahl wird auf über 100.000 Personen geschätzt. Heute sind diese Außenseiter der Gesellschaft für den Staat finanziell verkraftbar. Hierbei ist auf die vielseitigen menschlichen Schicksale, die nach Möglichkeit zumindest gemildert werden sollten, natürlich nicht eingegangen.
Durchwanderer, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben, gab es schon in früheren Jahrhunderten. Auch sie waren Tag für Tag auf der Landstraße unterwegs. In Gemeinderechnungen, unter der Rubrik “Armenwesen”, finden sich Einträge wie “für einen armen abgebrannten Mann” oder “für einen aus dem Türkenkrieg” usw. Noch heute wundert sich der Leser über die Vorwände, mit denen ein paar Kreuzer erbettelt wurden. Regelmäßig nach kriegerischen Ereignissen stieg die Zahl dieser gescheiterten Existenzen sprunghaft an. Doch gerade nach Kriegen und sonstigen Bedrängnissen waren die Gemeindekassen leer, meistens waren noch zusätzliche Schulden aufgenommen worden. Eine Aufstellung über Aufwendungen für arme Personen für Birkenau von 1700—1850 zeigt, dass gerade in Notzeiten die Ausgaben für diesen Personenkreis reduziert wurden, obwohl das Gegenteil hätte der Fall sein müssen. Umso härter wurde der Konkurrenzkampf der Bettler untereinander. Der Hang zu Gewalttätigkeiten stieg. Hier sei nur an den Hölzerlips, der ebenfalls in unserer Gegend unterwegs war, erinnert. Freilich waren dies Ausnahmeerscheinungen, die von den verschiedenen Herrschaften mit allen Mitteln bekämpft wurden. Zunächst versuchte man, mit Verordnungen gegen dieses Unwesen vorzugehen. Für Birkenau wurde 1771 eine Polizeiverordnung mit 38 Artikeln erlassen3, die auf 64 eng beschriebenen Seiten versuchte, alle damals denkbaren Sachverhalte zu regeln. Der Artikel 7 mit seinen 4 Paragraphen umreißt sehr schön die Problematik der Nichtsesshaften, wie sie seinerzeit gesehen wurde. Deshalb werden einige Bestimmungen aus dieser Verordnung aufgeführt:
“Artikel VII, von Ausschaffung des fremden Bettelgesindels, denen Vagabunden und anderen dergleichen verdächtigen Leuten.
§ 1 Weilen [es] auch zu[r] Sicherheit der Publici [Öffentlichkeit] unumgänglich nötig sein will, daß die Ortschaften und Gemarkungen von fremden Bettelgesindel, Landstreicher wie auch allen andern Verdächtigen, nirgendswo Seßhaften, sondern dem müßigen Herumschweifen alleinig ergebenen Personen, worunter gemeiniglich gefährliche Spitzbuben sich befinden, alle Wege gesäubert und beständig rein gehalten werden, so ergeht hiermit zu Abwendung der ansonsten zu besorgenden [zu befürchtenden] Beutelschneidereien, Diebstählen, nächtlichen Einbrüchen und anderer dergleichen Freveltaten mein ernstlich geschärfter Befehl, daß jedermann, besonders die Dorßiäter und Feldschützen, auf alle sich einschleichenden fremden Bettler, Vagabunden und auf die zum Schein mit geringen [minderwertigen] Waren herumlaufenden Hausierer, Pfannenflicker, Korbmacher, eingleichen, die unterm Prätext [Vorwand], ihrer Eltern Grab zu besuchen oder Schulmeister abgebend [auf Stellensuche] zu wollen, im Land herumstreichende deutsche oder polnische Juden ein fleißiges Aufsehen haben, selbige bei ihrem Betreten anhalten und sogleich vor dahiesiges Amt fuhren sollen, welche sodann
§ 2 von derlei eingeführten Personen die Pässe sich vorzeigen zu lassen. Selbige [Pässe] prüfen, ob sie falsch oder authentisch seien, [fragen] , woher diese Leute kommen? Wohin sie wollen? Womit sie sich ernähren? und was ihr[e] Verrichtung im Land sei? Genau zu examinieren [zu fragen], allenfalls auch ob [wenn] sie sonst was Verdächtiges bei sich tragen mögen, wohl zu visitieren und nach Befund der Sache in Haft zu nehmen, sofort den ungesäumten Bericht darüber an mich zu erstatten, sonst aber, sofern es nur an vollständiger Legitimation fehlt, diese durch die Auswähler über die Grenze ausweisen, im nochmaligen Übertretungsfall hingegen sie mit einer ihrer Konstitution angemessenen Tracht Schläge fortschaffen zu lassen hätte.
§ 3 So viel die fremden Betteljuden im speziellen betrifft, diesen sollen, wann sie [sich] auch gleich legitimiert haben, dennoch nicht länger als eine Nacht oder den Schabbes der Aufenthalt gestattet werden, es sei denn, daß durch vorkommende erhebliche Ursachen das hiesiges Amt sich bewogen fände, denselben eine kurze Zeit zu vergönnen. ”
§ 4 befasst sich mit der Beherbergung fremder Personen, die Jahrmärkte besuchen und ist für das weitere Verständnis nicht erheblich.
Amtmann Krauß, der Vertreter des Freiherrn Philipp Franz Wambolt von Umstadt4, der es auch trefflich verstanden hatte, die Meinungsverschiedenheiten zwischen der katholischen und evangelischen Bevölkerung zu nähren, ließ die Polizeiverordnung verkünden und war bereit, gegen Übertreter mit aller Schärfe, d.h. mit Landesverweisung, Prügel und Geldstrafen vorzugehen. Entsprechend verbreitet war die Angst der Einwohner, durch unliebsame Zeitgenossen denunziert zu werden.
So nahm ungefähr 10 Tage vor Weihnachten 1772 ein tragisches Geschehen seinen Lauf, das bei etwas mehr Menschlichkeit hätte vermieden werden können. So hatte Birkenau 1772 seine eigene Weihnachtsgeschichte.
Der wamboltische Gärtner Johann Heinrich Odenwald gab am 26. Januar 1773 in Mainz aufgrund eines Befehls des Ortsherrn einen Vorgang zu Protokoll’, nachdem die Wogen der Empörung über diesen Vorfall hoch geschlagen waren:
“In Gefolg gnädigen Befehls, den herrschaftlichen Gärtner Johann Heinrich Odenwald über jene Umstände zu vernehmen, welche sich unlängst zu Birkenau in Zusammenhang mit der verstorbenen fremden Weibsperson zugetragen, wurde demselben ernstlich auf gegeben, daß er alles, was ihm von der Begebenheit bekannt, ohne mindeste Personalrücksichten [in Bezug auf Amtmann Krauß] getreulich anzeigen solle, worauf er dann auch den ganzen Vorgang der Wahrheit gemäß erzählen zu wollen, versprochen und folgendermaßen angegeben hat:
Die Müllerin Schab selbst habe ihm gesagt, daß die Weibsperson mit einem bei sich gehabten ungefähr 314 Jahr alten Kind acht oder zehn Tage vor Weihnachten zum ersten Mal zu ihr gekommen und um Beherbergung, nur auf eine Nacht inständigst gebeten, welche sie auch derselben, weil es schon spät gewesen, in der Scheuer gern bewilligt hätte, nachdem aber selbige sich 2 Tage und Nächte bei ihr aufgehalten, so hätte sie aus Furcht, sonst bestraft zu werden, ihr ausgeboten und bedeutet, anderswo eine Unterkunft suchen zu wollen, worauf sie auch, ohne daß man wisse wohin, fortgegangen. Zwei Tage danach wäre diese Person wiederum zu der Müllerin gekommen, um nochmalige Aufnahme mit dem Vermelden wehmütigst bittend, daß sie krank und keinen Schritt weiter [zu ] gehen im Stand sei, wodurch dann jene [die Müllerin Schab ] nach vielen Lamentieren bewogen worden, sie aufzunehmen und aus Mitleid einige Tage bei sich zu behalten, in Hoffnung, daß sie inzwischen sich wieder erholen und zu Kräften kommen würde. Da aber die Müllerin gesehen, daß die kranke Person von Tag zu Tag schwächer werde, so habe sie es dem Herrn Amtmann angezeigt, welcher ihr darauf einen Verweis gegeben und gesagt: Ihr seid straffällig, wißt Ihr nicht, daß es in der herrschaftlichen Verordnung scharf verboten ist, dergleichen fremde Leute aufzunehmen? Ich befehle Euch, daß Ihr diese Person mit ihrem Kind sogleich fortschaffen und in den nächsten Ort, falls sie nicht mehr gehen kann, fahren lassen sollt, sonst müßt Ihr dieselbe begraben lassen, alle Kosten aus Eurem Sack bezahlen und das Kind aufziehen und ernähren.
Durch diese harte Drohungen wäre die Müllerin so geängstigt worden, daß sie die kranke Person durch ihren Knecht auf einen Karren noch in selbiger Nacht nach Reisen bringen lassen, wo sie unweit des Schultheißen Haus, nahe am Weg, wie ihm Deponent [Berichtgeber]. eine [Frau] von Reisen erzählt hätte, gleich einem Stück Vieh abgeladen worden und etliche Stunden, nämlich bis an den hellen Tag, auf der Erde liegen geblieben wäre. Den selbigen Tag hätten die Reisener die kranke Frau auf einem Wagen mit Stroh und einem Kissen zugedeckt wieder nach Birkenau an das herrschaftliche Haus [Schloß] zurückgebracht und es sogleich dem Herrn Amtmann angezeigt, auf dessen Befehl sie mit ihrem Kind zu der Müllerin gefiihrt worden, letztere hätte zwar jene gutwillig aufgenommen, doch bei dem Herrn Amtmann sich erkundigt, wie sie sich denn jetzt zu verhalten habe, worauf derselbe scharf anbefohlen genannte Person samt dem Kind unverzüglich wiederum aus dem Ort fortzuschaffen, es möge sein, wohin es wolle: welches auch die Müllerin befolget und die kranke Frau mit dem Kind, die sie sonst aus Barmherzigkeit gern bei sich behalten hätte, in der Nacht gegen den Tag durch Peter Flohr [heute Florig], dem sie sogar den Fuhrlohn noch zahlen müssen, gerad nach Mörlenbach an dasige Ziegelhütte vor dem Ort führen lassen. Allda wäre sie zwei Tage liegen geblieben und dem Vernehmen nach von dem Herrn Pfarrer mit den Heiligen Sakramenten versehen worden. Danach hätten die Mörlenbacher die Frau mit ihrem Kind des nachts nach Birkenau zurückgeführt und [bei] des Eisenhauers Stall abgeladen. Der Eisenhauer. welcher vor Tage morgens früh um 4 Uhr nach Mörlenbach gegangen, hätte zwar Stroh am Weg liegen selten, die kranke Person aber nicht beobachtet, sondern Deponent wäre der erste gewesen, der sie, als er früh um 6 Uhr in den Garten gehen wollen, auf etwas Stroh nahe am Weg liegend wahrgenommen, daß dieselbe, wenn damals eine Fuhre nur einige Schuh breit außer dem Weg vorbei gekommen wäre, gar leicht hätte überfahren werden können.
Er sei sogleich in das Schloß gegangen, um es dem Schultheiß zu melden, habe aber diesen zu Hause nicht, sondern bald darauf auf der Straße, wo er ihn gesucht, angetroffen und demselben die Anzeige davon getan, welcher geantwortet, er wolle bei Herrn Amtmann Odre [Anweisung holen], zu welchem er sich auch gleich begeben hätte und da demnächst derselbe zu der Lagerstatt der kranken Person gekommen, auf die von ihm Deponent in Gegenwart des Bürgers Flohr getane F rage, was hat dann Herr Amtmann für Anstalten gemacht? erwidert: ich solle sie nach Viernheim fahren lassen und eine Fuhr bestellen, zu welchem End er dann ins Dorf gegangen ist, mittlerweile hätte man die arme Person beim Regen unter dem freien Himmel ohne alle Hilfe liegen lassen. Da nun der Deponent gesehen, daß dieselbe schon blau im Gesicht werden, wäre er geschwind wiederum zu dem Schultheiß gelaufen und hätte es ihm angezeigt, worauf aber derselbe geantwortet: dies ist bei dem gegenwärtigen rauhen Wetter gar kein Wunder, die Fuhr wird gleich kommen, sie abzuholen.
Als er hiernächst zu der fremden Person zurück gegangen, hätte sie schon den Geist aufgegeben. Diesem nach wäre endlich der Herr Schultheiß auf den Platz gekommen und hätte den vorher beständig verschlossen gehaltenen Stall, wozu er den Schlüssel in Händen hatte, geöffnet, den Leichnam durch Nikolaus Helfmann hineinlegen und das Kind auf Befehl des Herrn Amtmann durch die alte Jostin zu der Müllerin [Schab] tragen und ihr bedeuten lassen, daß sie das Kind nunmehr bei sich behalten und auf ziehen müßte. Diese hätte es [das Kind] auch gutwillig angenommen. Ihr Sohn aber absolut dieses nicht zugeben wollen, solches im Haus zu behalten, weswegen das elende Kind unter dem Schuppen gelegt, dort bis am Abend liegen lassen, endlich aber auf Zureden der Zimmermännin in die Stube gebracht und von dieser, weil es vor Kälte schon ganz steif gewesen, mit warmen Tüchern gewärmt, sodann an den Ofen gelegt worden wäre, worauf es wieder zu sich gekommen wäre.
Des andern Tag nach 9 Uhr wäre die Verstorbene von dem Pater Ferdinand [ein Weinheimer Karmeliterpater] begraben worden, welcher sich über dieses unmenschliche Verfahren auf dem offenen Kirchhof ausgelassen, es wäre unverantwortlich und gewiß in der ganzen christlichen Welt noch nicht geschehen, daß eine arme kranke Person auf so unbarmherzige und barbarische Art mißhandelt worden. Gott würde es nicht ungestraft lassen, mit einem Stück Vieh ginge man nicht so abscheulich um. Worauf alle umstehenden Leute gesagt: es wäre wahr, an des Kinscherfs Pferd hätte man das Beispiel gesehen1’. In allen benachbarten Orten wäre dieser ärgerliche Vorgang bekannt, er mache ein großen Aufsehen und von jedermann würde es den Birkenauern vorgeworfen. Was das Kind anbelange, so hätte der Deponent schon bei dem Begräbnis jene fremde Person wahrgenommen, welche das Kind verlangt hätte und auch mit Order des Herrn Amtmanns aufgefolgt [ausgefiihrt] worden wäre, wie der vernommen, sollte sie von Kaiserslautern sein".
Zu dem menschlich bewegenden Vorgang sind einige ergänzende Angaben, die als Einschub den Originaltext gestört hätten, vonnöten. Der Name der armen verstorbenen Weibsperson und ihres Kindes sind nicht bekannt. so dass nähere Informationen, die sich evtl. aus einem Kirchenbuch ergeben könnten, nicht zu erlangen sind. Bei dem zum Zeitpunkt des Ablebens der Mutter ungefähr 3/4 Jahre alten Knaben handelte es sich um ein durch einen Wolfsrachen oder eine Hasenscharte entstelltes Kind. Zu seiner unglücklichen Abstammung kamen also noch andere belastende Vorgaben hinzu. Bis zum Ableben der Mutter allerdings dürfte diese Behinderung, wenn man dies so ausdrücken kann, von Vorteil gewesen sein, da durch das Vorzeigen des entstellten Kleinkindes die Almosen reicher geflossen sein dürften.
Die genannte Müllerin Schab, die zum Zeitpunkt der Ereignisse Witwe gewesen sein muss, betrieb die nach einem späteren Eigentümer genannte Dengersmühle (heute Untergasse 3). die Anfang der 1960er Jahre völlig abgebrochen wurde. Lediglich ein Torbogen mit dem vermutlichen Erbauungsjahr dieser Mühle 1606. der sich heute auf einem Anwesen im Birkenauer Ortsteil Hornbach befindet, hat sich erhalten.
Das tragische Geschehen selbst hat sich zwischen dem Birkenauer Schloß und dem von Johannes Eisenhauer im Jahr 1766 erbauten Fachwerkhaus (heute Hauptstraße 88) an der Liebersbaeher Straße abgespielt. Eisenhauer hatte morgens um 4 Uhr die Lagerstatt dieser armen Frau passiert, um in Mörlenbach etwas zu erledigen. Er betrieb eine Gastwirtschaft und war Birkenauer Amtchirurgus (Landarzt), der einfache Hilfestellungen bei Krankheiten zu leisten im Stande war. Die Tatsache, dass ein Arzt eine sterbenskranke Frau auf offener Straße bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, bei strömendem Regen auf offener Straße liegen ließ, lässt den ganzen Vorgang noch tragischer erscheinen.
Die von Leonhard Krauß vertretene Auffassung, dass die Müllerin Schab im Falle der Beherbergung in ihrem Haus hätte alle Folgekosten übernehmen müssen, findet sich heute in ähnlicher Form im Bundessozialhilfegesetz. Zunächst sieht die dort festgeschriebene Regelung vor, dass für eine kranke Person ohne Krankenversicherung zunächst das Sozialamt am Ort zuständig ist, wo die Hilfsbedürftigkeit eingetreten ist. Das sture Festhalten an der Polizeiverordnung von 1771, dass letztendlich eine bedarfsgerechte Hilfe verhinderte, soll damit aber nicht abgeschwächt werden.
Der Vorgang hatte ein Nachspiel. Freiherr Philipp Franz Wambolt von Umstadt war über das Verhalten seines Beamten empört, da er ja für die getroffenen Entscheidungen die Verantwortung zu tragen hatte. Zunächst forderte er von Amtmann Krauß und dem Schultheißen Johannes Pauly8 einen Sachstandsbericht an. Die beiden Berichte sind vom Inhalt her gleichlautend, verharmlosen und spielen die tatsächliche Rolle der beiden Beteiligten herunter. Nicht der Amtmann Krauß, sondern die Müllerin Schab hätte den Abtransport der kranken Frau, vermutlich auf einem Ochsenkarren, veranlasst. Dadurch wären die weiteren Abschiebungen von Reisen nach Birkenau, von Birkenau nach Mörlenbach und nach Birkenau zurück zwangsläufig eingetreten. Doch Freiherr Wambolt schenkte dieser Schilderung wohl zu Recht keinen Glauben. Auf seine Anweisung hin sollte Amtmann Krauß 20 Reichstaler Strafe bezahlen. In seinem Antwortschreiben vom 01. März 1773 reagierte dieser sichtlich gereizt und empört, weil einem Denunzianten mehr Glauben geschenkt würde wie einem treuen Bediensteten, der im 40. Dienstjahr (also seit 1733, ab 1737 Amtmann) für seine Herrschaft tätig war. Die zu zahlende Strafe wurde auf 12 Reichstaler reduziert. Über den gedachten Verwendungszweck lässt sich Freiherr Wambolt folgendermaßen aus: “... sothane zwölf Reichstaler verzinslich ausgeliehen werden können ... die daraus jährlich fallenden Pensionen [Zinsen] aufbehalten - und wie es tunlich, wiederum zum Kapital geschlagen - sofort nach Verlauf [von] 20 Jahren der ganze Betrag dem besagten Kind ausgeliefert werden, falls es aber inzwischen versterben würde, alsdann die Hälfte davon der katholischen Kirche und die andere Halbheit der lutherischen Kirche zu Birkenau zufallen sollte”.
Zuletzt sollen noch die spärlichen Informationen, die über den Knaben bekannt sind, wiedergegeben werden. Im Januar 1774 berichtet der
Schultheiß Johannes Pauly, dass das Kind von einer anderen armen Weibsperson angenommen wurde, die ebenfalls im Land herumziehe, um Almosen zu sammeln. Diese Frau habe sieh zuletzt etliche Tage in Nieder-Liebersbach aufgehalten. Das Kind habe sie aber nicht bei sich gehabt, da es gerade die Wasserpocken hatte. Der Schultheiß händigte dieser Bettlerin ein Almosen aus. Diese gab dafür noch die Information, dass das Kind "‘im vorigen Sommer" an seiner Hasenscharte geschnitten worden sei “es ist gut kuriert, kann aber nicht trinken, ohne dass es auf dem Rücken liegt wegen der Scharte, welche noch in dem Gaumen ist". Die Kindstaufe sei “getan", Patin wäre des Lorscher Kreuzwirts seine Tochter. Durch das Kind bekäme die Bettlerin, wo sie hinkomme, reichlicher Almosen. Am 26. April 1790 berichtet der treue Gärtner Heinrich Odenwald seinem Herrn nach Mainz, dass der inzwischen fast erwachsene junge Mann verstorben sei.
Diese Begebenheit macht betroffen, stimmt nachdenklich, auch in Bezug auf aktuellere Ereignisse.
Quellen und Anmerkungen:
1. Der Verfasser war beim Sozialamt beschäftigt und hat so die Möglichkeit, sich mit Nichtsesshaften zu unterhalten.
2. Gemeinderechnungen für die betreffenden Jahre, aufbewahrt im Gemeindearchiv Birkenau.
3. Freiherrlich Wamboltisches Archiv (« FWA). Bestand 15/2. Ortspolizeiliche Verfügungen.
4. Philipp Franz Wambolt von Umstadt v. 27.7.1732 - 25.5.1806. Erbauer des neuen Birkenauer Schlosses.
5. FWA. Bestand 15/3. Handhabung der Polizei in Birkenau, diesem Bestand sind alle Informationen zum Vorgang selbst entnommen, dort bezeichnet als "Akt über die in Birkenau verstorbene Weibsperson 1772.
6. Diese Bemerkung bezieht sich auf die Müllerfamilie Kinscherf, damals die wohlhabendste Familie in Birkenau, die die sog. Carlebaehmühle (heute Fa. Frank) betrieb.
7. Den Bauplatz hatte Johannes Eisenhauer mit Vertrag vom 8.10.1765 von dem Birkenauer Schultheißen Nikolaus Jöst erworben.
8. Johannes Pauly. Birkenauer Schultheiß von 1769 - 1789.
-
Das Birkenauer Tal
Man darf wohl sagen, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen. daß das Birkenauer Tal mit zu den schönsten Gegenden des Odenwaldes gerechnet wird. Die zahllosen Wanderer, die es jahraus, jahrein immer wieder aufsuchen, liefern den besten Beweis dafür. Unmittelbar unterhalb des Fleckens Birkenau, an der hessisch‑badischen Landesgrenze, schließt sich der die Weschnitz umgebende, weite Kranz der Berge wieder, indem der 402 Meter hohe Wachenberg und der gegenüberliegende Hirsch‑ und Saukopf hart nebeneinander treten, so daß sich die Weschnitz zwischen beiden hindurchdrängen muß. Es ist ein herrliches Fleckchen Erde, das sich dem Wanderer hier auftut, wo Natur und Menschenhand miteinander wetteiferten, es so zu gestalten, daß man bei Durchschreiten des Tales mit Hölth ausrufen möchte: "Wie wunderschön ist Gottes Erde und wert, darauf vergnügt zu sein !" Die Enge des vielfach gewundenen Tales, die über anstehende Felsen rauschenden Weschnitz, die steilen, bewaldeten Bergabhänge, die Steinbrüche mit den mächtigen Schutthalden, die fünf im Tale liegenden Mühlen, mit ihren Stauwehren, die breite, abwechselnd mit Roßkastanien und Rotdorn bepflanzte Landstraße, die drei Tunnels, die zwei Weschnitzbrücken, die beiden das Tal überspannenden Eisenbahnbrücken und die hoch oben auf dem westlichen Vorsprung des Wachenberges sich erhebende, stolz und majestätisch auf das Tal herabschauende Wachenburg, das alles zusammengedrängt auf die kurze Wegstrecke von kaum einer halben Stunde. Wer wagt es, mit Worten ein Bild zu entwerfen, das der Wirklichkeit nur entfernt ähnlich wäre ! Kein Wunder, daß der begeisterte Freund unseres Tales, der Weinheimer Professor und Hofrat A. L. Grimm, in "Vorzeit und Gegenwart der Bergstraße usw. (1822)" zu der Behauptung kommt: "Der Landschaftsmaler findet hier ohne Mühe der interssantesten Punkte genug, höchstens kann er wegen der Wahl unter der Menge in Verlegenheit kommen." Aber dies schrieb der Autor vor 100 Jahren ! Wie würde er schreiben müssen, wenn er heute ‑ besonders zur Pfingstzeit ‑ , wenn die Roßkastanien ihn mit tausend Blütenfackeln entgegenleuchten und der Rotdorn seine Blüten zur Entfaltung gebracht hat, das Tal durchwanderte und alles, was Menschenhand inzwischen dort geschaffen hat, ihm begegnete ?
Den Charakter des Tales bezeichnet Grimm "wegen der schroffen Felswände, der zahlreichen Wasserfälle und der Mühlen" und ‑ ich darf es hinzufügen ‑ wegen der mächtigen, die Berghänge damals bedeckenden Eichen und des zahllosen Buschwerks am Bache, als "ernst". Wie sehr diese Kennezichnung der Wirklichkeit entspricht, geht auch aus einer Schilderung hervor, die aus der Feder der Reiseschriftstellerin Johanna Schopenhauer , der Mutter des bekannten Frankfurter Philosophen, stammt und die in ihrem Werkchen:"Ausflucht an den Rhein und seine nähere Umgebung (Leipzig 1818) " schreibt: "Dicht an der Stadt (Weinheim) öffnet sich das Birkenaeru Tal. Zwei in den Felsen gehauene uralte Torpfosten, an welchen man noch die Spuren von Angeln erblickt, woran die Torflügel hingen, bilden hier den Eingang in die düsteren Klüfte des Odenwaldes ... Starr und wild drängen sich die Felsen am Anfang des Birkenauer Tals zu einer engen Schlucht zusammen; die Weschnitz eilt rauschend zwischen ihnen hin, durch das Tal hindurch; oft läßt sie am Fuße des Berges kaum Raum genug für den sich längs ihrem Ufer hinziehenden Fahrweg, hin und wieder aber erweitert sich das Tal, und wo der Platz es erlaubt, ist auch eine Mühle hingebaut; hohe Erlen umgeben das ländliche Gebäude, und der Widerhall verdoppelt das Rauschen des unwillig über die Räder sich stürzenden Bergstromes. Solcher Mühlen gibt es hier drei, die alle die romatnische Schönheit des wilden Felsentales erhöhen, jede auf besondere Weise und von den anderen verschieden. Nächst einem Kloster wüßte ich nichts, das den Reiz einer gebirgigen Gegend mehr erhübe, als eine Mühle mit ihren brausenden Bächen, ihren immer in Schwung sausenden Rädern. Die das Tal einschließenden hohen Felsen bieten dem Naturforscher höchst merkwürdige Erscheinungen dar; mich freute ihre wunderbare Gestaltung, der frische Wald, der sie kleidet, und die roten zackigen Felsenspitzen, die hie und da aus dem üppigen Laube hervorragenden und schöne Gruppen bilden. Das Tal endet in einer ziemlich weiten Ebene, in deren Mitte das Dörfchen Birkenau und das dazugehörige Schloß des Freiherrn v. Wamboldt eine sehr freundliche Landschaft bilden."
Dieser alte Bericht gibt in der Tat noch heute ein getreues, anschauliches Bild des Tales und läßt an Anschaulichkeit nichts zu wünschen übrig. Zum Verständnis sei nur hinzugefügt, daß das eingangs erwähnte Tor jetzt nicht mehr vorhanden ist. es wurde gelegentlich des Baues der Landstraße 1843 abgerissen und zwar als ein "Verkehrshindernis". Diese Tatsache ist sehr bedauerlich, und es hätte gewiß ein Ausweg gefunden werden können, um seine Erhaltung zu ermöglichen, eine Abbildung hiervon ist in dem vorliegenden Heft enthalten. "Die Neumaurerspforte" ‑ wie das Tor genannt wurde ‑ lag jedoch nicht etwa im Zuge der Weinheimer Stadtmauer, sondern entfernt davon unmittelbar oberhalb des Aufgangs zur Haltestelle Weinheim‑Tal zwischen der dortigen steilen Felswand und der Weschnitz; sie hatte die Aufgabe, als eine Art Vorwerk die Stadt gegen feindliche Angriffe von Osten her zu schützen. Daß es von den Römern erbaut worden sei "zum Schutze gegen die anstürmenden Alemannen" ist ein Irrtum; der gotische Bogen, sowie der Umstand, daß es erst im 17. Jahrhundert in Urkunden genannt wird, weisen auf eine spätere Zeit.
Die drei von Johanna Schopenhauer im Birkenauer Tal vorgefundenen Mühlen sind: die jetzige Kammfabrik von Fr. Grösche Nachfolger, die wegen ihres herrlichen Gartens weitbekannte Fuchs'sche und die sogenannten obere Hildebrand'sche Mühle. Inzwischen sind die Wart horst'sche und die untere Fuchs'sche Mühle noch hinzugekommen. Näher auf die Bedeutung dieser Mühlen und deren Geschichte einzugehen, erübrigt sich hier, da dies an anderer Stelle dieses Heftes geschieht.
Zur Zeit, als die Gegend zwischen Hunsrück und Odenwald das Räuberunwesen blühte (um 1800), bildete auch die wildromatische Birkenauer Felsenenge landplagendem Gesindel Schutz und Unterschlupf. Noch bis vor kurzem ist hier die Erinnerung an einen Räuber "Hölzerlips" lebendig geblieben und eine Höhle am oberen Bachtunnel, gegenüber der seitherigen städtischen Badeanstalt, führt noch heute den Namen "Hölzerlipshöhle", weil sich dort der gefürchtete Räuberhauptmann mit seinen Genossen versteckt hielt und so seinen Verfolgern längere Zeit entgehen konnte. Diese Höhle rührt von einem alten Silberbergwerk her, das in früherer Zeit, allerdings mit geringem Erfolg, hier betrieben wurde. Nach einer Urkunde vom 19. Mai 1488 im General‑ Landesarchiv zu Karlsruhe verlieh Kurfürst Philipp von der Pfalz einem "Bartholomäus Mersch und seinen Genossen, die er zu sich nehmen würde, das Recht, am Quatsberg ober Weinheim und am Onsberg ein Silberbergwerk anzulegen, in der Hoffnung, daß davon sich viel Nutz begeben soll." Der Kurfürst behielt sich dabei den Zehnten aller gefundenen Metalle und das Vorkaufsrecht für diese vor, auch das Recht, das Bergwerk als "heimgefallen" wieder an sich zu ziehen, wenn es einen Monat nicht betrieben würde. Leider ist uns über den Betrieb selbst noch über das Ergebnis etwas bekannt. Wir glauben jedoch nicht fehlzugehen, wenn wir annehmen, daß sich die in das Bergwerk gesetzten Hoffnungen nicht erfüllten. Ob die 1688 von dem Meerfeld'schen Keller Spitzweck in einem Gesuch an die pfälzische Rentkammer ausgesprochene Absicht, bei Weinheim (gemeint kann nur das Birkenauer Tal sein, denn alle übrigen bei Weinheim genannten Bergwerke, z. B. das am Eichelberg und das an der Buchklinge, dem heutigen Buchklingen, lieferten Kupfer) eine Untersuchung über die Abbauwürdigkeit eines vorgefundenen Erzganges anzustellen, zur Ausführung kam, scheint nach den vorhandenen Urkunden fraglich zu sein. Doch erhalten wir bei dieser Gelegenheit einen Einblick in die "Menge" des Erzes, denn eine von Spitzweck vorgelegte Erzprobe "sollte auf den Zentner etwas 3 Lot Silber und 6 Pfund Blei enthalten". Das Bergwerkgebiet scheint sich von der obengenannten Hölzerlipshöhle bis an die jetzige Haltestelle Weinheim‑Tal hingezogen zu haben, denn nach Grimm soll die dortige Brunnestube ebenfalls ein Erzstollen gewesen sein. Auf die Frage, welches Gestein das Silber enthielt, läßt sich nur antworten, daß es vermutlich die dort mehrfach auftretenden, den Granit durchziehenden Glimmerminettgänge gewesen sind, die an ihren Rändern das Erz lieferten.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Birkenau zur Zeit der 30 jährigen Krieges
Die Jahre 1934 und 1935 zwingen uns, den Blick in die Vergangenheit zu richten, und der Zeit zu gedenken, die unser Volk vor 300 Jahren zu durchkosten hatte. Wenn auch die Leiden allerwärts im weiten deutschen Vaterlande die gleichen waren, und selbst das kleinste Dorf nicht verschont geblieben ist, so besitzt doch jeder Ort seine besonderen Erinnerungen, und diese in Kürze darzustellen, soll hier geschehen.
1. Der Kriegsausbruch
Zur damaligen Zeit bestand unser Dorf noch nicht aus 2 durch die Weschnitz getrennte Teile, sondern breitete sich als geschlossenes Reihendorf ganz auf dem Hochufer der linken Bachseite aus, und zwar im Bereich der heutigen Unter‑, Kreuz‑ und Kirchgasse mit dem Abzweig zur Obergasse. Die Kirche, umgeben von dem Friedhof, stand an der gleichen Stelle, wie die jetzige, 1819/29 erbaute. Auch das Pfarrhaus, das wir uns von geringem Umfang, und wie aus den häufigen Reparaturen geschlossen werden muß, als ein altes Gebäude vorstellen müssen, hatte seine Lage höchstwahrscheinlich ebenfalls im Bereich des jetzigen Pfarrgrundstückes mit dem Zugang durch die "Pfarrstraße". Ob Birkenau damals schon ein Schulhaus besaß, läßt sich nicht feststellen, doch ist anzunehmen, daß das schon 1588 erwähnte "Glockenhaus" (d. i. die Wohnung des Glöckners) mit dem Schulhaus identisch ist. Da das Rathaus i. J. 1552 erbaut wurde, hat es als stummer Zeuge den Krieg miterlebt. An privaten Gebäuden lassen sich auf Grund angebrachter Jahreszahlen nur 2 als bei Ausbruch des Krieges vorhanden nachweisen: Das eine ist der zur Dengers Mühle gehörende Nebenbau (1607 erbaut) und das andere das Wilhelm‑Ginaderche Haus (erbaut 1613); außerdem mag das alte Stutz'sche Haus damals schon erbaut gewesen sein. Die Frage, ob zur Zeit des Krieges in Birkenau schon ein Schloß stand, kann nicht befriedigend beantwortet werden. Das jetzige Schloß des Freiherrn v. Wambolt wurde 1771 errichtet, doch wird vorher ein altes Schloß genannt, dessen Standort zwischen der Straße umd dem Teich festgestellt werden konnte; seine Bauzeit ist jedoch unbekannt.
Ortsherren waren zur Zeit des Krieges: 1. Blicker Landschad von Steinach, der aber schon 1620 starb; sein Nachfolger war Friedrich Landschad, gest. 1653 als letzter männlicher Sproß seines Geschechts. 2. Philipp Wambolt von Umstadt zu Weinheim, kurpfälzischer Burggraf zu Starkenburg, Geheimer Rat, Vicedom zu Neustadt, Statthalter zu Amberg und Oberhofmeister, Stammhalter der blühenden älteren Hauptlinie bei dem Kanton Odenwald; vermählt mit Anna Margarethe Knebelin von Katzenellebogen. Nach seinem ebenfalls 1620 erfolgten Ableben trat sein Sohn Friedrich das Lehensteil hier an. Er wohnte in Weinheim, war churpfälzischer Obrist und mit Maria Jacobea von Metsch vermählt. Im Jahre 1647, zwei Jahre vor seinem Tode, vesetzte er seinen Anteil an der Ortsherrschaft um die Summe von 3000 Gulden an die Brüder Friedrich und Georg Bertram von Hersbach. ‑ Als Pfarrer amtierte hier von 1614 bis 1635 Peter Luzius, dem nach seinem Ableben ‑ er wurde vermutlich ein Opfer der Pest ‑ im Jahre 1635 Abraham Meigelius folgte. Da sich dieser selbst als "Austriacus" bezeichnet, wird er wohl aus Österreich gestammt haben. Wer bei Kriegsausbruch als Lehrer hier wirkte, ist unbekannt, obgleich ein solcher vorhanden war, wie die Kirchenrechnungen der Jahre 1622‑30 nachweisen. Im Jahre 1642 wird ein Andreas Laidig als Lehrer genannt, während gegen Ende des Krieges der Pfarrer den Schuldienst versah. Das Amt des Centschultheiß, auch den Titel Anwalt führend, hatte bei Kriegsausbruch Engelhart Widder inne, und später bis über das Kriegsende hinaus unterzeichnet als solcher Marx Knosp. Durch eine "Schatzungs‑Belegung anno 1618 zu Birkenaw" erfahren wir die Namen der mit dieser Abgabe belegten Haushaltungsvorstände. Ihre Zahl betrug 65, wozu sicherlich noch einige unbegüterte und deshalb zur Schatzung nicht herangezogene Personen zu zählen sein werden. . Nehmen wir die Stärke einer Familie mit 5‑6 Köpfen an, was nach einer Urkunde vom Jahre 1613 durchaus zutreffend ist, so ergibt sich eine Einwohnerzahl von mindestens 400 Seelen.
2. Die Kriegsereignisse
Da die in Birkenauer Urkunden enthaltenen Mitteilungen über die Kriegsereignisse verhältnismäßig spärlich sind, können die hier gemachten Ausführungen nur ein lückenhaftes Bild ergeben; trotzdem reichen sie aus, einen Einblick in die Leiden und Drangsale unserer Vorfahren während dieser 30 Kriegsjahre zu gewähren.
Der von mehreren Chronisten (z. B. der Reichenbacher von Walther, Groß‑Bieberauer v. Mink) erwähnte Komet im September 1618 wird wohl auch von den hiesigen Bewohnern betrachtet worden sein, doch mit ganz anderen Gefühlen, wie wir heute eine solche Himmelserscheinung beobachten. Vergegenwärtigen wir uns die damalige Volksmeinung, die in den Kometen Unglücksboten erblickte, so können wir uns denken, mit welch bangen Sorgen unsere Vorfahren nach dem nächtlichen Himmel, aber auch in die Zukunft schauten. Doch der Kriegsschauplatz lag weit von hier, in Böhmen, und hierzulande nahm alles Leben und Treiben seinen gewohnten Lauf. Wenn "um Ostern 1619 etliche 100 Reiter der unierten Fürsten die Bergstraß herangeführt wurden " oder "den 4. Mai die Grafen Casimir und Albrecht von Schönberg in den Kriege zogen", wenn weiterhin "um Margaretä (13. Juli) 200 Reiter zu Lorsch gelegen und nach 8 Tagen nach Böhmen geschickt worden," so berührten diese Ereignisse unseren Ort in keinerlei Weise. Eine Änderung der Lage trat erst ein, als 1620 "etliche 15 000 Spanier" unter Spinollas Führung von den Niederlanden kommend den Rhein heraufzogen; in der Pfalz einfielen und einen Ort nach den anderen besetzten, Schon Anfang September 1620 erschienen sie an der Bergstraße, die durch die 1463 erfolgte Verpfändung des Oberamts Starkenburg an die Pfalz von Bensheim an Feindesland war; doch zu entscheidenden Erfolgen kamen die Spanier nicht und gingen einen Waffenstillstand ein.
Nach dem Ablauf der Waffenruhe begannen die Spanier, nun unter Don Cordovas Führung, die Feindseligkeiten von neuem, ergossen sich rasch über die ganze Gegend zwischen Rhein und Bergstraße und plünderten einen Ort nach dem andern, darunter Bensheim, Heppenheim und Weinheim , ja selbst die ehrwürdigen Klostergebäude von Lorsch gingen in Flammen auf; aber auch Birkenau wurde von ihnen schwer heimgesucht. Die hiesige Kirchenchronik beginnt ihre mehr als dürftige Beschreibung der Kriegsereignisse mit den Sätzen: "Im Dreißigjährigen Krieg mußte Birkenau viel Leid und Not erfahren. Gleich im Anfang erschienen feindliche Truppen und richteten mancherlei Unheil an; vermutlich waren es Spanier unter dem General Coduba, welche damals an der Bergstraße hausten." Über den Umfang des "mancherlei angerichteten Unheils" kann uns eine Bemerkung unter einem 1622 auf dem hiesigen Rathaus protokollierten Schuldbrief Aufklärung geben, die lautet: "Weilen das Gerichtssiegel bei dieser Kriegszeit entwendet worden ‑‑‑," denn wenn das Rathaus, das gewiss keinerlei Wertsachen enthielt, durchwühlt wurde, wieviel schlimmer muß es den Privathäusern ergangen sein ! Es besteht wohl kein Zweifel, daß unser Ort zu dieser Zeit eine Plünderung erfuhr, doch ob es die Spanier waren, muß dahingestellt bleiben. Denn schon Anfangs Dezember 1621 marschierte eien spanisch‑ligistische Heeresgruppe unter Generalwachtmeister v. Anholt von Groß‑Rohrheim kommend durch den Odenwald über Rimbach, Reichelsheim, Brensbach und Reinheim und erreichte in der Gegend von Groß‑Ostheim den Main. Da der Zug Anholts von Viernheim über Rimbach ging, mußte er auch Birkenau berührt haben, sodaß die vorerwähnte Plünderung auch auf diese Truppen bezogen werden könnte. Doch besteht noch eine weitere Möglichkeit. Tilly, der unterdessen mit seiner Armee eschienen war und Bensheim und Weinheim eingenommen hatte, brach im Februar 1622 von Neckarhausen bei Ladenburg auf und verlegte sein Hauptquartier über Weinheim, Waldmichelbach, Beerfelden und Eberbach nach Mosbach, um durch einen siegreichen Schlag gegen den Markgrafen von Baden dessen Vereingiugn mit den Truppen Mansfelds zu verhindern. Zur Verstärkung des Tillyschen Heeres setzte sich Cordova in Bewegung und zog von Heppenheim und Weinheim aus über Waldmichelbach und Hirschhorn durch den Odenwald, sodaß dieser Zug ebenfalls durch Birkenau ging. Nach der Schlacht bei Wimpfen am 6. Mai ergoß sich das ligisitische Heer in das Neckartal und den Odenwald. Lindenfels wurde belagert, doch erfolglos und Rimbach ging in Flammen auf. Als Tilly auch den Herzog Christian von Braunschweig ‑ am 20. Juni 1622 bei Höchst am Main ‑ besiegt hatte, kehrte er abermals in die Pfalz zurück, um diese endgültig zu erobern.
Daß Birkenau in disen Zeitläufen sein gerüttelt und geschüttelt Maß an Leiden und Drangsalen zu erdulden hatte versteht sich um so mehr von selbst, da unser Ort ebenfalls zum Oberamt Starkenburg gehörte und somit während des Krieges pfälzisch war. Zwei Einträge in der hiesigen Kirchenrechnung v. J. 1623 deuten darauf hin: "Peter Schaben geben von den Fenstern in der Kirchen und Pfarrhofe, von den Soldaten ausgeschlagen worden, wiederum zu machen = 10 fl." und dann:" 7 1/2 fl. Peter Schaben von den Fenstern in der Kirchen und Pfarrhof, so durch die Soldaten ausgeschlagen und sonsten zerbrochen worden, wiederum zu machen." Dieselben, womöglich noch stärkere Zerstörungen müssen wir an den Privathäusern annehmen, auch werden sich die Soldaten nicht mit der Anrichtung von Sachschäden begnügt haben, sondern wir müssen die Zerstörungen an den Gebäuden als Begleiterscheinung von Plünderungen betrachten, wobei es ohne erhebliche Mißhandlungen und Drangsalierungen der Bewohner nicht abgegangen sein mag. Als Beweis für tatsächlich vorgekommene Plünderungen mag der Eintrag in derselben Kirchenrechnung dienen:" 7 fl 2 1/2 btz. Nickel Müllern an seines Vaters selig Rechnung herausgegeben, so er über Einnahme ausgelegt, die Urkund ist durch die Soldaten verloren und verworfen worden." Neben den Sachschäden und persönlichen Leiden waren drückende Quartierlasten und Kontributionen, von denen jedoch die Kirchenakten nicht berichten können. Wie sehr auch die Nachbarorte in diesen ersten Kriegsjahren zu leiden hatten, geht aus einem Schuldschein hervor, den 8 Rimbacher und 1 Münschbacher Bürger über ein aufgenommenes Kapital von 1000 fl. im Jahre 1623 ausgestellt haben und in dem als Grund der Kapitalaufnahme angeführt wird: "Zur Abstattung Kriegskostens, auch zur Erkaufung anderer Pferd und Rindvieh, so uns von den Soldaten geraubt und genommen worden."
Über die Schicksale unserer Vorfahren während der nächstfolgenden Kriegsjahre lassen uns die Quellen völlig im unklaren, doch wäre es merkwürdig, wenn Birkenau während dieser Zeit von den Feinden unbehelligt geblieben wäre, während Weinheim, das in diesen Jahren von den Bayern besetzt gehalten wurde, schwere materielle Bedrückungen zu erleiden hatte. (Nach Dr. Weiß). Erst gegen Ende des Jahrzehnts erfahren wir wieder von der Anwesenheit fremder Truppen in unserm Ort, wie aus der Kirchenrechnung vom Jahre 1629 ersichtlich ist: "7 fl. bezahlt für einen zinnernen Kelch in der Kirchen u.dann allerhand wiederum zu machen im Pfarrhof, so die Lüneburgisch Reiter verderbt;" außerdem "10 Batzen Velten Zimmermann bezahlt, die Kirchentüren, so von den Soldaten zerschlagen worden, auszubessern" und : "1 fl. 7 bz. Georg Spethen bezahlt, hat die Kirchentüren und die Sacristei wiederum beschließig gemacht, weil das Schloß durch die Soldaten verwüstet worden." Auch in diesem Falle sind wir berechtigt, einen Schluß auf das Verhalten der Soldaten gegenüber den privaten Gebäuden zu ziehen und starke Verwüstungen bzw. Raub und Plünderung anzunehmen.
Auf die Leiden der Jahre 1628 und 29 folgten bald neue. ‑ Durch das Auftreten der Schweden an der Bergstraße im Herbst 1631 zogen sich die Bayern und Spanier aus unserer Gegend zurück, jedoch nicht ohne erhebliche Schädigung des durchzogenen Gebietes. Auch Birkenau wurde in dieser Zeit furchtbar heimgesucht und soll, wie die Kirchenrechnung berichtet, von den Spaniern größtenteils niedergebrannt worden sein. Dieses "soll" bezieht sich auf die Urheber des Brandes, da diese urkundlich nicht nachgewiesen werden können, nicht aber auf das Ereignis selbst, das wir anderwärts bestimmt bestätigt finden. So wird z.B. berichtet, "daß das Pfarrhaus und das Glockenhaus bei den Brande 1631 nicht mit abgebrannt seien", und weiterhin: "Als bei dem Brande 1631 viele Kirchendokumente zu Grunde gegangen usw." Vielleicht bezieht sich auch folgende Bemerkung in dem 1635 angelegten neuen Kirchenbuch darauf: "Daß vorige alte Kirchenbuch ist durch das verderbliche Kriegswesen neben vielen anderen Büchern verbrannt worden ‑‑‑‑‑‑‑."
Wenn auch bestimmte Mitteilungen über den Umfang des Brandes fehelen, dürfen wir doch annehmen, daß sich die auf dem Rückmarsch begriffenen feindlichen Truppen nicht mit der Brandschatzung einiger weniger Gebäude begnügt haben werden. Die Tatsache, daß die in unserem Gemeindearchiv vorhandenen Urkunden und Akten bis auf verchwindend geringe Ausnahmen aus der Zeit nach 1631 stammen, könnte den Schluß rechtfertigen, auch das Rathaus sei ein Opfer der Flammen geworden.
So jagte ein Unglück das andere, und noch war das Ende des Krieges nicht abzusehen, sodaß unserm Ort noch schwere Prüfungen bevorstanden. Die nächste größere Not brachte das Jahr 1634.‑ Die Kirchenchronik berichtet darüber: " Die Pest wütete, die Einwohner flüchteten nach Weinheim und kehrten erst 1635 wieder zurück" Auch welche Quelle der Chronist sich stützt, ist unbekannt, jedenfalls enthält sie hier eine Unrichtigkeit, wie sich aus nachfolgendem ergibt. Das hiesige Gemeindearchiv besitzt einen Urkundenbestand, auf dessen Titelblatt es unten heißt: "Marx Knosp, Schultheiß, ist dieses anno 1635 Jahr wieder anfänglich samt die ganze Centleuten von Weinheim nach Birkenau kommen: in allem 10 Mann". Die Ursache für die Flucht unserer Vorfahren nach Weinheim lag jedoch nicht in der Pest, sondern in den Kriegsereignissen selbst. Nach der Niederlage der Schweden im Jahre 1634 bei Nördlingen ergossen sich die Trümmer des geschlagenen Heeres, in ungeordnete Scharen aufgelöst, in die rechtsrheinische Pfalz. "An der Bergstraße trieben allein 17 aufgelöste Regimenter, jeglicher Manneszucht bar, ihr Unwesen. Sie wurden jedoch von den Kaiserlichen verfolgt und zogen sich schleunigst zurück, aber gerade die aufmarschierenden kaiserlichen Truppen waren es, die den Pfälzer Furcht und Schrecken einjagten, sodaß zahlreiche Flüchtlinge vor dem Eintreffen der Feinde in der Stadt Weinheim Schutz suchten." (Dr. Weiß). Eingehender berichtet der Groß‑Bieberauer Pfarrer Mink, ein Augenzeuge, über diese Vorgänge: "... Da die Üriggebliebenen (gemeint sind dich nach der Nördlinger Schacht übriggebliebenen schwedischen Truppen) das ganze Land ausgeplündert, denen dann die Kaiserlichen folgten, ihren Feind zu suchen, sie auch hinüber übern Rhein jagten, aber in unserm Land alles, was jene übriggelassen, wegraubten und verwüsteten, also gar, daß weder Viehe noch Pferd, Schweine, Federvieh oder dergleichen so wenig in Städten als Dörfern überbliebe. Bald fielen die Schweden übern Rhein herüber und jagten die Kaiserlichen aus ihrem Quartier, bald jagten diese hinwieder jene hinaus. Dadurch das ganze Land zwischen Main und Rhein gar erschöpft wurde, und durfte sich kein Mensch auf dem Lande blicken lassen, ihm wurde nachgejagt wie einem Wild, da er ergriffen, ohnbarmherzig zerschlagen und um Verratung Geld oder Viehe oder Pferd mehr als auf türkische Weise geknebelt, an heißen Ofen nackend angebunden, aufgehängt, mit Rauch gedämpft, mit Wasser und Pfuhl, so sie den Leuten mit Zübern in Hals geschüttet und mit Füßen auf die dicken Bäuche gesprungen, getränket, welche barbarische Tränkung genannt worden der schwedische Trunk: nicht daß ihn die Schwedischen allein gebraucht, sondern viel mehr weil die Kaiserlichen den Gefangenen oder sonst den Schwedischen Zugetanen also einzuschenken pflegten. Um welcher Tyrannei willen und daß keine Lebensmittel auf dem Land waren, wurden alle Dörfer, nicht eins ausgenommen, von allen Einwohnern verlassen‑‑‑. Viele verkrochen und vesteckten sich zwar in Wälder, Höhlen (Hornbacher Lärmlöcher) und Klüften etc.: wurden aber ausgespäht, denn die Soldaten hatten bei sich menschenspürige Hunde, welche die Leute verrieten. Darum floh alles auf die Schlösser ‑‑‑," und wir dürfen hinzufügen: und so suchten auch die Birkenauer mit den Bewohnern der gesamten Umgegend Schutz hinter den Mauern Weinheims, wie unsere Kirchenchronik berichtet. Die Ursache der Flucht ist nach vorstehendem in den Kriegsereignissen zu suchen und nicht in derPest, die in unserer Gegend erst im Frühjahr 1635 zum Ausbruch kam. Die starke Deziemierung der Geflüchteten kann darum auch nicht auf die Seuche zurückgeführt werden, sie mag vielmehr durch Mangel an Nahrungsmitteln entstanden sein. Denn daß es eine sehr schlimme Zeit gewesen sein muß, geht (nach Dr. Weiß) daraus hervor, daß das Weinheimer Ratsprotokoll vom Spätherbst 1634 bis in den Herbst 1636 eine Lücke aufweist, die ganze Gemeindeverwaltung also ins Stocken gekommen war. ‑ Da die Rückkehr der Bireknauer "anfänglich", also im Frühjahr 1635 erfolgte, mag es gerade die ausbrechende Seuche gewesen sein, die die Flüchtlinge bewog, ihre Behausungen wieder aufzusuchen, denn auch anderwärts wird berichtet, daß bei Ausbruch der Pest die Geflohenen in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Da aber nach der vorerwähnten Anmerkunge im ganzen nur"10 Mann" von Weinheim hierher zurückkamen, kann die Beute der Pest nur sehr gering gewesen sein, aber da sie gewiß auch hier noch Opfer gefordert haben wird, können wir unsern Ort als völlig ausgestorben betrachten.
Unter den 1634 obwaltenden Verhältnissen und ebenso in dem Pestjahr 1635 geriet jegliches wirtschaftliches Leben ins Stocken, und so unterblieb vor allem die Bestellung der Felder. Die Folge davon war eine Hungersnot von unbeschreiblichen Ausmaßen. Am schlimmsten wütete der Hunger in den Jahren 1636 und 1637, doch erst das Jahr 1641 wird erstmalig wieder als ein "gutes Fruchtjahr" bezeichnet.
Es erweckt den Anschein, als hätten die Truppen während der letzten Jahre unsere Gegend gemieden, denn von keiner Seite geschieht deren eine Erwähnung. Erst 1644 erschienen wieder und zwar die Franzosen in unserer Gegend, wurden jedoch von dem bayerischen General v. Werth vertrieben. Schon im Juli 1645 kamen sie wieder und obgleich ihr Aufenthalt abermals nur von kurzer Dauer war, hatte Weinheim (nach Dr. Weiß) allerlei Bedrückungen und Zerstörungen zu erdulden, besonders insofern, als die Soldaten alles Vieh, dessen sie habhaft werden konnten, wegtrieben. Es leuchtet ein, daß das nahe Birkenau von solchen Bedrückungen nicht verschont blieb, wenn wir auch keinerlei Nachricht darüber besitzen.
Waren wir zuletzt auf Vermutungen angewiesen. so stehen uns bestimmte Mitteilungen zur Verfügung, die beweisen, daß der Krieg nicht zu Ende gehen sollte, ohne nochmals schweres Leid über unsern Ort gebracht zu haben. Die Kirchenrechnung von 1647/48 ‑ die erste wieder seit langer Zeit, sodaß der Kirchenrechner dazu bemerkt: "Dann mir wegen des Kriegswesens nicht gedenkt, ob oder wann eine Kirchenrechnung geschehen sein" ‑ enthält folgende Einträge: "Item den Zimmerleuten für 2 Fensterläden an der vordersten Pfarrstube zu machen und die Bort gegeben 20 alb. Item dem Schmied, diese beide Läden zu henken für die Band bezahlt = 12 alb. Seind aber hierauf bald von den Soldaten verbrennet worden"; und die Titelseite enthält den Vermerk; Anno 1648 ist wegen der Kriegskosten und da wir haben ausweichen müssen, also nichts an Kirchenzinsen eingebracht worden." Den Schlüsel zur Lösung der Frage hinsichtlich der Kriegskosten liefert wieder Dr. Weiß, der angibt, Weinheim sei von 1645 an in den Händen der Bayern geblieben, die aus der Bürgerschaft herauspreßten, was irgend aufzutreiben war. Was jedoch unsere Vorfahren noch im lezten Kriegsjahre zur Flucht trieb, ob der Ort von Truppen besetzt war oder deren Annäherung die Bewohner zum "Ausweichen" veranlaßte, bleibt ungewiß. Doch sollte dies die letzte Heimsuchung sein, denn noch im Herbst 1648 machte der sogen. Westfälische Friede dem langen Krieg, der über unsern Ort unsägliches Leid gebracht hatte, ein Ende. In den nächsten Jahren lagen, wie allerwärts in Deutschland, so auch in unserer Gegend noch fremde Truppenteile, was seine Bestätigung durch folgenden Eintrag in das 1635 angelegte alte Kirchenbuch findet: "1650, den 27 Marty des Reiters Jergen zu Zotzenbach Sohn getauft und Hans genennet; der Gevatter seint viele gewesen, alles schwedische Reiter."
3. Die Folgen des Krieges
Der Krieg war zu Ende, doch furchtbar seine hinterlassenen Spuren ! Zunächst hinsichtlich der Einwohnerzahl. Wenn das eingangs erwähnte Schatzungsregister 65 Haushaltungen aufweist, was einer Bevölkerungsziffer von über 400 Seelen entspricht, so enthält eine Specifikation der Landschadisch und Bertramischen Untertanen zu Birkenau vom Jahre 1650 deren nur 15. Darunter treten nur ganz wenige Namen aus der Vorkriegszeit auf, weitaus die größte Anzahl ist fremd und weist auf Zuwanderung von außen hin. Daß das alte Kirchenbuch fast 4 Jahrzehnte hindurch nur Taufeinträge enthält und erst von 1671 an die Trauungen und noch später die Beerdigungen, läßt sich die Frage der Einwanderung nur äußerst lückenhaft beantwworten: trotzdem ist eine Reihe diesbezüglicher Einträge vorhanden: " Birkenau, 1654 Christoph Geßler von der Rauenburg; 1665 Peter Koch von Hattenbach aus dem Stift Hirschfeld; 1659 Bathasar Ditsch von (wie vor) und Johannes Müller von Donaueschingen; 1663 Leonhard Dorteler von Schönfeld; Benedischen Gebiets; 1664Hans Krapaule (wohl Grandpaule) von Grünwald; 1676 David Hornstein von Lindau am Bodensee; 1678 Johann Caspar Lamsor aus dem Württemberger Land; 1680 Andreas Schönherr von Raidersheim in Tirol; 1681 Hans Meyer und seine Hausfrau aus dem Schweizerland bürtigt; 1682 Adam Wolf aus dem Ländel Träntz; und Antonia Kern und Anna alle beide aus der Schweiz bürtigt; 1684 Anna Maria Kernin, Christian Kerns aus der Schweiz im Berner Gebiet eheliche Tochter; 1686 Johann Michael Becker von Entzheim bei Saarbrücken." Wie in Birkenau, so finden wir auch in den hierher eingepfarrten Orten Zugezogene. In Hornbach: " 1667 Caspar Templer von Schönfeld im Bistum Eichstätt; 1683 die Schweizer Anna." In Kallstadt: "1674 Hans Schilteknecht, ist in der Schweiz im Dörflein Dissenau zu Haus". In Nieder‑Liebersbach: " Daniel Berg aus Holstein von Heiligen Hagen; Johannes Jecki, der alte Schweizer" usw.
Ein hervorstechendes Merkmal der verminderten Bevölkerungszahl bildet die große Menge der "öde und wüst" liegenden Grundstücke und der herrenlosen Güter. Viele Felder waren ungebaut geblieben und hatten sich im Laufe der Zeit mit Gestrüpp und Bäumen bepflanzt. Die 777 ha unfassende Gemarkung Birkenau besaß 1650 kaum mehr als 30 Morgen = 8 ha. anbaufähiges Ackerland, wovon die 3 hiesigen Bauern allein noch 28 Morgen innehatten. Auch die nachfolgenden Jahre scheinen darin wenig Wandel geschaffen zu haben. So zeigt ein Verzeichnis der Pfarrgüter vom Jahre 1660, daß von den zusamen 8 Morgen betragenden Pfarräckern nur 2 Morgen "zu bebauen" waren, während von einem 4 Morgen großen Acker "in der Liebersbach" berichtet wird: "Ist mit Tannen und Erlen verwachsen" und der 2 Morgen betragende Acker "auf der Höh", ganz mit Tannen verwachsen war. Ebenso finden wir in einem "Verzeichnis der der Kirche versetzten Güter" aus demselben Jahre bei sehr vielen Grundstücken die Bemerkung "schlecht, verwachsen, ist wüst, noch wüst, mit Tannen verwachsen und dergl."
Im krassester Weise bezeichnet eine Urkunde (Hess. Staatsarchiv) vom Jahre 1648, betitelt "Spezifikation aller bei der Kellerei Heppenheim impotierten Zinsen etc", die verheerende Wirkung des Krieges auf das wirtschaftliche Leben unserer Gegend. Der 1. Teil der Urkunde enthält die Einnahme aus den im Erbleih gegebenenn churmainzischen Domanialgüter, während der zweite Teil die Einnahme an Zehnten, Weidgeld, Umgeld, Hubgeld und ähnl., und zwar stets im Vergleich mit dem Jahr 1630. Aus beiden Teilen seien hier einige unsere Gegend betreffende Beispiele angeführt: Ein 110 Morgen Ackerland und 13 Morgen Wiesen umfassendes Hofgut zu Viernheim, das 1630 an Gefällen 11 Malter Korn, 65 Malter Spelz und 56 Malter Hafer abwarf, lag 1648 "wüst und öd". Von einem anderen Hofgut in Viernheim, 323 Morgen groß und an 7 Beständer aufgeteilt, wird ebenfalls berichtet, "liegen alle wüst und öd". Ein Hofgut in Mörlenbach, das 1630 Hans und Wendel Metz in Erbbestand hatten und 15 Malter Korn und 30 Malter Hafer Erbzins jährlich abwarf, lag "wüst und öd." Weiter wird aus Mörlenbach mitgeteilt: " Thomas Volk, gewesener Schultheiß hat eine Mühle des Orts, ist durchaus verfallen und verbrannt, nimmt sich auch des verfallenen Platzes und Wasserzinses niemand an." Dagegen war ein kleines Hofgut zu Schnornbach 1648 noch bewohnt und gab 3 Malter Hafer, während es 1630 die doppelte Menge lieferte. Die Mühle zu Fürth stand "leer", und ein dortiges Hofgut war "unbebaut." Von einer Mühle in Brombach (bei Fürth) wird berichtet, daß sie "durchaus abgebrannt" sei und die dazugehörigen Äcker "wüst" lagen. Von Fahrenbach (bei Fürth) wird angegeben: "Das Dorf war 13 Jahre unbewohnt." Dann wird "eine Mühl mit dazugehörigen Gütern" in Kirschhausen bei Heppeheim erwähnt: "stehen die Gebäu noch in etwas und weilen keine Erben beihanden auch sonsten sich deren niemand annimmt, verfallet solche in Grund." Auch in Wald‑Erlenbach (bei Heppenheim) "ist die Mühl in Grund verfallen und nimmt sich deren niemand an."
Eine nicht minder deutliche Sprache redet der 2.Teil der Urkunde:
"An Geldzinsen 1630 = 500 fl. 1648 = nichts
an Martinszinsen 1630 = 27 fl. 1648 = 11 fl.
von erblich verliehenen
Gütern 1630 = 25 fl. 1648= 8 fl.
Von ständigen Weidgeld 1630 = 107 fl. 1648= 20 fl.
Von ständigen Hubgeld 1630 = 21 fl. 1648= 4 fl.
An Atz und Frohn 1630 =803 fl. 1648= 20 fl.
Weilen die Leut so wenig und die Dorfschaften ledig stehen.
An ausgeliehenen Wiesen 1630 = 25 fl. 1648= 7 fl.
Weilen die Wiesen mehrenteils liegen bleiben.
Von kleinen Zehnten 1630 = 46 fl. 1648= 8 fl.
Von unständigen Weidgeld 1630 = 280 fl. 1648= nichts
Von Geleitzinsen 1630 = 240 fl. 1648= nichts
Das Umgeld 1630 = 1486 fl. 1648 = 73 fl.
An Hubhafer 1630 = 500 Malter 1648= 19 Malter,
weilen die Huben nit mehr bewohnt, sondern wüst und öd liegen.
An Gänsen 1630 = 60 Stück 1648= 8 Stück
An Kappen 1630 = 252 Stück 1648= 57 Stück
An Fastnachthühnern 1630 = 314 Stück 1648= 39 Stück
An Eiern 1630 = 570 Stück 1648= nichts
Nun wieder zu Birkenau zurück. Der wirtschaftliche Tiefstand offenbart sich auch in dem geringen Viehbestand nach dem Kriege. Obgleich unser Ort ein ausgesprochenes Bauerndorf war, besaß er 1650 nur 2 Pferde, 6 Ochsen und 21 Kühe. Eine Folgeerscheinung der Bevölkerungsabnahme und der dadurch herrenlos gewordenen Güter bilden die zahlreichen Aufkäufe solcher Objekte in der Nachkriegszeit. Besonders trat hier und in der Umgegend in den Jahren von 1651 bis 1665 als Käufer "General‑Major Rabenhaupt von Sucha aus Krumbach" auf, nachdem schon während des Krieges (1634) die "Carlebach'sche Mühle (jetzige Kammfabrik von Friedrich Grösche Nachfolger) in seinem Besitz übergegangen war. Das Geschlecht der v. Rabenhaupt stammte aus Trzemoschnitz in Böhmen, kam aber später auch nach Franken (Krottendorf, Lichtenberg und Ramsental) und in die Pfalz. Auch in Weinheim war es begütert; der Schlußstein des Torbogens der Hofreite Münzgasse Nr. 5 zeigt das Wappen dieses Geschlechts.
Eine weitere Illustration der Notlage vieler Volksgenossen zur damaligen Zeit bilden die Almosenrechnungen der hiesigen Kirche. Nach den daraufhin durchgesehenen Belegen aus den Jahren 1650‑54 erschienen an der Tür des Pfarrhauses zahlreiche arme Leute, um aus dem Almosenfond eine Unterstützung zu erbitten. Gewöhnlich waren es 1 oder 2 alb. die ihnen gegen Quittung von dem "Almosenpfleger" gereicht wurden, zuweilen jedoch auch 3,4,5 oder 6 , seltener 10 oder 15alb. Wer waren aber die Bettler ? Am häufigsten kehren die Einträge wieder: "1 armen Mann, einer armen Frau, 1 alten Mann, 1 alten Frau, 1 kranken Mann, 1 blinden Mann, 1 lahmen Mann, 1 kleinen Mägdlein, 1 armen Bub und ähnl. Daneben kommen vor: "1 Mann, so im Kopf verwirrt, 1 törichter Mann, 2 Handwerksgesellen, 1 Bergknappen, 1 alten Hirten, 1 Soldaten, 1 Holländer, Männer, so von den Türken gefangen usw., aber auch: Studenten, Schulmeister, vertriebene Schulmeister, einer armen Pfarrer Wittib (mehrmals), 1 Pfarrer, 1 armer Pfarrer, 1 Hauptmann, einer vom Adel, 1 Edelmann usw. Außerdem klopfte an des Pfarrers Tür, im Jahre 1654 nicht weniger als fünfmal, "die schöne Magdalene" und erhielt stets 1 alb.
So begegnen uns auf Schritt und Tritt Dokumente des wirtschaftlichen Tiefstandes als Nachwirkungen des unseligen Krieges, von dem sich Birkenau nur langsam erholen konnte, langsamer als günstiger gelegene Orte, z. B. Weinheim. Von diesem weiß Häusser (Geschichte der Pfalz II, 588) zu berichten, daß bald nach dem Westfälischen Frieden längs der Bergstraße ein lebhafter Reiseverkehr einsetzte, der die Wunden des Krieges hier rascher heilen half als anderwärts. So übernachtete 1657 im "Gasthaus zum Bock" in Weinheim (Alte Post) der auf einer diplomatischen Reise durch Deutschland begriffene französische Marschal de Grammont, der in seinen Denkwürdigkeiten sein Erstaunen darüber aussprach, wie das Land, das er vor 12 Jahren im tiefsten Kriegselend gesehen hatte, schon wieder zur Blüte gelangt war. Das rückwärts gelegene Birkenau blieb jedoch von dem erwähnten Reiseverkehr unberührt, weshalb es ungemein viel länger unter den Nachwirkungen des Krieges zu leiden hatte.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Der Hausdrachen ist zu Hause geblieben
Buchklingen. „Ureinwohner von Buchklingen werden sich noch an das Schullandheim des Elisabeth-Gymnasiums aus Mannheim erinnern. Zumal wenn sie männlichen Geschlechts sind, denn das Mannheimer Gymnasium war eine reine Mädchenschule. Generationen von Schülerinnen besuchten dieses Heim zum Entzücken der männlichen Dorfjugend in Buchklingen“, sagt Birkenaus Gemeindearchivar Günter Körner. Das Schullandheim war neben dem „Grünen Baum“ das Wahrzeichen von Buchklingen von 1927 bis 1992. Grund genug, um seine Geschichte und die Geschichten, die in ihm erlebt wurden, etwas genauer zu erzählen.
Eine Festschrift zum 125-jährigem Bestehens des Elisabeth-Gymnasiums in Mannheim, die Körner weitgehend als Informationsquelle dient, fasst die Geschichte des Landheims zusammen. Die Wandervogelbewegung brachte es mit sich, dass fast jedes städtische Gymnasium mit dem anderen wetteiferte, ein Schullandheim sein Eigen zu nennen. 1925 hatte das Gymnasium in Buchklingen ein Bauernhaus erworben und umbauen lassen.
Großstadtjugend im Dorf
Im Jahr 1927 konnte das „Julius-Busch-Heim“, benannt nach einem ehemaligen Rektor der Schule, schließlich bezogen werden. Doch diese Bezeichnung setzte sich nicht durch, es war schlichtweg das Landheim der Elisabeth-Schule. Es wurde damals ein Trägerverein gegründet, nach dessen Willen der Zweck dieser Einrichtung „der gesundheitlichen, erzieherischen und unterrichtlichen Förderung der Schülerinnen dienen“ und insbesondere die Großstadtjugend mit der Landbevölkerung bekannt gemacht werden sollte.
Das 200-Seelendorf Buchklingen stand wie ein Mann hinter dem Schullandheim. Die regelmäßig stattfindenden Heimfeste wurden gemeinsam organisiert, erklärt Körner. Erste Leiterin des Landheims war eine Frau aus Buchklingen, Katharina Kohl. Über das Jahr hinweg kamen Schulklassen für drei Tage, während der Ferien für ein bis zwei Wochen nach Buchklingen. Man fuhr mit der OEG von Mannheim bis Weinheim, um dann über die Windeck ins Landheim zu wandern. Im Jahr 1942 wurde der Betrieb kriegszeitbedingt eingestellt.
Im Jahr 1948 stand man vor einem mühsamen Neubeginn. Das Landheim musste, da es in der Zwischenzeit für Wohnzwecke genutzt wurde, gründlich renoviert werden. Eine Terrasse wurde angebaut, Duschräume im Keller und ein zweiter Aufenthaltsraum geschaffen. Von 1948 bis 1959 wurde das Schullandheim von Maria und Dietrich Schmitz geleitet.
„Halbstarke umgrölen das Haus“
Jugendliche aus Buchklingen raubten zeitweise den Lehrern die letzten Nerven, so wird 1957 berichtet, dass „Halbstarke das Haus umgrölen“. In den 1960er-Jahren brachen harte Zeiten für Schullandheime an, erklärt Körner weiter. Individualurlaub und gestiegene Ansprüche an den Komfort solcher Einrichtungen genügten nicht mehr den Ansprüchen. In Buchklingen gab es Vier- und Sechsbettzimmer.
Das Heim wurde zusehends weniger frequentiert. Man bemühte sich durch Modernisierungen und angepasste Freizeitprogramme dem entgegenzuwirken. Von 1981 bis 1987 war noch einmal eine Blütezeit, man steigerte die Belegungswochen von 32 auf 47. Der Trend der Zeit war jedoch nicht mehr aufzuhalten, das Landheim wurde im Jahr 1992 verkauft und schließlich abgerissen.
„Gewaltmärsche“ und Elvis Presley
Man kennt es selbst aus der eigenen Schulzeit: Besuche in einem Schullandheim bleiben unvergessen und schweißen zusammen. Ansichtskarten, die damals Schülerinnen während der Aufenthalte an ihre Eltern schrieben, geben ein unverfälschtes Zeugnis über Erlebtes und Stimmungen in Buchklingen ab. Körner hat diese Karten im Laufe der Jahre zusammengesammelt und kann so die Stimmung aus vergangenen Zeiten für die Zukunft festhalten.
So schrieb im Februar 1956 ein Mädchen namens Ilse in die Heimat: „Eine Woche bin ich hier schon in Buchklingen. Wir haben wunderbares Wetter, nur Sonnenschein und wir gehen natürlich viel spazieren. Unsere Klasse, 14 Mädels, ist mit unserer Englisch- und unserer Turnlehrerin hier. Unsere Klassenlehrerin, du weißt doch, der Hausdrachen, musste wegen ihres Herzfehlers zu Haus bleiben. Sie hat uns aber den Simplicissimus zum Lesen mitgegeben und außerdem noch ein ganzes Buch Latein zum Übersetzen. Heute waren wir im Buchklinger Gasthaus Käsekuchen essen. Buchklingen besteht aus einer Post mit Misthaufen, einem Krämerladen, Gasthaus, Landheim und drei Höfen und Schweineställen. Es gibt aber viel Wald. Von morgens bis abends hören wir Elvis Presley.“
Auch das Essen wird mehrmals thematisiert. So heißt es zum Beispiel auf einer anderen Karte: „Zu essen gab es am Montag ganz ekelhaften Reis. Alle haben fast nichts gegessen, nur Frau Krieger“ oder „Das Essen ist furchtbar, gestern musste ich unaufhörlich kotzen. Besucht mich bitte und bringt was Gescheites zum Essen mit, sonst verhungere ich noch und ihr seid daran schuld.“ Es wurde auch viel gewandert: „Es gefällt mir hier gut. In meinen Augen machen wir Gewaltmärsche.“ Oder „In dieser Woche hatte ich viel Freude. Ich bin trotzdem froh, wenn ich nach Hause komme. Wir wandern viel, ich habe bestimmt schon Plattfüße. Am Donnerstag machen wir eine Schnitzeljagd.“
„Das alles sind Erinnerungen von heute älteren Damen, die bestimmt lächeln müssten, wenn sie ihre Zeilen von damals lesen würden“, sagt Körner.
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
-
Vom ursprünglichen Weschnitznamen
Die Weschnitz, die große Teile unseres Heimatkreises durchfließt, und auch ihre Quelle hat, tritt erstmalig unter dem Namen Wisgoz auf und zwar im Urkundenbuch des sog, Lorscher Kodex, dessen erste Nummer die Schenkung des Landgutes Laurissa nebst Kirche durch den Gaugrafen des Oberrheingaues, Cancor mit Namen, und dessen Mutter Williswinda an den Bischof Ruotgang von Metz im Jahre 763 zwecks Gründung eines Klosters zum Gegenstand hatte. Schon öfters bot der fast wie ein Fremdwort klingende ursprüngliche Name unseres Flüßchens Veranlassung zu Betrachtungen über seine Herkunft und Bedeutung, doch meistens ohne ein allgemein befriedigendes Ergebnis, sodaß es sich lohnt, dieser Frage abermals näherzutreten.
Es liegt nicht in unserer Absicht, auf die seitherigen Deutungen des Namens Wisgoz, wie z. B."Wiese Gottes", der Ableitung von der gallisch‑keltischen Gottheit Visucius oder in "Wis" einen keltischen Flußnamen zu erblicken, einzugehen, es soll vielmehr hier für eine weitere Deutung eingetreten werden, die u. E. mehr Anspruch auf Wahrscheinlichkeit erheben darf, als alle übrigen.Nach ihr steht der zweite Teil des Wortes im Zusammenhang mit mhd. giozo, das etwas Fließendes, also einen Bach oder Fluß bedeutet, während "Wis" von ahd. wisa = Grasland kommend betrachtet wird. Da sich wisa in Wiese verwandelte, würde "Wisgoz" nichts anderes als "Wiesenbach (fluß)" bedeuten, was auch mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt, indem die Weschnitz soweit ihr Lauf in der Ebene in Betracht gezogen wird, früher ausnahmslos durch Wiesen floß. Diese Ansicht glauben wir durch nachfolgende Betrachtung erhärten zu können: In der Nähe von Seidenbach entspringt am Abhang der Seidenbucher Höhe ein kleiner Bach, der Gelichtsbach, der sich nach verhältnismäßig kurzem Lauf in den Pfalzbach (Lörzenbach) ergießt. An dem ersten liegt das kleine Dorf Lautenweschnitz, das in der Beschreibung des Kirchsprengels von St. Peter in Heppenheim vom Jahre 805 unter dem Namen parvum Ludenwisgoz auftritt. Luden, das von mhd. lut = laut abzuleiten ist, zeigt, daß das Dorf nach dem Bach benannt wurde, denn eine Siedlung kann nicht "laut" sein, wohl ein fließendes Wasser, wenn es bei starken Gefälle über Steine stürzt und hierdurch lautes Geräusch verursacht. Das vorangestellte parvum = etwas Kleines, Geringes, Unbedeutendes, kann sich gleichwohl auf das Dorf, als auch auf den Bach beziehen. Und wisgoz: Es muß auffallen, daß der unbedeutende, kaum 6 km lange Bach den gleichen Namen führt, als die ungemein größere und bedeutendere Weschnitz ! In Anbetracht der abgelegenen Gegend, worin sich das Bächlein befindet, erscheint es gänzlich ausgeschlossen, daß eine gallische Gottheit bei der Namensgebung Pate gestanden habe, oder daß der Name eines gallischen Flusses auf es übertragen worden sei. Alles Auffallende veschwindet jedoch, wenn man Wisgoz von wisa ableitet, und wir sind hierzu vollauf berechtigt, denn dieser Bach durchfließt nach einem kurzen Lauf durch den Wald ausschließlich Wiesengelände. Parvum Ludenwisgo würde dann "der kleine, laute d. h. rauschende "Wiesenbach" oder auf die Siedlung bezogen " das kleine, am lauten Wiesenbach gelegene Dorf" bedeuten. Der Hinweis auf das nochmalige Vorkommen einer Wisgoz und dazu noch in unmittlebarer Nähe der ersteren, scheint uns ein Beweis für die Ableitung des Namens von wisa zu sein, was den Vorzug hätte, daß unser Heimatflüßchen auch ursprünglich einen reindeutschen Namen ohne jede fremde Beimischung geführt hätte.
Der Name Wisgoz erhielt sich durch 7 Jahrhunderte hindurch bis im Jahre 1463 zum erstenmal eine neue Bezeichnung in den Urkunden auftritt, nämlich "Wessecze", was sich noch im gleichen Jahrhundert (1493) in "Weschentz", vewandelte. 1539 finden wir erstmalig den Namen "Weschnitz", doch folgt später wieder "Weschentz" oder "Westnitz", doch etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts der heutige Namen allgemein gebräuchlich wird. Eine ähnliche Wandlung beobachten wir auch bei dem Namen Ludenwisgoz, nämlich 1414 "Ludewisches", 1509 "Ludenweschenz", 1613 "Lautenwestnitz", dann "Lautenweschnitz". Eine Deutung bzw. sprachliche Ableitung des Namens Weschnitz wurde unseres Wissens bis jetzt noch von keiner Seite unternommen. Es im Hinblick auf die Endung "nitz" als ein slawisches Wort zu betrachten, halten wir für ausgeschlossen, da keinerlei Anhaltspunkte für diese Annahme vorhanden sind. Wir halten die Endung "nitz" vielmehr für eine willkürliche Umbildung von "enz" in Weschenz".
Autor: Rektor J. Pfeifer
-
Eis und Bier am „Gutselhäusel“
Geschichten um den Minikiosk an der Haltestelle der Weschnitztalbahn „Weinheim-Tal“
Birkenau/Weinheim. Jahrzehnte zurück gehörten sie zum Straßenbild: die Erfrischungshallen, die Büdchen oder auch einfach Kioske genannt. Sie standen vor Bahnhöfen oder anderen belebten Plätzen, waren ein Treffpunkt, an dem man soziale Kontakte pflegte, frühmorgens vor Arbeitsbeginn sein Bier trank, Zigaretten oder die Zeitung kaufte. Jugendliche trieben auch schon einmal einen Schabernack, legten 40 Pfennige zusammen, damit ein „Freiwilliger“ eine Flasche Cola auf „ex“ trank, um das Leergut eilig zurückzugeben. Und als der ahnungslose Kiosk-Betreiber den Schieber für die Durchreiche öffnete, wurde er krachend angerülpst, sodass er vor Schreck fast in seine Süßigkeiten fiel.
Großzügige Öffnungszeiten von morgens 6 Uhr oft bis abends um 20 Uhr oder länger waren oft nur mit Hilfe von Familienangehörigen zu stemmen. Man wurde aber auch durch teils recht gute Verdienstmöglichkeiten belohnt, so verdiente ein Betreiber in den 1970er-Jahren, in einer Stadt an der hessischen Bergstraße nicht viel weniger als der damalige Bürgermeister. Heute sind diese Büdchen eher eine große Ausnahme, sie wurden durch klimatisierte Tankstellenshops abgelöst und verdrängt.
Nur noch ältere Weinheimer oder Odenwälder wissen, dass unweit der Haltestelle „Weinheim-Tal“ am Ortseingang von Weinheim in Richtung Birkenau das sogenannte „Gutselhäusel“ stand, eine Art Minikiosk. Aus der Feder von Hermann Wunsch stammt dazu folgende Geschichte:
Bau eines Erfrischungshäuschens
„Der Weinheimer Syndikus Kraut stellte im Jahr 1919 im Auftrag der Witwe Marie Brehm beim Landratsamt in Heidelberg den Antrag zum Bau eines Erfrischungshäuschen an der Birkenauer Talstraße in Weinheim. Der Antrag wurde gegen eine geringe Gebühr genehmigt. Der Standpunkt war ein in die Böschung der Weschnitz hineinragendes Widerlager einer alten, abgebrochenen Brücke zur Hildebrand’schen Mühle. Im Jahr 1919 heiratete die Witwe Maria Brehm den Steinhauer Ambrosius Gutfleisch (1883 – 1972) aus Altenbach. Sie bauten im Jahr 1921 das Haus Birkenauer Talstraße 93, in dem heute noch deren Nachkommen leben.
Ambrosius Gutfleisch arbeitete später bis zu seiner Pensionierung am Güterbahnhof in Mannheim. Den Auftrag zum Bau des Erfrischungshäuschens erhielt der Schreinermeister Martin Bienhaus aus Weinheim, (Nördliche Hauptstraße 10), der das Gutselhäusel 1919 errichtete. Verkauft wurden hauptsächlich Süßigkeiten, Tabakwaren, alkoholfreie Getränke und Speiseeis. Die Stromversorgung erfolgte durch eine Leitung über die Weschnitz zur Hildebrand’schen Mühle. Das Geschäft florierte ganz gut, vor allem in den Sommermonaten durch Wanderer, die mit der OEG aus Mannheim und dem Umland kamen. Auch die Arbeiter aus dem Odenwald, die meist bei Freudenberg im Müll arbeiteten und an der Haltestelle ,Weinheim Tal‘ ein- und ausstiegen, waren gute Kunden.“
Wunsch schreibt weiter: „Im Jahr 1940 starb Marie Gutfleisch und das Häuschen wurde von ihrem Mann weitergeführt. Selbstverständlich gehörten auch die Kinder in der Straße zu den Käufern, denn es gab damals schon für zwei Pfennige ein gutes Himbeergutsel und für 5 Pfennige ein Eis. Im Jahr 1942 wurde das Häuschen kriegsbedingt geschlossen.
Umbau im Jahr 1954
Nach der Währungsreform 1948 eröffnete Ambrosius Gutfleisch wieder das Gutselhäusel und führte es zum Anfang auch selber. Anfang der 1950er-Jahre übernahm die Familie Keil von Mörlenbach, die auch am dortigen Bahnhof einen großen Kiosk betrieb, sowie auch Pächter der Gaststätte im Talbahnhof in Weinheim waren, das Häuschen, das 1954 zu einem Kiosk umgebaut worden war.
Danach übernahmen die Schwester von Frau Keil und ihr Mann, die Familie Bender, die Gaststätte im Bahnhof als auch den Kiosk. Im Jahr 1962 waren Wolfgang Rettig und seine Frau Elisabeth für ein Jahr die Pächter. Wolfgang Rettig war zuerst als Heizer auf der Weschnitztalbahn und später dann bis zu seiner Pensionierung. Danach kam Leopold ‚Leppl‘ Horneff als Pächter. Dieser war stadtbekannt und dementsprechend war auch seine Kundschaft. Bei ihm herrschte reges Leben und Treiben. Zuletzt ging wieder alles an den Besitzer Ambrosius Gutfleisch und er betrieb das Kiosk solange, bis 1966/67 die Birkenauer Talstraße, damals noch die B 38, ausgebaut wurde. Dann musste das alte Gutselhäusel der neuen Zeit weichen und wurde abgebrochen.“
Besonders gute Umsätze wurden zum Anfang des Monats gemacht, denn es war Zahltag. Die Firma Freudenberg zahlte den sauer verdienten Lohn damals noch bar aus. So genehmigten sich die Odenwälder Arbeiter am Kiosk schon einmal das eine oder andere Bier mehr, es wurde auch schon einmal der „rote Rüttler“, der sie heimwärts bringen sollte, verpasst.
Böse Zungen behaupten, dass sparsame Ehefrauen ihre Männer am Tor der Firma am Zahltag abholten, um ein Besäufnis am „Gutselhäusel“ zu verhindern. Schmunzeln machende Erinnerungen, die es heute so nicht mehr gibt – wie das „Gutselhäusel“ eben auch.
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
-
Der Birkenauer Steinbruch im Kallstädter Tal
Viele Leser unserer Zeitung kennen das in Birkenau vom Weschnitztal abzweigende, nach dem darinliegenden Weiler Kallstadt benannte liebliche Odenwaldtälchen, haben wir die würzige Waldluft eingesaugt und sich an seiner Stille und Anmut erfreut. Mancher hat wohl auch beim Durchwandern einen Blick in den 1/4 Stunde von Birkenau entfernt am Fuße der "Hohen Hecke" angelegten großen Steinbruch geworfen, oder ist gar hineingegangen, um die mächtigen 25‑30 Meter hohen, senkrecht aufsteigenden Felswände zu bewundern. Gewiß, nur sehr wenigen wird beim Betrachten der Felsmasse zum Bewußtsein gekommen sein, daß wir es hier mit einer ganz besonderen Gesteinsart zu tun haben, die nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch infolge ihrer Bildung unser vollstes Interesse verdient. Es handelt sich hier nicht, wie vermutet werden könnte, um den ähnlich aussehenden, uns vom "Hirschkopf" her bekannten Diorit, sondern um ein metamorphes, d.h. umgewandeltes Gestein, das den Namen "Schieferhornfels" führt.
Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man geneigt sein, das Gestein dieses Bruches für ein Tiefengestein zu halten, denn es ist vollständig kristallin, die einzelnen Bestandteile lassen sich als Quarz, Feldspat und Biotit (=Magnesiaglimmer) deutlich unterscheiden, auch ist es, wie der Diorit und die Granite, von Ganggestein (Aplit, Pegamtit und Glimmerminette) durchsetzt. Eine ganz besondere Untersuchung wird uns jedoch bald eines anderen belehren. Bei den Tiefengesteinen liegen die einzelnen Gemengteile wirr und reglos durcheinander, wodurch sie eine körnige, d.h. richtungslose Struktur erhalten. Bei unserem Gestein läßt sich dagegen ein gewisser Wechsel von hellen und dunklen Lagen erkennen, also eine mehr oder weniger deutliche Parallelstruktur. Besonders auf dem Querbruch eines Haustücks tritt dieser Wechsel in der Farbe gut hervor, während auf den Bruchflächen parallel zur Schieferung, die schichtweise Lagerung der Gemengteile besser zu beobachten ist. In dieser Richtung besitzt der Stein eine leichtere Spaltbarkeit, doch tritt diese Eigenschaft am frischen Gestein weniger in Erscheinung, als wenn es sich in vollständig schiefrige Platten auflöst. Diese ebengenannte Parallelstruktur einerseits, sowie die Ähnlichkeit mit den Tiefengesteinen, bildet die Ursache, derartige Gesteinsarten als "kristalline Schiefer" zu bezeichnen.
Oben wurde angeführt, daß es sich in unserem Steinbruch um ein metamorphes Gestein handele. Es ergeben sich daraus die Fragen: 1. Welcher Art war das Gestein ursprünglich ? 2. Wann und auf welche Weise vollzog sich die Umwandlung ? Auf die erste Frage kann eine bindende Antwort nicht gegeben werden, wir sind hierin lediglich auf Vermutungen angewiesen. Da es verschiedene Arten metamorpher Gesteine gibt, können die Ausgangsprodukte nicht die gleichen gewesen sein; für unseren Hornfels kommen in dieser Hinsicht tonige und feinsandige Sedimente, wie Sandsteine, Grauwacken und ähnliche in Frage. Welcher Formation diese aber angehörten, läßt sich ebenfalls nur vermuten. Der Zeit der Umwandlung direkt ging das untere Karbon (=Steinkohlenzeit) voraus. Da jedoch dessen Ablagerungen, nämlich Kohlenkalk, in unserer Gegend fehlen und auch infolge ihrer chemischen Beschaffenheit nicht in Frage kommen könnten, wäre an die Sedimente des vorausgehenden Devon zu denken. In dieser Zeit bildeten sich neben umfangreichen Lagen von Tonschiefern besonders auch tonige Sandsteine, die als Ausgangsprodukte der Hornfelse gelten müssen. Die devonen Ablagerungen dieser Art erreichten gewaltige Ausmaße, wie das rheinische Schiefergebirge, sowie große Teile des Harzes und das Vogtland beweisen. Fassen wir nun ins Auge, daß die in Odenwald vorhandenen Schieferschollen alle deutlich nordöstliches Streichen aufweisen und somit völlig mit der Richtung der Falten des rheinischen Schiefergebriges übereinstimmen, so fühlt man sich zu der Annahme berechtigt, die metamorphen Schiefer des Odenwaldes seien mit den tieferen Schichten des rheinischen Schiefergebirges identisch und würden wie diese aus dem Devon stammen. Bestärkt werden wir in dieser Annahme, daß auch andere metamorphe Odenwaldgesteine auf eine Analogie zu dieser Formation hinzuweisen scheinen. So ist z.B. der Auerbacher Marmor aller Wahrscheinlichkeit auf Risskalke zurückzuführen, die zur Devonzeit in reichlichem Maße zur Ausbildung kamen und jetzt noch, besonders als malerisch schroffe Felsformen zu beobachten sind. Außerdem verdanken die Amphibolite (siehe später !) ihre Emtstehung vermutlich den Diabasen, von denen wir wissen, daß umfangreiche Ergüsse dieser Art die devone Sedimentbildung unterbrochen haben und Reste dieses Gesteins auch in manchen Amphiboliten des Odenwaldes auftreten. Die Frage nach der Herkunft und Art der Ausgangsprodukte unserer metamorphen Gesteine wäre leicht zu benatworten, wenn erstere ihren Fossilinhalt noch besäßen. Dieser wurde jedoch durch die Umwandlung zerstört, wodurch eine Bestimmung des ursprünglichen Gesteins nach Art und Alter auf diese Weise unmöglich gemacht wurde.
Nun die Frage nach dem Wann und Wie ? Im mittleren Karbon spielten sich gewaltige gebirgsbildende Vorgänge ab, von denen auch große Teile Deutschlands einschließlich unserer Gegend berührt wurden. Während zu Beginn des Karbon weite Teile des heutigen Europa vom Meer bedeckt waren und nur kleine Teile einförmige Landflächen bildeten, begann in der Mitte dieses Zeitalters ein Auftauchen der Landmassen, verbunden mit ausgedehnten Faltenbildungen, wobei sich die am stärksten gefalteten Teile zu langgestreckten, hohen Gebirgen auftürmten. Diese Faltengebirge durchzogen im Form eines flachen V West‑ und Mitteleuropa von Cornwall bis über die Sudeten, und unsere deutschen Mittelgebirge, darunter auch der Odenwald, verdanken ihre erste Anlage jener Periode.Infolgeder Druckveränderung innerhalb der Erdrinde drangen große Magmamassen auf und füllten die Hohlräume der Falten aus, wodurch der Gabbro und Diorit, sowie die Granite entstanden.Durch den bei der Faltenbildung vorhandenen starken Druck einerseits und die Berührung (Kontakt) der tieferliegenden Schichten des aufgefalteten Gesteins mit dem glutflüssigen Magma andererseits, erfuhren diese Partien eine umwälzende Veränderung sowohl in struktureller als auch in stofflicher Hinsicht, die wir mit dem Namen Metamorphose bezeichnen.
Sehen wir uns die Vorgänge, durch die die Umwandlung erfolgte, etwas genauer an. Faltenbildungen können nur in größerer Tiefe vor sich gehen, wo das Gestein durch den Druck der darüberliegenden Gesteinsmassen, mehr aber durch die Hitze von unten plastisch und biegsam ist, und werden durch einen seitlich zur Auswirkung kommenden Druck veranlaßt. Dieser Druck bewirkt nun nicht allein eine Bewegung der Gesteinsschichten, sondern übt in dieser Hinsicht auch einen maßgebenden Einfluß auf die Mineralkristalle aus. Besonders ist es der Glimmer, der sich durch die Bewegung beeinflußen läßt, indem er sich mit Vorliebe in der Richtung der Bewegung ansammelt und parallel zur Druckrichtung einstellt. Jedoch auch Quarz und Feldspat bleiben in dieser Hinsicht nicht unberührt, auch sie lassen eine gesetzmäßige Abhängigkeit gegenüber den Bewegungsvorgängen erkennen. Auf diese Weise werden die Mineralkristalle geordnet und ihre schichtweise Lagerung hervorgerufen, die wir als Schieferung bezeichnen. Die gleichen Vorgänge spielten sich auch bei unserm Gestein ab, und es erhielt dadurch seine Parallelstruktur. ‑Doch war damit seine Umwandlung noch nicht beendet. Neben dem Druck und der durch ihn bewirkten Bewegung bildete die Berührung mit dem Magma eine weiteren höchst wichtigen Faktor in dem Metamorphierungsprozeß. Die innersten Faltenpartien, die mit dem Magma in direkte Berührung kamen, wurden von diesem völlig aufgelöst, und das bei der Erstarrung gebildete neue Gestein unterscheidet sich kaum von den Tiefengesteinen, da eine Schieferung nur undeutlich zu erkennen ist und die Beeinflußung größtenteils auf chemischen Gebiete liegt. Bei den nächsten Felsenpartien drang das Magma in das geschichtete und durch die Hitze erweichte Gestein ein und benutzte hierzu hauptsächlich die Schieferungsflächen, da sich hier die Schichten am leichtetesten trennen ließen. Das Magma wurde von diesen Parttien imdibirt (eingesaugt), sodaß eine förmliche Durchtränkung derselben erfolgte. Es fand dadurch eine Anreicherung von Silikaten statt, die für die chemische Umwandlung des ursprünglichen Materials von Bedeutung war, ohne jedoch dessen Struktur wesentlich zu verändern. Doch damit ist die Beeinflußung durch das Magma noch nicht beendet. Wir wissen, daß eine seiner wichtigsten Eigenschaften ein bedeutender Gehalt an Gasen und leichtflüchtigen Bestandteilen bildet. Diese Gase usw blätterten nun die höhergelegenen Partien längs der Schieferungsflächen förmlich auf und drängten sich hinein. Die Beeinflußung des dadurch in Mitleidenschaft gezogenen Gesteins konnte in diesem Falle nur gering sein, da diesen Substanzen die Schmelzwirkung fehlte, um weitgehende Veränderungen hervorzurufen. Deshalb finden wir hier rein granitische Bänder neben metamorphieerten, und man spricht in diesem Falle von injizierten Schiefern. Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß der Abaluf der Metamorphose ein sehr komliziertes Wechselspiel darstellt, das hier nur rein schematisch beschrieben werden konnte.
Außer dem Schieferhornfels führt unser Steinbruch noch einige andere Arten von Gesteinen und Mineralien, an denen wir nicht vorübergehen wollen. Aplite und prächtige, oft fleischrote Pegmatite mit großen Quarzen, schönen Muskovittäfelchen, schwarzen Turmalinen, messingglänzendem Schwefelkies und kirschroten Granaten, letzere auch an den Hornfels gebunden. Die Nordwand durchzieht ein umfangreicher Gang von Glimmerminette, der unsere besondere Aufmerksamkeit beansprucht, da er alle Übergänge von dem bis zur Unkenntlichkeit veränderten grauen bis zum frischen schwarzen Gestein zeigt. Er wird von zahlreichen weißen Adern durchzogen, die aus Kalkspat bestehen, der hier überwiegend in Rhomboadern auskristallisiertist, doch kann man mit einigem Glück auch Skalenoederkristalle finden.
Der Schollen, in dem unser Steinbruch angelegt ist, enthält neben Schieferhornfels noch 3 weitere metamorphe Schieferarten. Zunächst Quarzitschiefer, den wir über unserem Steinbruch in der "Hohen Hecke" direkt am Weg gut aufgeschlossen antreffen, doch auch auf der Eichhöhe bei Birkenau, sowie auf der Lehhecke unterhalb von Gorxheim. Er erscheint im frischen Zustande rein weiß und besteht fast ausnahmslos aus Quarz und Muskovit (Kaliglimmer). Wenn er an Quetschzonen auftritt ‑ wie das bei unseren Schollen stets der Fall ist ‑, zeigt er eine starke Imprägnierung von Eisenoxyden, die ihm dann gelbliche, rötliche oder violette Färbung verleihen. Weiter finden wir z.B. östlich von Rippenweiher, bei Buchklingen, am Blessenwald bei Birkenau und links der Straße zwischen Weiher und Kreidach Kalksilikathornfels als feinkörniges bis dichtes, fast massiges Gestein von grauer Farbe und unebenen muscheligem, oft splitterigen Bruch; im frischen Zustande zeigt es deutlichen Fettglanz. Seine Bestandteile sind in der Hauptsache Feldspat (und zwar vorwiegend Plagioklas‑, Kalk‑, Natronfeldspat), Quarz, Augit und grüne Hornblende. Wegen seiner leichten Zersetzbarkeit umgeben sich die losen Fragmente an der Oberfläche mit einer grauen bis schmutzigbraunen Verwitterungskruste, weshalb er rein nur in größerer Tiefe anzutreffen ist. Als viertes metamorphe Gestein weist der Schollen Amphibolit auf und zwar bei Gorxheim und Unter‑Flockenbach, Löhrbach, Rohrbach, Mackenheim, Kreidach, Stallenkandel und Ober‑Mengelbach (hier Steinbruch mit Klopfwerk), sowie südwestlich von Waldmichelbach. Bestehend aus Feldspat (zumeist handelt es sich um Plagioklas),Hornblende, Quarz und Biotit zeigt der Amphibolit schwarze bis dunkelgraue Färbung und ist mehr oder weniger deutlich geschichtet, doch auch im letzteren Falle immerhin eine gewisse Bankung erkennen lassend. Seine Struktur ist, besonders bei den Kleinkörnigen, deutlich hornfelsartig.
Im Anschluß seien die metamorphen Schieferschollen des vorderen Odenwaldes aufgezählt. Der, in dem sich der Steinbruch im Kallstädter Tal befindet, beginnt dann eine größere Unterbrechung, setzt bei Gorxheim und Unterflockenbach wieder ein und zieht, wie auch die übrigen Schollen dieser Art, nach Nordosten, um, weiterhin mehrfach unterbrochen bei Ober‑Mengelbach zu endigen. Der zweite Schollen zieht ununterbrochen in einer Länge von etwa 15 km. von Heppenheim über Mittershausen, Scheuerberg, Erlenbach, Eulsbach, Lindenfels und Winterkasten bis Fränkisch‑Crumbach. Ein dritter Zug läßt sich von Auerbach über den Felsberg nach Hoxhohl verfolgen. Beiden parallel verläuft weiter nördlich ein vierter Zug, der etwas nördlich von Ober‑Beerbach einsetzt, durch den großen Steinbruch bei Nieder‑Ramstadt gut aufgeschlossen ist und nordöstlich von Ober‑Ramstadt sein Ende erreicht.
Was wir heute noch an derartigem Gestein im Odenwald finden, sind die spärlichen Reste eines alten Schiefergebirges, das im Laufe der Zeit eine tiefgreifende Abtragung erlitt. Wenn noch Teile davon bei uns vorhanden sind, verdanken sie es dem Umstand, daß sie am tiefsten eingefaltet oder eingesunken waren und somit der Abtragung entgehen konnten. Die Zerstörung hätte bei uns zur Zeit des Rotliegenden das Niveau des Granits erreicht, sodaß sich dessen Schichten direkt auf den Tiefengesteinen ausbreiten.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Als die Post noch mit der Kutsche gebracht wurde
Historisch: Im Jahr 1886 wird in Birkenau eine Postagentur gebaut / Postkutschenverkehr zwischen Weinheim und Fürth bis 1895
Eine sogenannte Postexpedition wurde in Birkenau zur Jahresmitte 1861 eingerichtet. Davor musste man in das Badische Ausland nach Weinheim, um Postsendungen oder Geldüberweisungen, die in bar abgewickelt wurden, zu tätigen. Vorher hatte das Kreisamt Heppenheim beim Birkenauer Bürgermeister angefragt, wer wohl als zuverlässiger Posthalter in Frage käme? Unter drei Kandidaten wurde der Gemeindeeinnehmer Georg Jochim I. ausgewählt, der ein Haus in der Hauptstraße hatte, das ganz in der Nähe an der Stelle stand, wo jetzt die „alte Post“ die Zeit überdauert hat. Zunächst stellte Jochim in seinem Haus Räumlichkeiten für die Post bereit. Zur gleichen Zeit wurde auch der einspännige Postkutschenverkehr von Weinheim nach Fürth und umgekehrt aufgenommen.
Ein einachsiger Postwagen
Die Postkutsche, damals auch Karriolpostverbindung genannt, war ein einachsiger Postwagen, auf dem außer dem Kutscher noch zwei weitere Personen Platz fanden. Von Birkenau aus wurden 26 Orte und Wohnplätze mit Postsendungen versorgt, dies waren unter anderem Löhrbach, Ober- und Nieder-Liebersbach, Reisen, Rohrbach, Schnorrenbach, Vöckelsbach, Buchklingen, Flockenbach, Gorxheim, Hornbach, Kallstadt, Mörlenbach Nieder- und Obermumbach, Schimbach, Trösel und Weiher. Hierfür wurden zwei „Touren“ eingerichtet, was bei den Postboten absolute körperliche Fitness voraussetzte.
Zudem erhielt Birkenau ab 1877 eine Telegraphenanstalt. An den Telegraphenmasten waren Porzellanisolatoren, die immer wieder von übermutigen Buben mit Steinen beworfen und zerstört wurden. Deshalb wurde im Juli 1878 bekannt gemacht, dass bei Zertrümmerung der Isolatoren Gefängnis bis zu einem Jahr oder 900 Mark Geldstrafe drohten.
„Kaiserliches Postamt“
Postverwalter Jochim schied 1882 aus dem Postdienst aus und übergab die Geschäfte an seinen Sohn Georg Jochim II. Mit den Jahren waren die Räumlichkeiten im Haus der Familie Jochim zu klein geworden und man baute einen einstöckigen Anbau, von dem sich ein detaillierter Bauplan aus dem Jahr 1886 erhalten hat. Planfertiger war Kreisbaumeister Kabey, der in Rimbach wohnte. Von der Straße aus hatte der Anbau eine Eingangstür und zwei Fenster und etwa eine Fläche von 20 Quadratmetern. Betrat man das „Postbüreau“ stand man gleich vor dem Schalter, so dass man nicht in den eigentlichen Raum gelangte.
Diese Postagentur finanzierte der Posthalter Georg Jochim II. privat. Über dem ersten Fenster neben der Tür prangte ein Schild, das einen bekrönten Adler und den Schriftzug „Kaiserliches Postamt“ zeigte. Dieser Anbau ist auch auf einem der populärsten Fotos von Birkenau zu sehen, das die letzte Postkutsche zeigt, die Birkenau am 30. Juni 1895 in Richtung Weinheim verließ. Ab dem folgenden Tag bediente die Weschnitztalbahn die Strecke Weinheim–Fürth. Das Gebäude war entsprechend dem Zeitgeschmack verputzt. Georg Jochim II. quittierte im Oktober 1914 seinen Dienst als Postverwalter. Zum gleichen Zeitpunkt wurde ein neues Postgebäude, das heute als die „alte Post“ bezeichnet wird, in unmittelbarer Nachbarschaft eröffnet. Nachfolger als Postverwalter wurde Jakob Maas aus Lampertheim.
Während des Ersten Weltkriegs setzte man, da alle wehrfähigen Männer zum Kriegsdienst eingezogen wurden, erstmals Postbotinnen ein. Ein Foto aus den 1920er-Jahren zeigt die Belegschaft des Postamts, immerhin eine Frau und 13 Männer. Während der unseligen Nazi-Zeit kamen zum Postamt Birkenau auch „Birkenau-Irrläufer“, das heißt Sendungen, die eigentlich an das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gesendet werden sollten. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur Postkarten erlaubt, damit jede Nachricht zu Zensurzwecken gelesen werden konnte. Ende August 1945 waren dann wieder Briefe und Päckchen zugelassen.
Die Odenwälder Zeitung berichtet am 30. Dezember 1970: „Birkenau hat eine neue Post. Für die Bevölkerung bereits ein gewohnter Anblick im Schlossgarten hinter der Volksbank steht das neue Gebäude, in dem auch die Posträume untergebracht wurden, seit zwei Monaten. Die darin errichteten sechs Wohnungen, davon eine als Arztpraxis, sind seit dieser Zeit bereits bewohnt [...] alles ist nach den neuesten Gesichtspunkten ausgestattet, zwei Fernsprechzellen, ein großer Schaltervorraum, drei Schalter, Arbeitsräume für die Bediensteten und für den Dienstleiter, Sozialräume, ein großer Packraum [...].“
Leiter des neuen Postamts war bis zum 30. November 1990 Hans Peterl, ihm folgte Gustav Dengler nach. Damals waren zehn Brief- und Paketzusteller beschäftigt. Dem Trend der Zeit folgend schloss man zuerst auf dem Lande Postämter, sparte Personal und Kosten ein. Man verlagerte Postfilialen in bestehende Einzelhandelsgeschäfte, die neben dem eigentlichen Hauptgeschäft mit eigenem Personal alle Angelegenheiten der Post erledigen. Diese Postfiliale befindet sich heute in der Bahnhofstraße. Die Zeit der beamteten Posthalter war damit ein für alle Mal vorbei.
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
-
Ein geologischer Gang durch das Birkenauer Tal
Für geologisch interessierte Personen erweist sich ein Gang durch das Birkenauer Tal und dessen nächste Umgebung als äußerst lohnend. Um alle auf diesem Weg anzutreffenden Objekte leicht aufzufinden, diene dieser kleine Wegweiser.
Wir beginnen unsere Wanderung im nördlichen Teil von Weinheim und begeben uns zunächst zum Hubberg. Um ihn zu erreichen, benutzen wir die Verlängerung der Gunterstraße, wo kurz nach den letzten Häusern links im Hohlweg am Rain eine gelbes, weiches Gestein ansteht. Es ist tertiärer Sandstein, eines der jüngsten Gesteine, wodurch seine geringe Festigkeit ihre Erklärung findet.
Von da geht es zurück zur Birkenauer Talstraße und auf dieser in das Weschnitztal hinein. Hinter der ersten Eisenbahnbrücke gelangen wir an einen Steinbruch. In ihm und schon an der Steinwand kurz vorher können wir gut umfangreiche Rutschflächen oder Harnische beobachten, die durch absinkende Gesteinspartien entstanden sind, was zur Glättung der Flächen führte. Das Gestein von rötlich‑grauer Farbe ist Biotitgranit. Dieser besteht aus rötlichem bis weißem Feldspat und grauem, glasigem Quarz, dazwischen überall, doch stets in kleinen Blättchen eingesprengten schwärzlichem Magnesiaglimmer, der nach dem französischen Arzt und Naturforscher Biot "Biotit" genannt wird. Am oberen Rand des Steinbruchs lagern meterhohe diluviale und darüber Löß, den man aber an anderer Stelle besser beobachten kann.
Ein wenig oberhalb des ersten Steinbruchs stoßen wir auf einen zweiten, etwas von der Straße zurückliegenden Bruch. Schon das Material der Verladerampe zeigt, daß hier Hornblendgranit ansteht. Dieser besitzt ein bläuliches Aussehen und setzt sich ebenfalls aus Quarz und Felspat zusammen. Während der dunkle Gemengteil Hornblende oder Amphibol ist, die in Säulchen kristallisiert.
Weitergehend erblicken wir an der zweiten Bahnbrücke den Eingang zu einem Tunnel, vor dem zahlreiche Bruchstücke von auffallend roter Farbe liegen. Es ist Biotitgranit, dessen stark eisenhaltiger Feldspat die Rote Farbe erzeugt.
Oberhalb der Gummifabrik steht wieder Hornblendgranit an mit großen, helleren Einspringlingen, die man Karlsbader Zwillinge nennt. Sie bestehen aus Kaliffeldspat oder Orthoklas, der in rechtwinklig aufeinanderstehenden Spaltflächen kristallisiert. Ihr Namen erklärt sich aus dem Zusammenwachsen zweier solcher Kristalle.
Unsern Weg fortsetzend begegnet uns schon unterhalb der Fuch'schen Mühle ein dunkles graues Gestein, der Diorit, das uns bis an das östliche Ende des Hirschkopfs begleitet. Hier führt ein Weg nach wenigen Schritten über die Bahngleise am Sportplatz an einen verlassenen Steinbruch, wo wir dieses Gestein besser zu beobachten die Gelegenheit haben. Bei dem hier anstehenden Diorit tritt der Quarz stark in den Hintergrund, während die Hornblende dominiert. Der erhaltene Feldspat ist Kalk‑Natronfeldspat oder Plagiklas, der schiefwinklig spaltbar ist. Früher bezeichnete man den Diorit als Syenit, der jedoch nicht Plagiklas, sondern Othoklas enthält und im Odenwald nicht vorkommt.
Bald haben wir in Birkenau die an der Straße liegenden "Birkenauer Ziegelwerke" erreicht und gehen am oberen Ende der Umzäunung abzweigenden gepflasterten Weg aufwärts. Rechts erblicken wir eine umfangreiche Lehmgrube. Durch die Stillegung des Betriebes befindet sich die Grube zur Zeit allerdings in einem für den Geologen wenig erfreulichen Zustand, indem die Wände eingestürzt sind und abgesunkene Erdmassen die Sicht verdecken. Der untere Teil der Grubenwände besteht in einer 12‑15 m hohen Mächtigkeit lagernden Schicht aus altdiluvialen Schottern, Sanden und Schlick, die von einer mehrere Meter hohen Lößbank überlagert wird. Bei genauerem Hinsehen erkennen wir unmittelbar auf dem altdiluvialen Ablagerungen eine hellere Lößschicht, darüber eine solche von dunklerer, braungelber Farbe, der wieder eine hellere folgt, während eine dunklere den Abschluß bildet. Die dunkleren Schichten bestehen aus Lehm oder Leimen, der durch Entkalkung und Ausscheidung von Eisenoxyden aus dem Löß hervorgegangen ist. Der ausgelöste Kalk dringt mit den Tagwässern in größere Tiefen und bildet dort "Steine" von oft bizarren Formen, die Lößpuppen oder Lößkindel, die im Abraumschutt zu finden sind. Dort können wir auch den zum Erkennen des Weschnitzschotters typischen, sich durch seine schwarze Farbe von den übrigen Geröllsteinen auszeichnenden Graphitschiefer erblicken, denn die Grube war zur Diluvialzeit eine Bucht der Weschnitz.
Unser Weg führt weiter durch die Neugasse über die Weschnitz, gleich hinter der Brücke, wenige Schritte bachabwärts, dann links um einen Bauernhof herum über die Bahngleise, gleich wieder links längs der Bahn in einen Hohlweg im Lehm. Links folgen wir dem steil aus dem Hohlweg hinaufführenden Weg, der bald eben wird und an Häusern auf einen breiten Fahrweg stößt. Dort stehen einige weiße Feldschutzsteine, auch finden sich Gesteinsbrocken gleicher Farbe. Beim Aufheben fällt uns auf, daß sie besonders schwer sind (spez Gewicht 4,5) Wir erkennen den Schwerspat oder Baryt. Er ist ein Sulfat, wie aus seiner Formel BaSo 4 ersichtlich ist.
Nun folgen wir dem spitwinklig recht aufwärts führenden Weg und beobachten im Vorbeigehen die Verwitterung des hier anstehenden Gesteins. Nach kurzem Blick auf Birkenau und das obere schöne Weschnitztal, gelangen wir in den Wald. Dort stehen mehrere weißliche Steine aus dem Weg heraus, die aber schon stark verwittert sind und erst in tieferen Lagen in reinem Zustand angetroffen werden. Es ist Quarz‑Glimmerschiefer, ein metamorphes Gestein, das nur zwei Bestandteile besitzt, nämlich Quarz und Glimmer. Letzterer besitzt weiße Farbe und ist deshalb Kaliglimmer oder Muskovit.
Am Waldrand zweigt links ein wenig benutzter Privatweg ab, dem wir nun folgen. Schon in der Nähe seines anderen Endes fällt uns graues Gestein auf, das den Namen Kalksilikathornfels führt und auch auf dem Weg, der von links unten kommt, anzutreffen ist. Es ist ebenfalls ein metamorpher Schiefer. Bei den Stücken auf der Oberfläche hat gewöhnlich die Verwitterung schon stark begonnen, was jedoch bei den vom Wasser frei gespülten Stücken nicht mehr der Fall ist.
Nun gehen wir den Weg rechts in der Richtung nach dem Wald weiter, wo uns ein Pfad an die Friedrichshütte führt. Von dort folgen wir dem mit weißem Quadrat bezeichneten Weg in Richtung Buchklingen. An der Stelle, an der der Weg recht um einen Berghang herumbiegt, sehen wir lose Steine von rötlicher Farbe. Das ist Porphyr, den wir jedoch später wieder antreffen werden. Nach einem leichten Wegeinschnitt zweigt links kurz vor der Hochspannungsleitung ein Weg ab. Nach wenigen Schritten beobachten wir Blöcke von gelblich‑weißer Farbe, die sich ihrer Struktur nach als Spat erweisen. Das Gestein war ursprünglich Schwerspat, wurde aber im Tertiär durch Thermen mit Kieselsäure durchdrungen und führt daher jetzt den Namen verkieselter Schwerspat, manchmal auch "Blätterquarz genannt.
Der eingeschlagenen Richtung folgend, gelangen wir durch Buchenwald abwärts wandernd im Kallstädter Tal an einen umfangreichen Steinbruch. In ihm steht ein anderes metamorphes Gestein an, der Schieferhornfels. In diesem Bruch sehen wir manche Gesteinspartien von helleren verschieden breiten Streifen durchzogen, wie wir sie auch schon in den Steinbrüchen im Birkenauer Tal beobachten konnten.Es handelt sich hierbei um sogenannte Ganggesteine, und zwar sind die feinkörnigen Aplite, die grobkörnigen dagegen Pegmatite. Bei letzteren trifft man nicht selten größere Blättchen Muskovit an, wie auch größere Kristalle von Feldspat und Quarz. In den Gängen treten zuweilen, besonders im Aplit, Turmaline und Granatkörnchen auf. Auch ein dunkles Gestein, die Quarzglimmerminette, treffen wir hier an die sich aus Orthoklas, Quarz und Biotit zusammensetzt. Wenn man Glück hat, kann man in diesem Bruch auch Kalkspat finden, gewöhnlich in Rhomboedern, selten in Skalenoederform kristallisiert.
Wer den Weg nicht scheut, gehe eine halbe Stunde die Straße aufwärts. Er wird in Löhrbach links der Straße ein anderes, allerdings ähnliches Gestein anstehend finden. Dies ist schiefriger Amphibolit, ebenfalls ein metamorphes Gestein. (Bei Mengelbach ist ein Steinbruch in ihm angesetzt).
Wir wandern nun auf der Straße hinab nach Birkenau, gehen die Untergasse hinunter, bleiben links an der Weschnitz, unter der Bahn hindurch, gleich rechts in Richtung Weinheim. Gegegenüber der Fuchs'schen Mühle die wir rechts untern an der Weschnitz erblicken und an der Gartenwirtschaften erkennen, zweigt links ein breiter Fahrweg ab, der uns in den mächtigen Steinbruch des Wachenbergs bringt. Hier finden wir Porphyr, weil das Magman im Eruptionskanal (Schlot) steckengeblieben ist, ohne an die Oberfläche zu gelangen und sich deckenförmig auszubreiten. Wegen seines hiohen Quarzgehaltes nennt man ihn auch Quarzporphyr. Unter den umliegenden Bruchstücken finden wir solche von rötlicher, bläulicher, violetter, gelblicher, grünlicher und grauer Farbe und auch solche von Säulenform. Nach einigem Suchen treffen wir Stücke mit vielfach gebogenen und gewundenen Streifen, was man als Fludialstruktur bezeichnet. Besonders fallen uns auch Stücke auf, die schwärzliche oder braune moosähnliche Zeichnungen aufweisen. Das sind natürlich keine Pflanzenabdrücke, wie man glauben könnte, denn solche sind in einem Eruptivgestein unmöglich. Ihre Entstehung geschieht auf folgende Weise: Durch die unterbrochene Erwärmung des Gesteins am Tage und die Abkühlung in der Nacht, was den dauernden Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung der Gemengteilchen zur Folge hat, lockern sich diese nach und nach, und es entstehen haaarfeine Risse. In diese dringen die Tagwässer ein, die auf ihrem Weg durch den über den Steinen liegenden Verwitterungsgrus das darin enthaltene Mangan auflösen, es mit sich führen und in den Haarrissen absitzen. Die Zeichnungen führen den Namen Mangandendriden. Wir gehen auf dem innerhalb des Steinbruchs schräg aufwärts führenden Weg weiter und beobachten unterwegs Bruchstücke mit grünlichen, gelblichen oder violetten Flecken, die Schmelzhöfe darstellen. Vielleicht glückt es, einen solchen mit einem Kern von unaufgelösten Granit zu finden.
Bald gelangen wir auf die Wachenbergstraße. Dieser folgen wir abwärts, biegen links in die nach der Windeck führenden Straße ein und kommen an eine Wegkreuzng. Auf der ganzen Strecke findet sich der gleiche Granit, der schon im Birkenauer Tal anzutreffen war.
An der besagten Wegkreuzung mündet von links ein Hohlweg aus einer stärkeren Lößablagerung ein. Auch der rechts nach Weinheim hinunterführende Weg durchschneidet ein großes Lößvorkommen. Wir finden hier Gehäuse von Lößschnecken. Unter diesen Gehäusen ist das der "Schnirkelschencke" (Helix hispida) am häufigsten, während das Gehäuse der Puppenschnecke (Puopa muscorum) und der Bernsteinschnecke (Succinea oblonga) seltener sind.
Unser Weg führt uns um die Windeck herum abwärts. Oberhalb des Gerberbachviertels steht rechts ein rotes Gestein an. Wir erkennen es als Buntsandstein. Es ist ein Teil des bei der Bildung des Rheingrabens im Teritär abgesunkenen Deckgebirges.
Damit haben wir unseren lohnenden geologischen Gang beendet.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Vom Birkenauer Wald in früheren Jahrhunderten
a) Umfang
Von der 777 Hektar betragenden Gesamtfläche der Gemarkung Birkenau sind zur Zeit fast 40 Prozent mit Wald bestanden, doch liegt es in der Natur der Sache, daß das Waldgelände in früheren Jahrhunderten weit größeren Umfang besaß als heute. So war z.B. im Jahre 1645 der "Häusersacker" noch Tannenwald und bildete somit die Fortsetzung des gleichartigen Waldes auf dem "Tannenbuckel". Um die ähnliche Zeit wird der "Wald am Schafssteg" erwähnt, den wir uns nicht anders vorstellen können, als vom Binsenberg links der Weschnitz bis zum genannten Steg herabziehend. 1686 besitzt ein "Hans Schmid" einen Wald "Auf der Auw" (=Au), und auch der "Langenberg" muß zu dieser und noch späterer Zeit solchen getragen haben, wie verschiedene Angaben erkennen lassen. 1727 werden mehrere Waldstücke "Auf der Kühruh" angeführt und 1731 solche "Im Hammerstock" und im " Amselloch". Vielleicht als Fortsetzung des Tannenwaldes auf dem Häusersacker bestand "In der langen Bach" bis 1804 ein ca. 100 Morgen betragender Wald und bis zu demselben Jahre ein 18 Morgen großer "Im Blesserwald". Neben den hier angeführten, jetzt verschwundenen Walddistrikten gab es vor 100 bis 200 Jahren gewiß noch mehrere andere und es ist wohl mit Bestimmtheit anzunehmen, daß sich der Wald in jener Zeit an zahlreichen Stellen viel tiefer in die Täler hinabzog, als dies jetzt der Fall ist.
Leider ist in den meisten Fällen die Zeit der Urbarmachung nicht bekannt. Von "Hans Schab" wird 1686 angegeben, daß er ein Stück "Newrodt" (= Neurod) im Langenberg inne hatte, also ein Ackerfeld, das erst kurze Zeit vorher durch Ausrottung des Waldes (wohl Ausrodung) entstanden ist. Besser unterrichtet sind wir in dieser Hinsicht über die beiden Waldstücke "Im Blesserwald" und "Auf der langen Bach", die sich, wohl schon seit langer Zeit, im Besitze Weinheimer adliger Familien befanden. Die letzte Besitzerin der beiden Waldstücke war die Reichsfrau von Wallbronn (auch Wallbrunn) zu Weinheim. (Der v. Wallbrunnsche, früher Rabenhaupt'sche, dann Pleß'sche Hof befand sich im Bezirk II, Haus 55. Das Wappen der von Wallbrunn, die zum rheinischen Uradel gezählt wurden und deren Stammsitz in Partenheim bei Mainz lag, bestand in zwei umgekehrten Kreuzen, deren oberen Teile in Kornähren umgewandelt waren. Ein Wallbrunnsches Schloß steht in Ernsthofen im Odenwald, welcher Ort schon 1504 diesem Geschlechte, da dort Erbbegräbnis besaß, gehörte.)
Im Jahre 1803 teilte vorgenannte Reichsfrau von Wallbrunn der Gemeinde Birkenau mit, daß sie ihre beiden Waldstücke "Im Blessenwald" und "Auf der langen Bach" abholzen und als Ackerland zu versteigern beabsichtige. Die Gemeinde, die sich durch das Vorhaben der Frau von Wallbrunn in ihrem "Nutzen" gescmälert sah. richtete sogleich einen Beschwerdebrief an jene, worin es u. a, heißt: "...Die Gemeinde hatte von urdenklicher Zeit her von allen in hiesiger Gemarkung liegenden Hecken, die sich ergebende Atzung oder Mastung, wofür sie hiesiger gnädiger Herrschaft von jeher und noch das Atzgeld zahle", außerdem "den Weidgang und Tristgerechtigkeit bisher allda genossen und die Baumstöcke, Lesholz und Belaubung allda benutzte". Freifrau von Wallbrunn scheint von der Stichhaltigkeit der angeführten Berschwerdegründe überzeugt gewesen zu sein, denn es kam im Dezmeber 1803 zwischen ihr und der Gemeinde Birkenau folgender Vergleich zustande: "... daß ermelde Reichsfrei‑Frau v. Wallbrunn dero hiesige zwei Waldungsstücke, als das die Langenbach und der Blessenwald, oder gemeine Alliment benannt, unter der Bedingung versteigern lassen möge, daß der Grund und Boden von den Steigern dürfe zu Feld umgerottet und urbar gemacht werden und thut sonach ersagte Gemeinde ausdrücklich und besonders verzichten auf ihre Gerechtsame in solchen Waldstücken, als das Atzung‑ und Weidgangsrecht und dergl., wofür alsdann sie, die Frau Eigentümerin, zur Entschädigung der Gemeinde Birkenau bei Erhebung dero Steigungsgeldern aus diesen zwei Waldstücken zahlen soll und will "einhundertdreißig Gulden" und zwar 110 fl. von der Langenbach und zwar nach deren Versteigerung zu Ackerfeld, dann 20 fl. von dem Blessenwald, nach dessen Versteigerung zum urbar machen ... " Unterzeichnet ist das Übereinkommen mit "Freifrau v. Wallbrunn, geb. v. Wrede."
Vorstehendes Schriftstück besitzt neben der Angabe des Zeitpunktes der Umwandlung des Blesserwaldes und der Langenbach in Ackerfeld noch den weiteren Wert, daß es uns auf die Spur der Herkunft des Flurnamens "Blesserwald" hinlenkt. Das von Wallbrunn'sche Gut besaßen vorher die von Pleß, sodaß letztere schon als Eigentümer des fraglichen Waldes gelten müssen, der daher der "Pleß'sche Wald" oder der "Plesse Wald" genannt wurde. (Einen ähnlichen Fall besitzen wir in dem Namen des Weilers "Kreiswald" bei Albersbach, der ebenfalls von den Besitzern des an dortiger Stelle gelegenen Waldes, den Kreißen von Lindenfels, seinen Namen trägt.) Die Ursache, daß in dem Flurbuch der Gemeinde Birkenau nicht der richtige Name, sondern "Blessertwald" eingetragen ist, kann nur darin gesucht werden, deß dem das Flurbuch ungefähr vor 100 Jahren anlegenden Geometer die Abstammung des fraglichen Namens unbekannt war, und wir finden in jedem Flurbuch solche verballhornte Namen in Menge.
b) Bewirtschaftung
Um die Erträgnisse ihrer ungeheueren Waldfläche zu erhöhen, ging die Gemeinde Birkenau, da Holzversteigerungen in heutiger Form unbekannt waren und besondere Holzhiebe nur sehr selten stattfanden, dazu über, Teile ihres Waldes "in Bestand" zu geben, d.h. zu verpachten, wie es in ähnlicher Weise heute mit Ackerfeld geschieht. Die "Beständer", die Pächter dieser Waldstücke, waren durchweg Weinheimer Bürger.
Aus eiem Amtsbericht vom Dezember 1717 ist ersichtlich, wie die Benutzung eines solchen Pachtstückes geregelt war: Der Entleiher durfte sich "zeitlebens" auf dem betreffenden Waldstück "forstmäßig beholzen" und zwar "allein zu seiner häuslichen Notdurft und keineswegs zum Verkauf oder unterm Vorwand einer Verschenkung bei namhafter Straf und bei condinuierender (= fortgesetzter) Widerspänstigkeit gar bei Verlust des rechtens sich zu beholtzen" und " "in alle Wegen nach forstmäßiger und jährlich publicirender Herrschaftlicher Verordnung".
Das älteste bekannte, die Verpachtung von Waldstücken in der Gemeinde Birkenau betreffende Schriftstück ist eine "Rechnung über die Gemeinde (= der Gemeinde gehörigen) hingeliehenen Hecken", das auch in kulturhistorischer Beziehung von mancherlei Interesse sein dürfte. Sein Inhalt lautet:
"Den 20ten Octobris Ao. 1629 ist durch Adam Kuntzen, Schultheiß Veit Gadenheimer, Engelhart Braun, und Hanß Deißel, sämtliche zu Birkenau, von den Weinheimer als ausständigen Heckenzins erhoben worden als folgt:
Innahm Geld außständig Hecken Zins:
2 fl. 25 alb. Adam Beutel von einer Heck im Weißen Rain
1 fl. Christmann Mayer von einer Heck auf der Kühruh
26 alb. Hannß Scheuermann von einer Heck im Weißen Rain
15 alb. Hannß Haag von einer Heck im Weißen Rain
10 alb. Hannß Pfrangen W. (W = Witwe) von einer Heck im ungeheuren Grund
Summarium aller Einnahm Gelt 5 fl. 16 alb.
Innahm Wein als Hecken Zins das Eymer pro 2 fl. gerechnet". Es folgen 26 Personen aus Weinheim mit 22 1/2 Eimer. Die Gesamteinnahme betrug somit im Jahre 1629 = 50 fl. 16 alb.
(Der Eimer , ein hölzernes Hohlmaß, dessen Innenseite von Liter zu Liter mit übereinander eingeschlagenen Nägeln versehen war, faßte 20 Liter. Da nach obigem der Eimer Wein mit 2 fl. = 120 Kreuzer berechnet wurde, so galt der Liter 6 kr.)
Wie die Gemeinde den als Waldzins eingenommenen Wein bewertete, erfahren wir durch dasselbe Schriftstück:
"Ausgab Wein" 16 Eymer Hanß Krafften zu Weinheim an vierjähriger ausständiger Pension (= Zinsen, vorzugsweise Kapitalzinsen) laut darüber übergebender Quittung = 5 Eimer seindt uff (=auf) Martini Hangericht (=Haingericht) durch die Gemeindt alhier verzehrt worden. ‑ 1/2 Eimer Görg Müllern ahn statt eines Guldens, so ihme die Gemeindt schuldig gewesen, geliefert. ‑ 1 Eimer dem Schreiber, als er den sämtlichen Wein helfen Einnehmen. denselben ufgezeichnet, damit 3 Tag zugebracht zum Lohn geben.
Ein weiteres Schrftstück "Bestand und eigentümliche Hecke zu Birkenau, welche die zu Weinheim verzinsen tun anno 1696" enthält unter "eigentümlciher Heckenzins" 27 Personen mit 12 fl..
Der Waldpacht scheint damals schlecht eingegangen zu sein, denn im Jahre 1713 waren noch 35 Pächter ihren Zins von 1712 schuldig und 32 von früheren Jahren, darunter viele vom Jahr 1695 an. Das "Hecken Zins Register" von 1713 schließt folgendermaßen ab:
"Summa Summarum: Der dies jahrl. Heck Zins 1713 ist 3 fl. 13 kr. 2 h. (=Heller), die Restand von Anno 1712 seint 2 fl. 20 kr. 2 h., die alte Restand von 1695 bis 1711 seint 17 fl. 3 kr. 2 h".
Das Heckenzinsregister von 1713 weist 53 Weinheimer Namen auf, und 1727 besaßen nur noch 21 Bürger aus Weinheim Bestandshecken in Birkenauer Gemarkung, nämlich:
1. Jakob Herdtel ein Heck in Schwabskling, bei dem oberen Weiher 4 kr.
2. Kaspar Herwerts ein Heck auf der Kühruh 4 kr.
3. Hans Michael Linthner ein Heck allda 8 kr.
4. Velten Artz, ein Stück allda 4 kr.
5. Nikol Brecht und Jakob Reinholz ein Heck allda 9 kr.
6. Hans Georg Rutz, ein Stück allda 4 kr.
7. Philipp Weißbrodt, ein Stück allda 2 kr.
8. Velten Fuchs ein Stück im Schwabskling 3fl. 20kr.
9. Velten Artz ein Stück im Hassenkling 4 kr.
10.Michael Spielmann ein Stück allda 4 kr.
11. Michael Gumb (?) ein Stück in der Schmidtgrüb 4 kr.
12.Spethen (?) und Berhold ein Stück im Nächstenbacher Kopf 4 kr.
13.Peter Rutz und Johannes Hofmann ein Stück am Weißen Rain 6 kr.
14. Hans Michael Pflästerer ein Stück an dem Zimmerplatz 4 kr.
15.Georg und Wolf Weißbrodt ein Stück im Amselloch 4 kr.
16.Jakob Erhards Wittib ein Stück im Weißen Rain 2 kr.
17.Peter Artz und Georg Metz ein Stück allda 2 kr.
18.Leonhart Stephan ein Stück am Hohen Bangert 2 kr.
19.Hans Michael Linthner ein Stück im ungeheuren Grund 2 kr.
20.Nikolaus Brecht ein Stück allda 2 kr.
21.Peter Schaff ein Stück im Hungerberg 2 kr.
Aus den über die verpachteten Waldstücke vorhandenen Aufzeichnungen ist niemals die Menge des vom Beständer bezogenen Holzes zu erkennen, doch darf angenommen werden, daß es sich nicht um Scheit‑ oder Prügelholz gehandelt haben kann, indem der Pachtzins keineswegs mit dem damaligen Werte dieser Holzarten im Einklang steht. Aus der Zusammenstellung über die Kosten des 1741 errichteten "Neuen Hochgerichts", zu deren Deckung die Gemeinde Birkenau zwei außerordentliche Holzhiebe vornehmen ließ, geht hervor, daß für 1 Klafter (= 2 Raummeter) 1 fl. 23 kr. bis 1 fl. 24 kr. bezahlt wurden. Zur Verpachtung scheint demnach kein Hoch‑, sonderns Stockwald gekommen zu sein, wie vielleicht auch die Bezeichnung "Hecken" andeuten mag, und das zu entnehmen erlaubte Holz in Stangenreisern und ähnmlichem bestanden haben.
c) Waldfrevel
Daß auch in früheren Jahrhunderten Waldfrevel vorkamen, wird jedermann einleuchten; daß sie jedoch weit zahlreicher waren als heute, mag zum Teil in der durch den großen Waldreichtum bedingten besseren Gelegenheit, in der Hauptsache aber in der ungeheuren Armut der Menschen, besonders im 17. und 18. Jahrhundert seine Ursache haben.
Um den vorkommenden Waldfreveln entgegenzuwirken, sah sich die Ortsherrschaft veranlaßt, einen "Neuen Zusatz" zu der seitherigen "Waldordnung" zu machen, "welcher hinführo wie auch an heuth zu Jedermanns Wissenschaft und nach Achtung (=Nachachtung) vor versammelter ganzer Gemeind publicieret werden soll", worauf "In praesentia (=Anwesenheit) Herrn Amtmann Kraußens, Centschultheiß Georg Stephan, Anwalt Nicol Jost und ganzen Gerichts," "gnädigen Befehl zu folg", "der aufs Rathaus geforderten ganzen Gemeind die Waldordnung sowohl als den neuen Zusatz öffentlich publiciert".
In den Umfang der Holzdiebstähle um die Mitte des 18. Jahrhunderts gewährt uns ein Schriftstück, "Extractus (=Auszug) Birkenauer Waldfrevelregister", einen tiefen Einblick. Der angeführte Auszug, zu einem nicht ersichtlichen Zweck hergestellt, enthält nur Weinheimer Namen, was jedoch nicht bedeuten kann, als ob von Birkenauer keine Waldfrevel verübt worden wären. "Im 1744 in einer 5 bis 6 wöchentlichen Zeit seind durch die Weinheimer am "Nestenbacher Kopf" und im " Jung Schlag" an Stammreißer abgehauen und weggeschleppt worden
an Eichenstämmen 62
an Buchenstämmen 42
104 Stämm
ohne die gestümpelte, welchen die Gipfel und Äst ab‑ und zerhauen worden. ‑ Item in obiger Zeit am "Wachenberg" unweit Her Hoppe Mühl (Anmerkung: die obere Fuchs'sche Mühle; sie ging für 4000 fl. an den Creditor und Handelsmann Hoppe zu Mannheim über), in unserm jung Schlag sind abermal an Stammreißer abgehauen und hinweggeschleppt worden 82 Stämm Eichen, item an Buchen 52 Stämm = 134 Stämm ohne die gestümpelte gleich am Nestenbacher Kopf geschehen. Summa in allem 421 Stämm, Extrahiert Birkenau, den 29ten Februar 1748".
" 1745 vom 20ten Januari bis 26: des reformierten Glöckners Sohn, Johann Christoph und Heinrich Simons Sohn, welche noch mit Konsorten gehabt, item des Randolfßen Sohn allein, item Johannes Hoff welcher in Springels (?) Haus wohnt, Peter Herdt an der Brück, Johannes Hopp, Henrich Albrecht und der Lohmüller Geörg (hier fehlt der Zuname) haben während bemelter Tagen an Nestenbacher Kopf aus hiesiger Gemarkung getragen 18 Stämm Eichen, wovon jeder 150 Stickel geben können und am Wachenberg gegen des Herrn Hoppe Mühl 150 Stämm, wovon die mehrsten Stämm ad 50 Stickel, die übrigen aber vor die schönsten Truder Stang geschätzt worden".
Von vorstehenden Waldfreveln handelt als Fortsetzung: "Specification der jenigen Holzfrevler so 1745 vom 20ten January bis d. 26ten Huyus zu Birkenau in der gemeinen Waldung angetroffen worden und nach Belieben Herrn Amtskellers können auf Morgen citiert und zu Weinheim auf dem Rathaus zu erscheinen als" (jetzt folgen die obegenannten Namen).
Zur Beaufsichtigung der Wälder, die seither einem Förster übertragen war, stellte im Jahre 1740 die Ortsherrschaft einen"Jäger" an mit folgender Begründung: "Nachdem bishero in denen Birkenauer Waldungen sehr großer Schaden zu nicht geringer Schmälerung und Nachteils meiner Wildfuhr geschehen, und ein jeder eigenen Gefallens sowohl in Gemein‑, als Privat eigentümlichen Waldungen, ohne angewiesen das schönste Holz nehmen, teils auch zum Teil ihre private Hecken gänzlich ohne Vorwissen der Obrigkeit abholzen. Als finde mich höchst gemüßiget, einen ordentlichen Jäger, sowohl zu Dienung meiner Gerechtsamen ‑ als auch Erhaltung und besserer Aufnahm der Waldung und Wildfuhr dahier zu setzen".
Viel Interessantes bietet die "Instruktion" des neuen Waldhüters, betitelt: "Instruktion des Jägers nacher Birkenau Nicolaus Wentzel", die 13 Punkte umfaßt, von denen jedoch ur die wichtigsten hier angeführt seien.
"1. Damit aber derselbe seinen Unterhalt haben könne, so wird ihm hiermit von meiner, wie auch denen Untertanen alljährlich zur Substance gereichet von mir an Geld 6 fl., alle Jahr ein neues Kleid oder das Geld dafür. 8 Mltr. (=Malter) Korn, Birkenauer Maß. Davon er auch seine vonnöten habende Hund erhalten solle, und so er etwas schießet und der Herrschaft geliefert, solle er das gewöhnlich Schießgeld haben, dergestalten aber nichts schießen darf ohne herrschaftlichen Befehl, sondern alles fleißig hegen, absonderlich die Setzzeiten (=Schonzeiten).
2. Soll ferner er den dritten Teil von denen fallenden Waldstrafen, als muß er fleißig gut Obsicht haben, und beständig sich in den Wäldern aufhalten.
3. Sodann soll er auch von der Gemeinde haben die jährliche 12 fl., so einem Förster gegeben worden (Anmerkung: Später erhielt der "Revierjäger" als Zuschuß zur Besoldung von der Gemeinde jährlich 2 Morgen Allmendland zur Benutzung, wie eine Notiz vom Jahre 1816 erkennen läßt) und so er einen, der gegen die neue gemachte und schon verschiedene Male publicierte Waldordnung frevelt, attrahiert und pfändet, soll er wie überall gewöhnlich (=üblich) 15 kr. Pfandgeld von dem Frevler bezahlt bekommen.
4.Nicht weniger, so er mit Erlaubnis des Amtmanns (und das schriftlich von dem Amtmann sich geben zu lassen) einem oder andern Holz anweiset, welche sich damit legitimieren können, im Fall es erfordert wird, soll er vor jede Anweisung, wie sonsten gegeben worden, anstatt eines Trunkes und Stück Brot 5 kr. Stammgeld sich bezahlen lassen.
6. Das Quartier solle demselben in dem herrschaftlichen Haus und das bei dem Gärtner angewiesen werden, welches er zur Halbscheidt haben solle.
7. Zu keiner fremden Jagd soll er im geringsten sich begeben, als wo er in künftig angewiesen wird.
8.Aus Birkenau hätte er sich niemals ohne Erlaubnis des Amtmanns zu begeben.
9. Auf die Forellenbäche hätte er ebenmäßig acht zu halten, daß keine Fisch daraus gestohlen werden, auch kein Federvieh darin zu gedulden, sondern alle in die Hege legen und zwar erstlich die Untertanen zu warnen wären, das Federvieh aus denen Wässern zu halten, wann keine Reflektion daraus gemacht wird (d.h. wenn die Warnung erfolglos bleibt), soll er Jäger solche totschießen, und solche zu seinem Genuß behalten.
10. Allen Hund sollen Briegel angehenket werden, und so er einen oder andern im Feld erblickt, auch erkennet, welchen solcher zugehörig, soll der Principal davon auf die Waldrug geschrieben werden, und der Hund totzuschießen wäre.
13......., worüber er einen körperlichen Eid zu Gott geschworen und lautet dieser also: Ich gelobe und schwöre zu Gott, und seinem heiligen Evangelium, daß ich all dasjenige, was mir hier ist vorgelesen, darin getreulich handeln, wider dasjenige nichts zu tun, sondern alles mir getreulich angelegen sein lassen wird, und sonder Gefährde. so mit Gott hilft und sein heil Evangelium. Mainz, den 25ten Februar 1740".
An den Jäger hatte auch die Bezahlung der Strafgelder zu erfolgen, sowie die des Schadensersatzes, dessen Regelung mit den einzelnen Waldeigentümern ihm ebenfalls oblag.
Wie aus der "Instruktion" ersichtlich, bezog der Jäger ein Drittel der Strafgelder als Besoldungsteil, ein weiteres Drittel fiel dem "Amtmann" zu. und das letzte Drittel erhielt die Ortsherrschaft, die dafür sämtliche durch die Waldfrevel veranlaßte Ausgaben zu bestreiten hatte. Das letztere nicht gerade gering waren, zeigt nachstehendes "Kostenverzeichnis":
Dem Gerichtsschreiber für Schreibgebühr 14 fl.
demselben dito 3 fl 5 kr.
dem Amtsboten M Jost für Gänge 4 fl. 40kr.
dem Gerichtsdiener F. Schütz dito 36 kr.
______________
22 fl 21kr.
Die Festsetzung des Schadensersatzes, sowie die Bestrafung der "Frevler" erfolgte durch das "Hanggericht" (=Haingericht), das unter dem Vorsitz der Ortsherrschaft, die jedoch gewöhnlich nur durch den Amtmann oder den Keller vertreten war, stattfand. Der Inhalt eines solchen Haingerichtsprotokolls von 1710 sei hier angeführt: "Hans Schab, Nickel Schab, Andreas Schönherr und Theibald Schuch, welche über das herrschaftliche Gebot getreten und aus ihren Hecken im Bentzenberg das Holz ohne Erlaubnis eggehauen lassen, ist ihnen von gnädiger Herrschaft an Straf gesetzt jedem 1 fl. (Anmerkung Körner: Diese Strafe wurde später durch eine Mainzer Schiedkommission 1711 wieder aufgehoben, nur bei notablen Stücken oder Herrschaftswald war die Erlaubnis zur Abholzung erforderlich).
Im gleichen diese obigen wieder ein Stück im Schwanklingen samt den Eichen niedergehauen und geschält, wird ebenmäßig jedem von gnädiger Herrschaft an Straf abgesetzt 1 fl. 30 xr., weilen das Eichenholz mit abgehauen worden.
Kilian Schumann hat Hans Görg Steffan im Schwabsklingen 2 Klafter Holz weggeführt, wird ihm von gnädiger Herrschaft an Straf gesetzt: Solle Kläger das Holz bezahlen und 3 fl. Straf geben. Alsdann haben die Jenigen, welche hier unten spezifiziert über das herrschaftliche Gebot getreten und ihre Hunde ohne Prügel laufen lassen, wird ihnen von gnädiger Herrschaft an Straf gesetzt als: Herr Schultheiß Peter Mayer, Hans Schab, Paul Schab, Steffan Lautensack, Görg Baum und Görg Wie (Widder) jeder 15 kr., Peter Helfrich, Hans Geiß, Peter Jöst 45 kr".
Autor: Johannes Pfeifer
-
Vor 200 000 Jahren schon Menschen in Birkenau
Die zum "Birkenauer Ziegelwerk" gehörende große Lehmgrube im Löhl (von loh =Wald, also Löhl = Wäldchen) ist eine frühere Bucht der Weschnitz, wie die bei den Schottern befindlichen schwärzlichen Graphitschiefer erkennen lassen. Die dortigen Ablagerungen stammen aus dem Diluvium und sind etwa 30 m. tief vorzüglich aufgeschlossen. Sie liefern das Material zu den in dem Werk hergestellten Backsteinen, deren hervorragende Güte in erster Linie auf die vorzügliche Beschaffenheit des in der Grube abgesetzten Lehms zurückzuführen ist. Besitzt unsere Grube somit einen hohen materiellen Wert, so ist andererseits ihre Bedeutung nicht geringer in wissenschaftlicher Hinsicht, wie nachfolgede kurze Abhandlung zeigen wird.
Schauen wir uns den Aufbau der Schichten zunächst etwas genauer an. An den senkrechten Wänden beobachten wir oben eine mehrere Meter breite Erdschicht von hellgelber Farbe; es ist jungdiluvialer Löß. Darunter liegt eine braungelbe Lehmschicht von ähnlicher Mächtigkeit und unter dieser abermals eine Lößschicht. Der Löß, nach der allgemein anerkannten Richthofschen Lößbildungstheorie als staubfeine Masse in der letzten Eiszeit von dem Wind dorthin getragen, enthält bedeutende Mengen von Kalk, der aber mit Kohlensäure und Sauerstoff beladenen Tagwässer aus den oberflächlichen Lagen gelöst und infolge der starken Porösität des Löß mit in die Tiefe geleitet wird, wo er bizarr geformte Knollen bildet, die den Namen "Lößkindel" oder "Lößpuppen" führen. Gleichzeitig findet mit der Entkalkung des Löß eine Zersetzung seiner verwitterten Mineralteilchen, besonders der Feldspate statt, wodurch eine Verdichtung der vorher porösen Masse eintritt, die außerdem durch Ausscheidung von Eisenoxyd eine braungelbe Farbe erhält. Der Lehm erweist sich somit als ein Umbildungsprodukt aus dem Löß von veränderten chemischen und physikalischen Eigenschaften. Das Vorhandensein zweier Lößschichten mit dazwischenliegendem Lehm
beweist,daß die Lößablagerung in 2 Abschniten erfolgte, die zeitlich weit auseinander gelegen haben müssen, da sonst die Lehmschicht nicht die große Mächtigkeit erreicht haben könnte, die sie tatsächlich besitzt. ‑ Unter den Ablagerungen des jüngeren Diluviums breiten sich die altdiluvialen Schichten in Form von Schlick, Sanden und Geröllen aus. Es sind aus den Zwischeneiszeiten stammende Unferanschwemmungen und zeigten die jeweils geringere oder größere Wasserfülle der Weschnitz an. Die Angabe, welchen Interglazialzeiten die einzelnen Schichten angehörten, bleibt den Spezialgeologen vorbehalten.
Vorweltliche Tiere
Wie bemerkt, war unsere Grube früher eine Bucht der Weschnitz, und das Wasser hatte hier einen ruhigeren Lauf als in der Mitte des Baches. Aus diesem Grunde wurde die Stelle von den damals lebenden Tieren häufig als Trinkplatz benutzt, und wir können uns die sich dort abspielenden Szenen leicht vorstellen; wie die großen Raubtiere den weniger stark bewehrten Tieren auflauerten, sie überfielen und verzehrten. Diesem Umstande mag es zuzuschreiben sein, daß hier schon zahlreiche Funde von Skeletteilen vorweltlicher Tiere gemacht werden konnten. Unter ihnen ist am häufigsten das Mammut Elephas priminerius vertreten.Es war ein riesiger, mit langen Wollhaaaren bekleideter Elefant, der 2 stark gekrümmte, bis vier Meter lange Stoßzähne besaß und im jüngeren Diluvium lebte. Von ihm wurden 1 Beinknochen, zahlreiche Backenzähne und eine Anzahl meist aufgeschlagener kleinerer Knochenreste gefunden. Bemerkt mag hierbei werden, daß in der Sandgrube im "Krummheckenberg", die ebenfalls einst eine Weschnitzbucht war, ein vollständiger Mammut Stoßzahn und in der auf gleicher Höhe gegenüberliegenden Sandgrube am "Matzenberg" ein 50‑60 cm langes Stück eines solchen ausgegraben wurden. Dem Mammut ging der Urelefant (E, antiquus) voraus, der große Ähnlichkeit mit dem heutigen afrikanischen Elefant hatte und im älteren Diluvium lebte. Seine Anwesenheit in unserer Gegend beweist ein in unserer Grube am Löhle geborgener Backenzahn. Ein Zeitgenosse des Mammut war das Nashorn (Rinoceros unter dessen verschiedensten Arten am häufigsten das wollhaarige R. tichorbinos) vorkam. Dieses war ein großer plumper Dickhäuter mit 2 mächtigen gekrümmten Hörnern ‑ das eine auf der Nase, das andere auf der Stirn ‑ und einem dichten Wollkleide. Von dieser Art lieferte unsere Grube mehrere Skeletteile, besonders Backenzähne. Einige unter dem Geröll aufgefundene Rippenstücke ließen eine genaue Bestimmung nicht zu, lassen jedoch im Hinblick auf ihre Größe, auf ein Elefant oder Nashorn schließen. Auch das Vorkommen der beiden Steppenpferde bei uns zur Diluvialzeit konnte nachgewiesen werden: In der Frube im Löhl fanden wir einen Backenzahn vom großen Wildpferd (Equus arlamiticus, auch E. germanicus genannt), und von dem schlanken kleinen Wildpferd wurde am "Lettenweg" im Löß ein fast vollständiges Skelett ausgegraben. Von früheren Funden in unserer Grube im Löhl sind uns bekannt: Skeletteile des Wisent (Bos priscus) des Auerochsen (Bos primigenius) des Edelhirsches (Cervus Aphalus) und des Rentieres (Rangiler tarandus); diese durch Dr. Bender, Weinheim. Außerdem fand Prof. Dr. W. Freudenberg, Heidelberg neben vielen anderem den Stumpf eine Elch‑Geweihes. Erwähnenswert ist noch ein Fund am gegenüberliegenden Weschnitzufer in der "Buckelsklamm" ein Stück Schädeldecke mit Geweihansatz des Riesenhirsches (Cervus giganteus).
Der Mensch vor 200 000 Jahren
Herrn Dr. Freudenberg gebührt das Verdienst, die wichtigste paläntologische Entdeckung in der Grube im Löhl gemacht zu haben, nämlich die Auffindung einer Rastsstätte des diluvialen Menschen. Freudenberg fand im älteren Löß eine dünne Aschenschicht, die mit Holzkohlen und Elfenbeisplittern vermischt war, sowie eine Anzahl zerschlagener Quarzite, die wohl als Schaber gedient haben mögen. In unmittelbarer Nähe davon lagen zahlreiche aufgeschlagene Knochen diluvialer Säugetiere; sie müssen als Reste einer Mahlzeit betrachtet werden, die auf dem Feuer, wovon die Asche und Holzkohlen zeugen, zubereitet wurde. Die angeführten Funde beweisen eindeutig die Anwesenheit des vorgeschichtlichen Menschen und zwar, wie aus den die Artefakten bergenden Schichten geschlossen werden muß, des sogn. Neandertalers, den man auch als Mammutjäger oder Mousterier‑Mensch bezeichnet. Diese Menschenrasse lebte vor ungefähr 200 000 Jahren und zeigte wesentliche antropologische Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem heutigen Menschen: starke fließende Stirne, über den Augen dicke, mitten zusammengewachsene Wülste, etwas vorspringende Kiefer, völlig negatives Kinn, kräftigen Knochenbau, leicht gekrümmte Gliedmaßen und längerer Rumpf; es waren robuste Gestalten, doch durchaus keine Riesen, denn alle bisher gefundenen Skelette weisen nur eine Größe von nicht 1,70 Meter auf.
Autor: Johannes Pfeifer Nr. 27
-
Die Besiedlung des Weschnitztales
Als Karl der Große im Jahr 773 dem Kloster Lorsch die Mark Heppenheim schenkte, war der im Odenwald gelegene, besonders der weitaus größere südliche Teil, wozu auch das Weschnitztal gehörte, ein völlig unbesiedeltes Waldgebiet. Für diese Behauptung besitzen wir folgende Beweisgründe: 1. Das Fehlen jeglicher Artefakte (Bodenfunde aus der vorgeschichtlichen Zeit) aus sämtlichen 5 Kulturperioden der Vorzeit. Wenn bei Ober‑ Liebersbach 5 Steinbeile gefunden wurden, so sind diese sicherlich mit der schnurkeramischen Siedlung auf der Lee in Heppenheimer Stadtwald in Verbindung zu bringen, während die bei Birkenau, Mittershausen, Siedelsbrunn und Hammelbach (je 1 ) gefundenen bestimmt als Handelsware bezeichnet werden müssen und keineswegs auf Siedlungen schließen lassen. Im Mittelalter und noch weit in die spätere Zeit hinein wurde mit diesen "Donnerkeilen", wie man die Steinbeile nannte, ein schwunghafter Handel getrieben, indes man fast in jedem Gehöft einen solchen gegen Blitzschlag aufhängte. 2. Wenn einige Forscher (Dr. Schumacher, Dr. Christ u. a.) die Auflage der in der Grenzbeschreibung der Mark Heppenheim erwähnten Erzgruben bei Weschnitz den Kelten zuschreiben, woraus auf eine dortige Siedlung geschlossen werden könnte, so muß dies als eine reine Vermutung gewertet werden, die sich durch nichts beweisen läßt. Obgleich die Kelten das rechtsrheinische Gebiet von 500 ‑ 1oo v. Chr. beherrschten, fehlt in unserer Gegend, wie im südlichen Odenwald überhaupt, jegliche Spur von ihnen. 3. Auch von den Römern fehlt in dem genannten Raum jede Spur. Sie gaben weder der Weschnitz noch dem Odenwald einen Namen. Der römische Schriftsteller Ammianus Marzellinus, der an dem Feldzug gegen die Alemannen unter Kaiser Julian als Offizier teilnahm, gibt an, nachdem sie etwas südlich von Mannheim den Rhein übeschritten hätten und 22 km. nach Westen vorgedrungen seien, wären sie "an einen rauhen, finstern, schrecklichen Wald gekommen, in dem das Heer nur mit größter Mühe und auf langen, steilen Umwegen hätte weiterkommen können." Gemeint ist hier der Odenwald zwischen Weinheim und Heidelberg. Wäre dieser besiedelt gewesen, dann hätten sich dort auch Wege vorgefunden, die dem Heer den Weitermarsch gestattet hätten. 4. In der Schenkungsurkunde der Mark Heppenheim wird dieses Gebiet selbst als silva d. h. Wald bezeichnet. 5. Wohl den untrüglichsten Beweis für unsere Behauptung bildet der Umstand, daß dem Kloster Lorsch bis zum Jahr 800 und noch einige Jahrzehnte später aus dem Odenwald gelegenen Teil der Mark Heppenheim keine einzige Schenkung zufiel, obgleich solche in der fränkischen Zeit aus den angrenzenden Gebieten reichlich, ja überreichlich flossen. Der Einwand, daß es sich hierbei um Königsgut handle und Privaten kein Recht zsutand, ihre Güter zu verschenken, ist nicht stichhaltig, denn wenn das in Frage stehende Gebiet bewohnt gewesen wäre, dann hätten sich unter den Siedlern gewiß auch Freie befunden, die über ihren Besitz uneingeschränktes Verfügungsrecht besaßen und sicherlich der Gepflogenheit der Zeit folgend, dem Kloster Teile ihrer Güter oder diese ganz übereignet hätten. War doch z. B. Bensheim, das ebenfalls zur Heppenheimer Mark gehörte, bis zum Jahr 800 durch Schenkungen der dort ansässigen Freien ganz an das Kloster Lorsch gekommen. 6. Die allgemein übliche Ableitung des Namens Odenwald von ahd. odi, ode = unbekannt, unbewohnt kann ebenfalls als Beweis für die Richtigkeit unserer Behauptung gelten. Es ist deshalb kein Zufall, wenn der Odenwaldname zuerst im südlichen Teil auftritt: Zuerst erscheint er im Jahre 627 in einer Schenkungsurkunde des König Dagoberts, worin er alles königliche Eigentum im Lobdengau, namentlich das Waldrecht im Odenwald, dem Bischof von Worsm übergibt. 7. Die weitverbreitete Ansicht, die Orte Fürth, Rimbach, Mörlenbach und Birkenau würden schon im Jahr 773 urkundlich erwähnt, ewies sicha als ein auf ungenügender Quellenforschung beruhender Irrtum. Die Nr. 6 des Lorscher Kodex, die als Anhang die genannten Orte enthält, ist eine Interpolierung, indem sie bei der Anlage des Buches im Jahr 1176 gegebenen Verhältnisse auf einen früheren Zeitpunkt überträgt. Unsere Etymologen konnten einwandfrei feststellen, daß die Schreibweise dieser Ortsnamen der der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts entspricht und nicht der einer früheren Zeit. 8. Sämtliche Forscher, die sich ernsthaft mit den früheren Verhältnisse unserer Gegend befaßt haben, sind der Ansicht, daß das Weschnitztal, wie der südliche Teil des Odenwaldes überhaupt bis zur Besitzergreifung durch das Kloster Lorsch unbesiedelt war.
Um nun des Geschenk ihres königlichen Gönners nutzbringender zu gestalten, entwickelten die Lorscher Benediktiner ‑ getreu ihres Grundsatzes "Bete und arbeite!" ‑ darin eine rege Kolonisationstätigkeit. Im Weschnitztal setzte ihr Siedlungswerk im unteren Teil ein, und sie errichteten aus diesem Grunde an der Stelle, wo sich jetzt Birkenau erhebt, eine "cella", d. i. im Sinne des Kodex, wie der damaligen Zeit überhaupt, eine kleine klösterliche Niederlassung oder Einsiedelei, meist zum Zweck vorzunehmender Rodungen. Birkenau wird zum erstenmal urkundlich im Jahr 846 erwähnt. Am 30. Juli dieses Jahre schenkte der damalige Gaugraf des Lobdengaues, Werinher, dem Kloster Lorsch einmal das, was er von König Ludwig II. erhalten hatten, und außerdem das, was er von "seinen lieben Getreuen" Eginhelm und dessen Gattin Moda erhalten hatte. Unte letzterem befand sich "die villa (Dorf) Winenheim und eine cella in dessen Nähe, genannt Birkenowa" (Kod. Laur. Nr. 27). Daß das Kloster das Erhalten dem Werinher wieder als Benefizium auf Lebenszeit zurückgab, sei hier nur nebenbei bemerkt. Uns interessiert hierbei nur, daß Birkenau als cella bezeichnet wird und nicht wie Winenheim als Dorf. Wir dürfen daraus den Schluß ziehen, daß sich Birkenau im Jahr 846, weil noch den Charakter einer cella tragend, erst imAnfangsstadium seiner Entwicklung befand und deshalb erst kurz vorher gegründet worden sein mußte.
In der Folgezeit setzten die Lorscher Mönche ihr im Weschnitztal begonnenes Siedlungswerk fort und gründeten einen Ort nach den andern. Im Jahr 877 übertrug das Koster Lorsch das Lehen, das seither Gaugraf Werinher innehatte, auf dessen Nachfolger, den Grafen Luither v, Husen (Leutershausen a. d. Bergstraße), doch ist dieses Lehen um die Orte Zozunbach, Liebersbach, Ruzondum (Reisen) und Rintbach erweitert. Diese Dörfer sind also in der Zeit zwischen 846 und 847 neu entstanden. Birkenau wird hierbei als villa bezeichnet, es hatte sich inzwischen zum Dorf ausgewachsen. Auffallen muß, daß unter den nach 846 neu entstandenen Dörfern Mörlenbach fehlt. Sollten die Loscher Mönche diese zur Aufnahme einer Siedlung gewiß günstige Stelle (ein Hauptbach und zwei Nebenbäche) übersehen haben: Dies ist nicht anzunehmen. Mörlenbach wird erstmalig im 2. Teil des Lorscher Kodex, dem Notiae Hubarum, d. h. Hubenverzeichnis, erwähnt und zwar unter den Hauptorten, unter denen also, die Mittelpunkt eines Verwaltunsbezirkes waren. Dies geht auch einwandfrei daraus hervor, daß in diesem Verzeichnis angeführt wird, Mörlenbach habe 28 dienstpflichtige und 26 Freihuben besessen. Nun gab es aber in dieser frühen Zeit noch keine Orte, von diesem Umfang. Die genannten 34 Huben sind vielmehr die der im Weschnitztal gegründeten Orte, so daß auf jeden im Durchschnitt 5 Huben entfallen. Da das Hubenverzeichnis in der Zeit von 890 bis 910 entstanden ist, und Mörlenbach zu dieser Zeit schon bestand, darf mit aller Bestimmtheit angenommen werden, daß auch dieser Ort im Zuge der von unten nach oben fortschreitenden Kolonisierung des Weschnitztales, also zwischen 84f6 und 877, entstanden ist.
Fürth, das später den Verwaltungsmittelpunkt des oberen Weschnitztales bidlete, wird in dem vorerwähnten Hubenverzeichnis nicht genannt, doch ist anzunehmen, daß es nicht lange nach dem Jahr 877 entstanden ist, jedoch zu dieser Zeit die umliegenden Orte, die später den oberen Bezirk bildeten, noch nicht vorhanden waren. Erstmalig wird Fürth im Jahre 1023, und zwar unter dem Namen "Furte", genannt und ist ihm zugleich die benachbarten Orte "Crumbenbach (Krumbach), Creklenbach (Kröckelbach), Brambach (Brombach), Wisnoz (Weschnitz), Aldenlechter (Altlechtern), Steinbach, Varenbach (Fahrenbach) und das abseits gelegene Columbach (Kolmbach).
Somit war das Weschnitztal von unten bis oben besiedelt. Die ersten Siedler waren "Lorscher Klosterleute", d. h. Leibeigene des Kloster Lorsch. Das aus dem Wald durch Rodungen gewonnene Gelände wurde in "Huben" eingeteilt, d. h. in Gebietsstreifen, die von einer Gemarkungsgrenze quer durch das Tal bis zur gegenüberliegenden Grenze zogen und in der Regel 30 Morgen umfaßten. Bei Vermehrung der Bevölkerung mußten Neurodungen vorgenommen werden; dies geschah in dem gemeindeeigenen Besitz, der sog. "Gemeinen Allemt."
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Die alte Weschnitztalstraße
Die Erbauung der heutigen, von Weinheim aus das Weschnitztal durchziehenden Straße erfolgte 1843. Die Inbetriebnahme der zu dieser Zeit ebenfalls im Bau begriffenen Main‑Neckar‑Eisenbahn ließ von dem Tale her nach Weinheim einen gesteigerten Verkehr erhoffen, dem die alte "Straße", wenn man sie überhaupt als eine solche bezeichnen darf, keineswegs gewachsen war. Ihr baulicher Zustand scheint mehr als jämmerlich gewesen zu sein, wie aus einem Berichte aus damaliger Zeit hervorgeht: "Durch das Weschnitztal führt eine Straße, die von Weinheim aus dem Lobdengau kömmt, teils rechts, teils links der Weschnitz nach Mörlenbach und Fürth, wo sie sich in drei Straßen teilt: ‑‑‑‑‑ Man muß sich unter diesen Straßen keine ordentlich gebahnten Wege stets vorstellen, denn sie sind zum Teil so schlecht, daß sie manchmal gar nicht, und oft nur mit großer Gefahr befahren werden können. Sie sind also meistens nur für Fußgänger und Reuter erträglich". Wohl stammt dieser Bericht K. Dahls aus dem Jahre 1812, aber es ist kaum anzunehmen, daß in den nächsten 30 Jahren darin eine Besserung eingetreten wäre, denn die Ursache des schlechten Zustandes lag hauptsächlich in ihrer unpraktischen Anlage.
Die Frage nach dem Alter der früheren Straße ist, eng verknüpft mit der Besiedelungsgeschichte des Weschnitztales, doch soll auf letztere an dieser Stelle nur soweit eingegangen werden, als dies zur Beantwortung unserer Frage erforderlcih erscheint.
Daß schon Feuersteinhändler etc. hier ihre Pfade getreten hätten, gilt als völlig ausgeschlossen, da im Odenwalde zwischen der Linie Heppenheim ‑ Michelstadt und dem Neckar bis jetzt keinerlei Artefakten gefunden wurden, die einen sicheren Schluß auf prähistorische Siedelungen zuließen. Vermutlich bestand zu jener Zeit das Weschnitztal aus einem von zahlreichen Sümpfen durchsetzten Urwald und zeigte somit keinerlei Eignung zur Besiedelung.
Die Ansichten über die ersten Bewohner unseres Tales verdichten sich immer mehr dahin, daß wir als solche, wenigstens in seinem hintersten Winkel die Kelten vermuten dürfen, die wahrscheinlich bei dem Auftreten der ersten Germanen in unserer Gegend, der Sueben, zum Teil in die innersten Winkel des Gebirges flohen und sich dort niederließen, und es scheint, als ob sich deren Spuren in der Gegend der Weschnitzquelle heute noch feststellen ließen. Von einem gebahnten Weg durch unser Tal kann unter diesen Umständen keineswegs die Rede sein.
Auch die hie und da vertretene Ansicht, die Erbauung der Talstraße sei auf die Römer zurückzuführen, entbehrt jeder Begründung. Es gilt vielmehr als sicher, daß dieses Volk, das in Weinheim nur einen kleinen Weiler besaß, unser gewiß auch jetzt noch sehr unwirtliches Tal nicht bewohnt hatte und auch keinen Durchgangsverkehr durch dasselbe unterhielt.
Näher rückt die Möglichkeit eines Talweges, seitdem die Alemannen, deren Hauptbeschäftigung in Viehzucht bestand, die Wiesengründe der Fluß‑ und Bachtäler des Odenwaldes bevölkerten, und es ist nicht ausgeschlossen, daß das eine oder das andere Dorf des Weschnitztales und der Seitentäler alemannischen Ursprungs ist.
Erst mit Beginn des 6. Jahrhunderts, nach der Besitzergreifung unserer Gegend durch die Franken, scheinen sich auch die Siedlungen im Weschnitztal stark zu vermehren. Von den Franken ist bekannt, daß sie allerorts eine rege Kolonisationstätigkeit entfalteten, und da sie in der Hauptsache Ackerbauern waren, begannen sie die Wälder urbar zu machen, aber je mehr sich diese lichteten, desto wasserärmer wurden die Bäche, viele sumpfige und moorige Talböden trockneten aus und anbaufähiges Land trat an ihre Stelle. In unserm Tal mag diese Veränderung in Anbetracht des ungünstigen Gebietes, etwas längere Zeit in Anspruch genommen haben, doch erscholl auch hier im Laufe der nächsten Jahrhunderte die Axt der Siedler immer häufiger.
Als nach der Gründung des Klosters Lorsch Karl der Große diesem sein Dorf Heppenheim mit der dazugehörigen ausgedehnten Waldmark geschenkt hatte (773) begannen die Lorscher Mönche, getreu des Wahlspruchs der Benediktiner "bete und arbeite", das neuerworbene Gebiet, und somit auch das Weschnitztal, weitgehendst zu kolonisieren, und es scheint sich das Fortschreiten dieser Tätigkeit im Kod.Laur. nachweisen zu lassen. Die in diesem für unsere Gegend so überaus wertvollen Lorscher Urkundenbuche der zweiten Grenzbeschreibung der Mark Heppenheim (Limites de marche Hephenheim) angefügte Ortsliste nennt im Weschnitztale die Orte Furte, Rintbach, Morlenbach und Birkenowa, unter denen jedoch Fürth und Birkenau als die älteren bezeichnet werden müssen, während die beiden anderen Orte bestimmt später entstanden sind. Eine sichere Urkunde ist diese Ortsliste in zeitlicher Hinsicht allerdings nicht, indem angenommen werden darf, daß ihre Abfassung zeitlich nicht mit der Entstehung der zweiten Grenzbeschreibung zusammenfällt, vielmehr erst von dem Lorscher Chronisten bei der Herstellung des Kodex (ungefähr in den Jahren 1070 ‑ 1080) hinzugefügt wurde,wie die darin vorkommenden jüngeren Sprachformen vermuten lassen.
Die Grenzbeschreibung des Kirchsprengels von St. Peter zu Heppenheim vom Jahre 805 nennt als weitere Orte in dem für uns in Betracht kommenden Gebiete Sidenbach (Seidenbach), Ludenwisgoz (Lautenweschnitz), Middelecdrun (Mitlechtern) und Alberesbach (Albersbach), während der Lorscher Kodex unter Nr. 40 im Jahre 877 neben anderen Orten Lieberesbach (Liebersbach), Ruzondum (Reisen) und Zozunbach) (Zotzenbach) anführt.
Ziehen wir neben diesem urkundlichen Material noch die von vielen Siedlungsgeschichtlern vertretene Ansicht in Betracht, daß die Entstehung aller Orte, deren Namen mit "Stadt, Heim, Hausen, Hofen, Bach, Brunn usw." zusammengesetzt sind, in die Zeit von etwa 400 ‑ 800 n. Chr. falle, dann würde das Weschnitztal mit seinen Seitentälern zu Beginn des 10.Jahrhunderts hinsichtlich der Besiedelung schon dasselbe Bild aufweisen wie heute. Ob es sich tatsächlich so verhält, läßt sich anhand von Urkunden nicht nachprüfen, scheint auch nicht völlig der Wirklichkeit zu entsprechen.
Für die Frage des Alter der früheren Talstraße ergibt sich aus dem Vorgesagten Folgendes: Während in prähistorischer Zeit und bis nach dem Abzug der Römer von einem gebahnten Weg durch das Weschnitztal gewiß keine Rede sein kann, dürfen wir nach der Besiedelung des Odenwaldes durch die Alemannen einen solchen stark vermuten; nach der Besitznahme unserer Gegend durch die Franken wird der Talweg jedoch zur Gewißheit, indem eine kolonisatorische Tätigkeit ohne Verbindung der Neugründungen miteinander undenkbar erscheint.
War es nicht möglich, die Zeit der Entstehung unserer Straße einwandfrei zu bestimmen, so sind wir über deren Verlust besser unterrichtet und zwar aufgrund vorhandenen Kartenmaterials, jedoch mit der Einschränkung, daß uns solches nur bis zurück in das spätere Mittelalter zur Verfügung steht. Wie in derEinleitung angeführt, verlief die alte Straße teils rechts und teils links der Weschnitz, was jedoch nicht so zu verstehen ist als ob sie letztere mehrmals überschritten hätte; sie hielt sich vielmehr in ihrer untereren Hälfte stets rechts und in der oberen stets links des Baches, sodaß nur eine einmalige Überschreitung der Weschnitz stattfand, und dies war nicht, wie Kosler irrtümlich angibt, bei Mörlenbach, sondern bei Reisen.
Von Weinheim an führte die alte Talstraße, durch die Örtlichkeit bedingt, an der Weschnitz aufwärts, sich jedoch vielfach bedeutend enger an diese anschmiegend, als dies jetzt der Fall ist. Häufige Überflutungen machten am Abhange des Hirschkopfes die Anlage eines Fußweges erforderlich, der auch von leichtem Fuhrwerk befahren werden konnte. Letzterer ist jetzt zum Teil als Wald angelegt, zum Teil gelegentlich des Bahnbaues verschwunden und nur noch in einem kleinen Rest erhalten. Gegenüber der Kammfabrik mündete er wieder in die Talstraße ein.
Dicht neben ihr erhob sich unmittelbar des Dorfes Birkenau der Cent‑Galgen, Im Jahre 1732 von dem sog. Michalishochwasser umgestürzt, fand der 1741 "als Hoheitszeichen der Justiz" neuerrichtete Galgen, um ihn vor ähnlichem Schicksal zu bewahren, seinen Standort am unteren Abhang des Leewaldes, woselbst noch bis zu den 1830er Jahren die beiden "mit Kapitälern verzierten" Sandsteinsäulen gestanden haben sollen; wann sie beseitigt wurden und wohin sie gekommen sind, entzieht sich unserer Kenntnis (Anmerkung Körner: Siehe Artikel 250 Jahre Birkenauer Galgen, die Reste wurden meistbietend versteigert, Quelle: Gemeinderechnung). Es muß diese Stelle die "unheimlichste" der ganzen Straße gewesen sein, denn nach der Erzählung alter Leute ging die Großmutter bei Nacht überhaupt nicht, und am Tage nur mit Herzklopfen und nie allein dort vorbei und wagte nicht zu sprechen". Heute erinnert uns nur noch der Flurnamen "am Galgen" und "am Gericht" an jene Zustände.
Durch Birkenau vollzog sich der alte Straßenzug ungefähr in der Richtung der heutigen. Nach einer Karte vom Jahre 1816 standen an ihr unterhalb des jetzigen, 1771 erbauten Freiherrlich von Wamboltischen Schlosses links nur 2, rechts daneben 7 Wohnhäuser, und oberhalb desselben, und zwar nur auf der linken Seite, zunächst 4 direkt an das Schloß anschließend, 2 weitere an der bei Haus Nr. 194 befindlichen Straßenbiegung und ebenfalls an dem Schafssteg (jetzige neue Brücke) gerade gegenüber.
Gleich oberhalb des Ortes machte die alte Talstraße einen flachen Bogen nach rechts und in der Nähe des "Hammerstocks" einen weit größeren nach dem "Amselloch" hin. Der Bergvorsprung kurz vor Reisen zog sich etwas tiefer als heute nach der Weschnitz herunter, sodaß die Straße diese dort berührte, um dann in ihrer Fortsetzung das rechte Bachufer bis zur Brücke zu benutzen. Heute ist dort die "Gasse der Neustadt" in Reisen und wir finden in dem soeben Angeführten den Grund, weshalb die meisten Häuser dieses Ortsteiles nach der jetzigen Straße mit der Hinterfront zeigen: Die Gebäude lagen eben an der damaligen Straße. Nach einem "geometrischen Rißbuch" der Gemarkung Reisen, angefertigt im Jahre 1744 von Geometer J. W. Grimm standen an dieser Stelle damals noch keine Häuser, während die Karte von 1818 deren 6 aufweist. Bemerkt mag hier noch werden, das genanntes Rißbuch zwischen dem vorerwähnten Bergvorsprung und der Brücke in Reisen drei muldenartige Erweiterungen der Weschnitz erkennen läßt; die Mühle des Herrn Eschwey stand damals noch nicht und dementsprechend auch nicht die dortige Brücke.
Wie oben bereits angeführt, fand in Reisen die einzige Überschreitung der Weschnitz durch unsere alte Straße statt, und es ist anzunehmen, daß dort schon sehr frühe eine Brücke errichtet war. Durch die Fluten des ebenfalls schon erwähnten Hochwassers von 1732 wurde sie jedoch weggeschwemmt, und wir gehen wohl in unserer Annahme nicht fehl, wenn wir die Erbauung der neuen, jetzt noch vorhandenen Brücke in die dem Ereignis nächstfolgenden Jahre verlegen.
Geschmückt ist diese mit einem vom Zahn der Zeit stark zernagten Standbild eines Mannes mit wallendem Gewand, der Priestermütze auf dem Haupte und einem Kruzifix im Arm; es ist die Statue des heiligen Nepomuk, des Schutzpatrons der Brücken. Das das Bild stützende Postament trägt auf seiner Vorderseite eine ebenfalls stark beschädigte Inschrift, die nach Ergänzung der unleserlich gewordenen und fehlenden Buchstaben lautet: Sub satrapa Moriz est positus eo anno (f) ere (quo) Caesar Franziscus Stephanus ex stripe Lotharingica electus, d.h. "Unter dem Amtmann Moriz ist dieser (nämlich der Stein) aufgestellt worden in dem Jahre etwa, in dem Franz Stephan aus lotharingischem Geschlechte zum Kaiser gewählt wurde. Diese Zeitangabe wird durch ein in der Inschrift enthaltenes Chronogramm, das die Jahreszahl 1745 ergibt, bestätigt. Da zwischen dem Zeitpunkte der Zerstörung der Brücke und der Errichtung der Nepomukstatue eine Spanne von 13 Jahren liegt, sind wir zu der Annahme berechtigt, daß das Standbild später als die Brücke, die in dem Rißbuch von 1744 schon eingezeichnet ist, entstanden sei, wie dies ja auch aus seiner baulichen Anlage geschlossen werden könnte. Der in der Inschrift erwähnte satrap Moriz ist der damalige churpfälzische Amtmann Moritz zu Lindenfels, und wir dürfen aus der Nennung dieses Namens den Schluß ziehen, daß sowohl die Brücke, als auch die Statue von Kurpfalz, zu deren Gebiet Reisen gehörte, erbaut bzw. erstellt wurden. In der Bedeutung der Brücke, als der einzigen von der alten Talstraße benutzten, liegt auch der Grund, weshalb gerade diese zu Reisen mit einer Nepomukstatue geschmückt ist und nicht etwa eine solche in den zu jener Zeit sicher schon viel bedeutenderen Orten Birkenau, Mörlenbach oder Rimbach. Auch die Ursache, die zur Errichtung des Standbildes führte, mag durch das Gesagte klar geworden sein: Der hl. Nepomuk sollte die Brücke sowohl, wie das ganze Weschnitztal vor Hochwassergefahr beschützen.
Nach der soeben genannten Überschreitung der Weschnitz benutzte unsere alte Straße eine kurze Strecke das Bett des von Schimbach kommenden Baches, und wir treffen hierin einen Zustand, der uns heute als wunderlich erscheint. In früheren Zeiten jedoch des öfteren geübte Gepflogenheit bildete. An der jetzigen Bäckerei in Reisen bog sie dann um, um den sog. "alten Weg nach Mörlenbach zu folgen. Auch dieses Wegstück mag damals von schlechtester Beschaffenheit und bei anhaltendem Regenwettter kaum fahrbar gewesen sein, indem es teilweise durch tiefgelegenes Wiesengelände führte, das bei etwas höherem Wasserstande von der nahe vorbeifließenden Weschnitz häufig überflutet sein mochte.
Von Mörlenbach schlug der alte Weg ungefähr die Richtung der heutigen Landstraße ein, zeigte jedoch zahlreiche kleine Krümmungen. Unterwegs grüßte vom "St. Ulrichsberg" herab eine kleine Kapelle, von der vermutet wird, daß sie aus der ersten christlichen Zeit stamme und womöglich eine dem Donar geweihte heidnische Kultstätte abgelöst habe, da der Hügel, auf dem sie stand. im Volksmund "Donnersberg" genannt wird, was wohl zur Ableitung des Namens von "Donar" geneigt macht.
Zwischen der "Grünen Au" und Rimbach bestanden zwischen der früheren und der jetzigen Straße hinsichtlich der Richtung keine nennenswerte Unterschiede. In Rimbach zog sie die "Bachgasse" hinauf und den "Fahrenbacher Weg" weiter über Fahrenbach bis nach Fürth. Ob hier ursprünglich eine Überschreitung der Weschnitz stattfand und zwar ohne Brückem, mag als wahrscheinlich gelten, da der Name Fürth sicher von "Furt" abzuleiten ist.
In ihrer Fortsetzung führte sie dann über Krumbach, Gumpen, Reichelsheim, Fränkisch‑Krumbach usw. nach Dieburg.
Es mag zum Schluß noch darauf hingewiesen werden, daß der alte Straßenzug durch das eine oder andere Wegkreuz angedeutet wird, deren Errichtung hauptsächlich an verkehrsreichen Straßen erfolgte, während deren Zahl früher weit größer war, fielen die meisten nach und nach der Zeit zum Opfer.
Autor: Rektor Johannes Pfeifer
-
Birkenauer Pfingstmarkt
Der Birkenauer Pfingstmarkt, der 1816 ins Leben gerufen wurde, hätte 1991 sein 175jähriges Bestehen feiern können, doch nahm hiervon kaum jemand Notiz. Dabei haben wir diesen Markt 16 geschäftstüchtigen Birkenauern zu verdanken, die bereits 1811 ein Gesuch an das Großherzogliche Patrimonialamt stellten: „Gehorsamste Bitte der Unterzeichneten um auch noch allhier zwei Jahrmärkte zu errichten. Den ersten 14 Tage vor Pfingsten auf Sonntag, den zweiten (Markt) den Sonntag nach Gallus. Worauf hochlöbliches Amt ersuchet wird, dieselben Märkte aufzurichten, wogegen sich Unterzeichnete verbindlich machen, die Kosten zu zahlen, die sich andurch ergeben.“ Selbstredend befanden sich unter den Antragstellern alle Birken- auer Gastwirte. Trotz mehrerer Anfragen gab es in der Angelegenheit keinen rechten Fortschritt. Vielleicht lag dies an dem wamboltischen Amtmann Ignaz Bouthelier, der Lustbarkeiten allgemein nicht gerade aufgeschlossen gegenüberstand. Sein Nachfolger namens Gutfleisch befand: „Birkenau hat zwei Krämermärkte, nämlich den gewöhnlichen Jahrmarkt und einen Kirchweihmarkt. Sie gehören unter die besten in der Gegend und werden hauptsächlich von den benachbarten Großherzoglich badischen Untertanen stark besucht. Zuviele Märkte verlieren an Güte, noch zwei neue Märkte mögten daher zuviel sein“. Noch ein Markt 14 Tage vor Pfingsten mögte den übrigen Märkten unschädlich sein und sehr gut werden, also zu gestatten sein“. So kam es dann auch, Großherzog Ludwig stellte am 24. April 1816 folgendes Privileg aus: „Ludwig von Gottes Gnaden, Großherzog von Hessen, Herzog zu Westphalen usw. Nachdem wir der Gemeinde Birkenau auf ihr unterthänigstes Nachsuchen, auf berichteten und befundenen Umständen nach die Erlaubnis zur Haltung eines neuen Jahr-, Kram-Marktes neben ihren bisherigen beiden Märkten kraft dieses dergestalt gnädigst erteilt haben, dass von diesen nunmehrigen drei Märkten der erste 14 Tage vor Pfingsten, der zweite wie bisher, Sonntag nach Jakobi und der dritte auf Sonntag nach Gallus jedes Jahr gehalten werden soll, und auf solchen sowohl Christen als Juden, sowohl Inländer als Ausländer freien ungestörten Handel und Wandel, jedoch ohne Betrug und Gefährdung, unter der erforderlichen Polizeiaufsicht betreiben können. Als haben wir ersagter Gemeinde hierüber gegenwärtiges Privileg nun erteilt und behändigen lassen, wonach sich untertänigst zu achten ist. Urkundlich unserer eigenen Unterschrift und hierauf gedrückten Staatssiegel. Darmstadt, den 24. April 1816. Ludwig, Großherzog.“ Ergänzend wurde mitgeteilt, dass die Jahrmarktsbuden erst nach geendigtem Gottesdienst aufgeschlagen werden durften und hinsichtlich des Tanzes die allerhöchsten Verordnungen der Jahre 1808/09 zu beachten seien.
Über den Verlauf des Pfingstmarktes 1816 ist leider nichts bekannt. 1817 war der Markt verregnet, so dass kaum Stände aufgebaut worden waren. Der Pfingstmarkt wurde bis auf wenige Ausnahmen jährlich abgehalten. Lediglich von 1904-18, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1907, fiel der Markt aus. Während des Zweiten Weltkrieges ruhte der Markt ebenfalls. Eine Ausnahme waren die Jahre 1941/42, während denen ein Miniprogramm durchgeführt wurde. Ab 1946 wird der Pfingstmarkt ununterbrochen gefeiert. Zum Pfingstmarkt 1900 wurden zwei Gendarmen abgestellt, da es „in letzter Zeit hier öfters zwischen jungen Leuten zu Exzessen gekommen ist und von verschiedenen Seiten Angaben gemacht worden sind, dass auch an diesem Tag Streitigkeiten geplant seien, außerdem werden an diesem Tage viele Arbeiter aus dem benachbarten Weinheim erwartet.“ Dank der getroffenen Vorkehrungen blieb es ruhig. Ein Vermerk lautet: „...mit dem Anfügen gehorsamst (an das Kreisamt) zurückgereicht, dass beide Gendarmen von 2 Uhr nachmittags bis 1 Uhr nachts in Birkenau waren und Streitigkeiten nicht vorgekommen sind. Fußgendarm und Stationsführer.“
Bis in die 1960er Jahre wurde am Pfingstmarktsonntag der sogenannte Hagelfeiertag begangen, an dem ein Bittgottesdienst gefeiert wurde. Dieser Sachverhalt wird 1851 erstmals erwähnt. 1949 gab es Bestrebungen, den Pfingstmarktmontag zu beschneiden. Die Gemeinde argumentierte: „Es war immer üblich, dass dieser Markttag am Montag, dem Hauptmarkttag gehalten wurde und die Schulen schulfrei hatten, wie ja auch bei der Gemeindeverwaltung an diesem Tag die Büros geschlossen blieben. Der Pfingstmarkt der Gemeinde Birkenau, der in früheren Jahren eine große, weit über die nähere Umgebung hinausreichende Bedeutung hatte, ist wohl in den Jahren nach dem Weltkrieg sehr zurückgegangen, und heute kann ja von einem Markt nicht mehr gesprochen werden. Da diese Märkte aber eine althergebrachte Einrichtung sind, mit denen früher ein bestimmtes Brauchtum verbunden war, gehen Bestrebungen dahin, den Markt wieder zu beleben und das Brauchtum aufleben zu lassen. Das kann nur dadurch geschehen, dass an diesem Tag der Gottesdienst in der seither üblichen Form weiterhin abgehalten wird und vor allem die Kinder schulfrei haben. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Pfingstmarkt und dem Hagelfeiertag scheint 1816 nicht beabsichtigt gewesen zu sein, wobei es natürlich für den Zuspruch des Pfingstmarktes vorteilhaft war, gleichzeitig einen Feiertag begehen zu können. Nachrichten über Hagelschäden finden sich wiederholt in einem Birkenauer Kirchenbuch für die Jahre 1738/39, wo es einmal heißt: „Im Monat Juni strafte uns Gott hier abermals mit einem starken Hagelwetter, dadurch die Fenster eingeschlagen, die Dächer verderbt und gar großer Schaden an den Früchten verursacht wurde.“ Solche Ereignisse blieben im Gedächtnis der Bevölkerung, so dass der Hagelfeiertag seine Berechtigung hatte. Die Tradition des Hagelfeiertages ist keine ortsspezifische Angelegenheit, sondern beruht auf kirchlicher Übung.
Nachsatz: Inzwischen ist der Birkenauer Pfingstmarkt sanft entschlummert, d.h. er findet seit einigen Jahren nicht mehr statt. Schade drum. Der Markt hätte 2016 sein 200jähriges Bestehen feiern können. Hauptgrund für die Einstellung waren zwei historische Märkte (zeitliche Nähe zum Pfingstmarkt), unter reger Beteiligung der Birkenauer Vereine, die im ehemals öffentlich zugänglichen Park der Familie Wambolt stattfanden.
Auszug aus dem Buch „1200 Jahre Birkenau“, erschienen 1994.
Autor: Gemeindearchivar Günter Körner
-
„Die Reisemer Pingschte“ – ein vergessenes Dorffest
-Zum Vergrößern klicken Sie bitte jeweils auf den linken Bereich der Bilder-
Gruppenfoto oben: Im Grasgarten des Wirtshauses Geiß, etwa 1875/76
- Vordere Reihe von links, sitzend: Lehrer Heinrich Schuster (mit Käppchen), von 1875 – 79 in Reisen tätig, Joh. Nikolaus Jochim 1830 – 1891, Joh. Peter Eschwey 1820 – 1879, Joh. Nikolaus Schaab 1822 – 1889.
- Hintere Reihe Mitte: Gastwirt Adam Geiß 1812 – 1876, die beiden Männer links und rechts stehend sind nicht bekannt
Autorin: Helga Müller
Bis in die 1980er Jahre erinnerten sich die ältesten Reisener Einwohner an ein Dorffest, das bis 1914 jährlich gefeiert wurde, und zu dem auch die Bewohner der umliegenden Orte gerne kamen. Vielleicht waren sie es, die dem Fest seinen Namen gaben: ,,Die Reisemer Pingschte". Es wurde berichtet, dass Verkaufsstände aufgeschlagen waren, und dass ein Karussell da war, welches die größeren Buben von Hand drehen halfen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg, so erzählte Johann Heiß (1899-1993), habe ein Weinheimer Karussellbesitzer dann ein Pferd mitgebracht, das im Kreis herumlief und die ,,Reitschul" zog. So wie man heute noch den Kindern ,,Kerwegeld" gibt, bekamen sie damals ,,Pingschtgeld."
Wie lange diese Tradition zurückgeht, ist nicht bekannt. Erst durch Zeitungsannoncen, die in der Zeitungssammlung des Gemeindearchivs Birkenau erhalten sind, gibt es schriftliche Belege darüber. Dabei fällt auf, dass immer nur für den Pfingstmontag eingeladen wurde. Der Pfingstsonntag blieb wahrscheinlich der Besinnung auf das kirchliche Fest vorbehalten. Die beiden ältesten Anzeigen lesen wir im ,,Wochenblatt für den Kreis Heppenheim" im Jahre 1837. Da lädt der Wirt Nikolaus Schaab zur Tanzmusik und zum Scheibenschießen in seinen Garten ein. Dieses Wirtshaus „Zur schönen Aussicht“ befand sich im Stammhof der Familie Schaab, welcher die Grundstücke der heutigen Anwesen Nr. 5, 7 und 9 in der Schimbacher Straße umfasste. Schaab stellte nicht nur seinen Apfelwein selbst her, sondern er brannte auch Kartoffelschnaps. Es wird berichtet, dass er auf das Brennen verzichtete, als nach mehreren Missernten im Jahr 1847 eine große Hungersnot ausgebrochen war. Als sozial denkender Mann gab er die Kartoffeln zu einem billigen Preis an die Armen ab.
Nikolaus Schaab war Gastgeber der großen Volksversammlung von Reisen am 9. April 1848, deren Teilnehmer auf 5000 bis 7000 Leute geschätzt wurden. Dabei wurde zu Beginn der Revolution darüber abgestimmt, ob Deutschland künftig eine Republik, oder eine konstitutionelle Monarchie werden sollte. Mit seinen Söhnen war Schaab später aktiv an der Septemberrevolte beteiligt und hatte nach deren Scheitern schwer dafür zu büßen. Das war der Grund dafür, dass man in den Folgejahren von diesem Wirtshaus keine Einladung zum Pfingstfest mehr liest.
Ab 1874 hielt ein anderer Familienzweig der Familie Schaab Tanzmusik am Pfingstfest ab: Johannes Schaab hatte inzwischen das Gasthaus „Zum Weschnitztal“ an der „Chaussee“, der Hauptstraße nach Mörlenbach, gegründet, welches auch heute noch besteht.
Der andere Wirt, der zu „Ringscheibenschießen und gutbesetzter Tanzmusik“ einlud, war Adam Geiß, der Besitzer der Gastwirtschaft Geiß am Ende der Schimbacher Straße. Auch hier saß man an Festtagen im Grasgarten, wo heute noch der alte Tanzsaal steht, der seit 1914 geschlossen ist, und seitdem nur noch als landwirtschaftliches Lagergebäude genutzt wird. Gegenüber war die sogenannte Trinkhalle, wo Bier und Wein ausgeschenkt wurden. Es gab an solchen Festen aber auch Kaffee und Kuchen. Für das anscheinend sehr beliebte Ringscheibenschießen wurde die Schießscheibe auf einen festgemauerten Sockel montiert. Dieser befand sich ein Stück oberhalb des Grasgartens. Der Altgastwirt Jakob Geiß (1900 - 1983), dem wir viele Beschreibungen der früheren Zeit verdanken, hat ihn in den 1940er Jahren ausgegraben, weil er ihn beim Pflügen störte.
Aber es wurde nicht nur gegessen und getrunken, getanzt und geschossen, es wurden auch zarte Bande geknüpft, mit Argusaugen beobachtet von der ganzen Verwandtschaft. Passte dieser die Verbindung nicht, denn damals suchten die Eltern die Ehepartner ihrer Kinder meistens noch selber aus, dann wurde „Kalljes gemacht“, d. h. man brachte das junge Paar auseinander. Das Dialektwort „Kalljes“ kommt von dem hebräischen Ausgangswort „kala“ und bedeutet zurückhalten, hemmen.
Die „Reisemer Kerwe“
Das zweite Dorffest in Reisen, das bis heute gefeiert wird, ist das Kirchweihfest.
Die ersten Anzeigen die dazu einluden, erschienen 1861 im „Intelligenzblatt für den Kreis Lindenfels“ zu dem Reisen von 1852 bis 1874 gehörte. Sie kamen von den Gastwirten Adam Geiß und Johannes Schaab.
Über 50 Jahre lang wurden sowohl die „Reisemer Pingschte“, als auch die „Reisemer Quetschekuche-Kerwe“ jährlich gefeiert, bis mit Beginn des Ersten Weltkrieges die lange Tradition des Volksfestes am Pfingstmontag erlosch.
Das Kirchweihfest wurde traditionell am ersten Septemberwochenende, zusammen mit Nieder-Liebersbach, Hornbach und Ober-Mumbach gefeiert. 1973 machte der Ortsbeirat Reisen eine Einwohnerbefragung, ob das Fest auf eine Woche später, das Einweihungsdatum der evangelischen Kirche verlegt werden sollte. Dafür sprach sich die Mehrheit aus.
(30.5.2022)
-
Wann und wie ist Birkenau entstanden? von Rektor PFEIFER
Wann und wo ist Birkenau entstanden ?
Wie allerorts fast allgemein, so fehlen auch für Birkenau die Urkunden, aus denen einwandfrei die Zeit sowohl, als auch die Art und Weise des Ursprungs der Siedlung hervorgehen. Trotzdem sind wir hier in der Lage und zwar auf Grund einiger Angaben im Lorscher Kodex (abgekürzt Kod. Laur. = Kodex Laurishamensis), der gestellten Frage nach dem "Wann und Wie" nähertreten, ja sie in groben Umrissen beantworten zu können.
Den beiden Grenzbeschreibungen der Mark Heppenheim (Kod. Laur. Nr. 6) ist eine sogn. Ortsliste angefügt, folgenden Inhalts: Infra hos limites jurta fluvii Wisgoz qui e doubus fontubus scater dous viculos vidilicet Monaldes cella et Richgisesbura, site he ville: Furte, Rintbach, Morlenbach, Birkenowa, Winenheim, Hemmingisbach, Lutenbach, Hephenheim, Besinsheim, Urbach, Lauresham, Bisestat. Diese Ortsliste bildete die Veranlassung zu der Behauptung, "Birkenau würde urkundlich 773 zum ersten Mal erwähnt." Es ist dies jedoch ein Irrtum, dem im Interesse der Wahrheit entgegengetreten werden muss. Schon die 2. Grenzbeschreibung erfuhr heftige Anzweiflung hinsichtlich ihrer Richtigkeit, ja es wurde ihr zuweilen der Vorwurf absichtlicher Fälschung gemacht und zwar hauptsächlich wegen der Einbeziehung der Bürstädter Mark, die als selbständige Mark außerhalb der Mark Heppenheim lag und von der nur einzelne Teile 795 dem Kloster gehörten. Die Auffassung von einer Fälschung teilt heute wohl kein Forscher mehr, man ist vielmehr zu der Überzeugung gekommen, dass es sich im vorliegenden Falle um eine Interpolierung handelt, d. h. um eine Übertragung späterer Verhältnisse auf einen früheren Zeitpunkt. Der Lorscher Kodex ‑ ins Auge gefasst ist die Lamaysche Ausgabe von 1768, da die Neuausgabe des Hess. Staatsarchivs noch nicht vollständig ist ‑ der in seinem 1. Teil in der Hauptsache eine Urkundensammlung darstellt, entstand erst zwischen 1170 und 1180, vermutlich im Jahre 1176, unter Abt Siegehart. Es ist möglich, dass das Werk auf Anraten des Abtes Marquard von Fulda, der wie Siegehart aus dem Kloster Hirsau hervorgegangen war, in Angriff genommen wurde, wie aus der Ähnlichkeit der Anlage mit dem Kodex Eberhardi des Fuldaer Klosters geschlossen werden darf. Der Zweck des Lorscher Kodex bestand darin, das Kloster gegen die Übergriffe der umwohnenden Fürsten, Prälaten und Lehensleute des Klosters zu schützen, wozu es einer sicheren urkundlichen Grundlage bedurfte, um den Nachweis des Eigentumsrechtes rasch und einwandfrei zu erbringen. Der 1. Teil des Kodex stellt lediglich eine Abschrift sämtlicher Schenkungs‑, Tausch‑ und Kaufurkunden, zeitlich geordnet und nach Gauen getrennt dar, um ein rasches Aufsuchen der Urkunden, die zu diesem Zweck dieselben Nummern erhielten wie die Einträge, zu ermöglichen. Dass bei der Anlage des Kodex die 2. Grenzbeschreibung, die die Grenzpunkte nur flüchtig nennt, während sich die vom Jahre 773 durch größere Lückenlosigkeit auszeichnet, absichtlich gefälscht worden sei, wird einmal durch den Umstand widerlegt, dass die Name der Grenzpunkte fast alle in ihrer ursprünglichen Form übernommen wurden und nur die der hinzugefügten Bürstädter Mark neuere Formen aufweisen, also eine genaue Abschrift bezeugen; sodann lassen sich in den im Kodex eingetragenen Schenkungsurkunden die Namen der bei dem Plazitum auf dem Walinehauk unter Graf Warinarius als Zeugen anwesenden Urkundspersonen aus den vier angrenzenden Gauen fast restlos wiederfinden. Die Hinzufügung der Mark Bürstadt kann darum nicht als absichtliche, ja nicht einmal unbeabsichtigte Fälschung betrachtet werden, sondern stellt eine Interpolierung dar, wie sich außerdem aus den jüngeren Sprachformen ihrer Grenzpunkte ergibt.
Ein gleichartiger Fall liegt hinsichtlich der vorerwähnten Ortslite vor. Auch sie ist nichts anderes als eine Interpolierung. Dies beweisen die gleichen jüngeren Sprachformen, sowie der Umstand, dass sich die meisten darin angeführten Orte in der Karolingerzeit urkundlich noch nicht nachweisen lassen. Birkenau ebenfalls nicht.
Um der Frage nach der Entstehung unseres Ortes nachzuspüren, ist es notwendig, auf die frühesten Siedelungsverhältnisse unserer Gegend näher einzugehen. Das Siedelungsbild, das sich aus den im Kod. Laur. eingetragenen Schenkungen an das Kloster, sowie aus dessen Erwerbungen durch Tausch und Kauf für die Gegend zwischen Bergstraße und Rhein ergibt, war zur karolingischen und der ersten ottonischen Zeit fast dasselbe wie heute, denn alle Hauptorte werden genannt, und waren demnach schon vorhanden. Gänzlich verschieden muß das Bild östlich der Bergstraße ausgesehen haben. Hier breitete sich ein Waldgebiet aus, welche Behauptung durch die Schenkung, worin die Mark Heppenheim als "Waldmark" bezeichnet wird, ihre Bestätigung findet. In der für uns in Frage stehenden Gegend, etwa von dem locus Gerwine (=Zwingenberg) des Diploms Heinrich II. vom Jahre 1012 bis zur Südgrenze des Oberrheingaues, breiteten sich zwei Marken aus, die Mark Bensheim und die Mark Heppenheim. Südlich schloss sich die Weinheimer Mark an, die ebenfalls zum Vergleich mit herangezogen werden muss. Es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß die Entstehung dieser Marken zeitlich mit der Besitzname unserer Gegend durch die Franken zusammenfallen wird, diese also Urmarken darstellen. Die Besitzverhältnisse lagen aber innerhalb dieser drei Gebiete verschieden. Nach dem Kod. Laur. erweisen sich die Orte Weinheim, Heppenheim als die einzigen Gemeinden in dem hier in Frage stehenden Teil der Bergstraße mit vollfreien Grundeigentümern, d.h. solchen, die übe rihr Bessitztum freies Verfügungsrecht besaßen. Außerdem gab es hier neben dem Gemeinbesitz an Wald noch ausgedehnte Allmende. Verschieden gelagert war dagegen der königliche Besitz. Für Bensheim ist solcher nicht nachweisbar, und in Weinheim wird er nur von geringem Umfang gewesen sein, da hier nur einmal (877) als Mannlehen drei heimgefallene königliche Mansen (= Wohnstätten) erwähnt werden. In Heppenheim aber gab es ausgedehnten königlichen und keinen vollfreien Privatbesitz, woraus es sich erklärt, dass aus diesem Ort weder vor noch nach dem Übergang an Lorsch eine einzige Schenkung an das Kloster erfolgte. Die engere Mark Heppenheim kann sich deshalb nur aus dem Kirchengut St. Peter, dem beträchtlichen königlichen Besitz und dem der Markgemeinde zusammengesetzt haben, während privater Grundbesitz fehlte.
Doch auch aus dem Hinterlande, der weiteren Mark Heppenheim, fehlt sowohl vor als auch nach 773 jegliche Schenkung an das Kloster Lorsch, während die Zuwendungen aus der Umgegend zu dieser Zeit ungemein reichlich fließen. Der Umstand, das östlich der Bergstraße keine Schenkungen gefallen sind, kann nur zwei Ursachen haben; entweder war das Gebiet restlos Königsgut, oder es war gänzlich unbesiedelt. Die Frage, ob Königsgut oder nicht, ist für unsere Zwecke belanglos und kann unerörtert bleiben, doch mag angeführt sein, dass zahlreiche Forscher die Frage bedingungslos bejahen und das gesamte Gelände als reanum, d.h. als königlichen Besitz bezeichnen. Für uns drängt sich die Frage der Besiedelung in den Vordergrund. Hierfür sind weitere Erwägungen erforderlich. Dass es sich um ein "Waldgebiet" handelt, geht aus der Schenkungsurkunde hervor, wo zwischen dem Königsdorf Heppenheim und zu ihm gehörigen "Bannforst" deutlich unterschieden ist: "Hare est desoriptio marchae sive terminus silvae etc." Auf Grund der vorerwähnten Ortsliste nahm man seither die Orte Fürth, Rimbach, Mörlenbach und Birkenau als 773 im Weschnitztal vorhanden an, bis es sich herausstellte, dass das Schriftstück interpoliert ist. Tatsache ist vielmehr, dass sich keiner der vier Orte zu dieser Zeit urkundlich nachweisen lässt.
Das Kloster Lorsch wird darum in der ersten Zeit des Besitzes aus diesem Waldgebiet keinen weiteren Nutzen gezogen haben als reichliche Schweinemast und ergiebige Jagd‑ und Fischereibeute. Daneben ist anzunehmen, dass es die in der Grenzbeschreibung angeführten Erzgruben (in mediam erzgrefte) bei Weschnitz ausbeutete. Dies ist umso mehr wahrscheinlich, da die Gruben deren Entdeckung man den Kelten zuschreibt, bei der Übergabe an Lorsch schon vorhanden waren und sicherlich damals auch im Betrieb standen. Um das Jahr 1100 steht die Ausnutzung der Weschnitzer Erzgruben durch das Kloster fest: Der Kod. Laur. (Nr. 140) verzeichnet eine Abgabe von Pfannen und Kesseln an das Kloster Abrimsberg durch den Meier des Klosterhofes in Fürth, was das Bestehen einer Kesselschmiede und somit die gewerbliche Ausnutzung des örtlichen Erzvorkommens zur Voraussetzung hatte. War letzteres schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts der Fall, dann setzte dies eine kleine Siedelung in der Gegend von Weschnitz voraus, die nach Lage der Sache jedoch nur Lorscher Bergleute beherbergte, keineswegs aber als eine volksmäßige Siedelung betrachtet werden kann. Ähnlich lagen die Verhältnisse mit dem "Frankel" bei Schönmattenwag, der in der Grenzbeschreibung der Mark Heppenheim als "Franconodale" erscheint. Hier handelt es sich um die Ausbeute eines Fischteiches, dem spumosum stagnum vom Jahre 1012, der 773 schon vorhanden gewesen sein muss, da der Frankel nichts anderes als eine fränkische Fischerkolonie war. Es ist anzunehmen, dass hie und da an Straßen zur Sicherung, zum Pferdewchsel oder an Steigungen zum Vorspann und ähnlich kleine Siedelungen 773 und der nächsten Zeit vorhanden waren oder entstanden, wie z.B. das 805 gelegentlich der Beschreibung des Kirchensprengels von St. Peter in Heppenheim genannte Midelecdrun (=Mitlechtern); allein von populares possessiones, d.h. von volkmäßigen Siedelungen fehlt urkundlich jegliche Spur.
Erst als das Kloster sich einige Zeit im festen, unumstrittenen Besitz der Mark Heppenheim befand, treten Nachrichten auf, die das Vorhandensein planmäßiger Siedelungen gewährleisten. Es liegt in der Natur der Sache, dass Lorsch sein neuerworbenes Eigentum rentabler zu gestalten suchte, als dies bei der Übernahme der Fall war. Wie aus dem Kod. Laur. hervorgeht, begannen die Lorscher Benediktiner in der Mark eine rege Kolonisationstätigkeit. An welcher Stelle und zu welcher Zeit sie einsetzte, bleibt für unsere Frage belanglos, da uns nur das Weschnitztal interessiert. Hier erscheint als erster Beweis ihrer Tätigkeit in der angegebenen Richtung die cella Birkenowa im Jahre 846. Calla bedeutet im Sinne des Kodex, sowie der damaligen Zeit überhaupt stets eine kleine klösterliche Niederlassung, vielleicht auch nur eine Einsiedelei, vielleicht auch nur eine Einsiedelei (vergl. Manoldescella der Heppenheimer und Manesgoltescella der Michelstädter Markbescheibung). Aus diesem Umstande geht hervor, dass das Kloster die Urbarmachung des Weschnitztales im unteren Teil
begann und zu diesem Zweck eine Niederlassung errichtete, von der aus das Werk betrieben werden konnte. Über dessen Fortschreiten berichtet der Kodex in seiner Nr. 40 vom Jahre 877, wo Birkenau schon als Villa (=Dorf) auftritt und mit ihm Liebersbach, Ruzondum (Reisen), Zuzunbach und Rintbach, sowie der Ort "ubi sclavi habitant", der noch nicht identifiziert werden konnte, urkundlich erscheinen. Im Jahre 895 wird (Kod. Laur. Nr. 53) neben Birkenau und Liebersbach der Ort Gunnersbach genannt, unter dem Kunzenbach im Gorxheimer Tal zu verstehen sein wird. Zutreffendenfalls würde dies zeigen, dass auch dieses Tal in Kultur genommen und der Anfang im unteren Teil gemacht wurde. Fürth wird erstmalig i. J. 1023 (Kod. Laur. Nr. 137) unter Kaiser Heinrich II. gelegentlich der Immunitätserklärung des Michaelisklosters auf dem Heiligenberg bei Heidelberg erwähnt; dann erst wieder zwischen 1090 und 1100 als Mittelpunkt einer Lorscher villicatio (= Meierei), zu der die Orte Fahrenbach, Steinbach, Erlenbach, Krumbach, Kröckelbach, Brombach, Altlechtern, Weschnitz und Kolmbach gehörten, die damals ebenfalls schon bestanden. Das in der Mitte des Weschnitztales gelegene Mörlenbach findet am spätesten Erwähnung, nämlich um 1030 (Kod. Laur. Nr. 143). Wenn allerdings in Nr. 3663 erscheint, in das 9. bis 10 Jahrhundert zu setzen sind, wie zuweilen angenommen wird, dann erfolgte die Gründung Mörlenbachs ebenfalls im Zuge der von unten nach oben fortschreitenden Kolonisierung des Tales.
So finden wir das ganze Weschnitztal einschließlich der größeren Seitentäler bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts besiedelt und das Gelände in Huben eingeteilt, auf denen in kleinen Dörfern und Weilern unfreie Klosterleute ohne eigenen Grundbesitz saßen, die Lorsch zinspflichtig waren. Es muss zugegeben werden, da die Entstehung einer Siedelung des Öfteren nicht mit dem ersten Auftreten in Urkunden zeitlich zusammenfällt, sodass mancher Ort älter, ja vielleicht wesentlich älter ist, als sein erstes urkundliches Vorkommen anzeigt. Trotzdem lassen die zur Verfügung stehenden schriftlichen Überlieferungen den Schluss zu, dass die planmäßige Besiedelung des Weschnitztales nicht vor dem Anfang des 9. Jahrhunderts begonnen wurde.
Nach dieser Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage wichtigen Betrachtung der Siedelungsverhältnisse unseres Tales wieder zurück zu Birkenau. Wie vorher erwähnt, begannen die Lorscher Benediktiner ihre kolonisatorische Tätigkeit im Tal der Wisgoz (=Weschnitz) in dessen unteren Teil und gründeten zu diesem Zweck eine cella. Diese Cella muss zweifellos als der Anfang unseres Ortes betrachtet werden, in welchem Jahre die Gründung jedoch erfolgte, das heißt wie lange vor dem Jahre 846, kann nicht festgestellt werden, doch muss es immerhin schon längere Zeit vorher gewesen sein, denn im genannten Jahre waren schon beträchtliche Mengen Kulturland geschaffen, wie aus dem Kod. Laur. Nr. 27 hervorgeht. Der Inhalt dieser für uns so wichtigen Urkunde ist etwa folgender: Der damalige Gaugraf des Lobdengaues, Werinher mit Namen, schenkte dem Kloster Lorsch auf ewig seinen Besitz im Oberrheingau, den ihm i. Jahr 836 König Ludwig der Fromme übergeben hatte, das Dorf Biblis, die Kirche in Wattenheim, sowie das Dorf Zullestein (d. i.das bei der Feste Stein an der Weschnitzmündung gelegene Dorf, die beide längst verschwunden sind) samt allem beweglichen und unbeweglichen Eigentum und 95 Sklaven. Werinher übergibt dies alles am Tage der Beurkundung, dem 30. Juli 846 dem Kloster zum uneingeschränkten Besitz, knüpft jedoch eine Bedingung daran: er sichert sich auf Lebenszeit den vollen Genuss der übergebenen Güter, doch wenn der Abt ‑ es war Samuel (838‑857), der zugleich Bischof von Worms war‑ ihn überleben würde, soll er nach Werinhers Tod in den Genuss der Einkünfte aus den geschenkten Gütern kommen. Außerdem schenkte der Gaugraf dem Kloster, und zwar unter der gleichen Bedingung, was er von diesem Benefizium (d.s. Lehen, wobei der Lehensträger nicht im Valsallenverhältnis zu dem Lehensherrn zu stehen braucht) inne hatte. Von letzterem sagt Werinher, dass sie Egilhelm und Woda, "seine einstigen Getreuen" (quondam sidelium meorum) dem heiligen Nazarius gestiftet hätten. Bei der Aufzählung dieser Lehensstücke wird die Cella Birkenowa genannt. Nach dem Wortlaut der Urkunde, in der das Kloster die Schenkung bestätigt, besteht kein Zweifel, daß Egilhelm und seine Gemahlin Woda, die als Vasallen oder nahe Verwandten Werinhers betrachatet wrden müssen, Birkenau besessen haben oder damit belehnt waren. Da aber Birkenau als cella bezeichnet wird und nicht als villa muss der Schluß gezogen werden, dass das Lehen nur in Grundstücken bestanden haben kann, eine Siedelung aber noch nicht vorhanden war. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in Egilhelm den ersten Besitzer unseres Grundes und Bodens erblicken; sein Nachfolger in dieser Hinsicht war dann Gaugraf Werinher.
Nun liegt es auf der Hand, dass Egilhelm sowohl, als auch Werinher die Grundstücke nicht selbst bebauten, sondern zu diesem Zweck Bauern heranzogen und sie hier ansiedelten, und auf diese Weise mag der erste Hof entstanden sein, die erste bürgerliche Niederlassung also. Da Birkenau 846 nicht als Dorf bezeichnet wird, sondern als Zelle, muss es noch ganz den Charakter einer solchen getragen haben, woraus hervorgeht, dass die Zahl der bürgerlichen Wohnstätten verschwindend klein gewesen sein musste, ja vielleicht nur ein einzelner Hof vorhanden war. Doch die Besiedelung des Tales machte Fortschritte. Auch in Birkenau muss dies der Fall gewesen sein, denn 877 erscheint es als Dorf. Die Urkunde, in der unser Ort erstmalig als Villa bezeichnet wird (Kod. Laur. Nr. 40) besagt, dass Werinhers Nachfolger im Grafenamte des Lobdengaues, Graf Luither von Husen (d. i. Leutershausen, das ursprünglich Luithershusen hieß), vom Kloster neben anderm auch die villa Birkenowa als Benefizium innehatte, doch gibt er dieses Lehen nebst umfangreichen weiteren Besitz am 1. Oktober 877 dem Kloster als Schenkung zurück. Noch einmal wiederholt sich die Verleihung unseres Ortes (Kod. Laur. Nr. 53) und zwar im Jahre 896 an Adalbero, Bischof von Augsburg und Abt zu Gernsheim, doch diesmal nicht als erbliches Lehen, sondern als Präkarium, d.h. als ein widerruflich entliehenes Gut. Doch interessiert uns diese Verleihung in Hinblick auf die hier in Frage stehende Angelegenheit nicht mehr. Für die Geschichte unseres Ortes besitzt die Verleihung an Adalbero nur insofern Bedeutung, als es die letzte nachweisbare Verlehnung war, sodass Birkenau nach dem Heimfall unter die direkte Hoheit des Klosters kam.
Die Frage nach Zeit und Umständen der Entstehung Birkenaus wäre somit, soweit die vorhandenen Urkunden Aufklärung zu geben in der Lage sind, beantwortet: der Grund zu dem Ort wurde einige Jahre vor 846 durch die Errichtung einer Lorscher Cella gelegt, während es sich in den nächstfolgenden drei Jahrzehnten zum Dorf entwickelte. Das Alter unseres Ortes beläuft sich demnach auf ungefähr 1100 Jahre.
Autor: Johannes Pfeifer (Veröffentlicht in "Die Windeck Nr. 10 f./1935)
(16.5.2022)
-
Die Eskapaden des Johann Georg Bertram von Hersbach
„Dass die Zeiten des 30jährigen Krieges auch demoralisierend auf das Volk gewirkt, ist eine unbestreitbare Tatsache.“ So beginnt der katholische Pfarrer Adam Sulzbach 1902 seinen bescheidenen Beitrag über den sittlichen Zustand der Gemeinde Birkenau nach dem großen Krieg. Nicht nur auf die Bevölkerung möchte man ergänzen, war die Wirkung entsittlichend, sondern teilweise auch auf die Ortsherrschaft, die eigentlich als Vorbild hätte fungieren müssen. Zum besseren Verständnis dieser Festlegung ist ein kurzer Exkurs in die Birkenauer Ortsgeschichte vonnöten. Ortsherren waren nach dem 30jährigen Krieg die Landschade von Neckarsteinach und die Gebrüder Bertram von Hersbach, die 1649 mit dem wamboltischen Anteil belehnt worden waren. Mit dem Tod Friedrich Landschad III erlosch 1653 dieses Geschlecht, das Lehen fiel an Kurmainz zurück, und der Reichshofrat Johann Philipp von Bohn wurde noch im selben Jahr mit dem landschadischen Teil belehnt. Er versuchte von Anfang an der Unordnung, die durch die Kriegswirren eingerissen waren, zu steuern, was auf den heftigsten Widerstand der Bertram von Hersbach stieß. Die beiden Brüder Georg Friedrich und insbesondere Johann Georg Bertram suchten die Autorität der von Bohn dadurch zu untergraben, dass sie Untertanen regelrecht terrorisierten und dem Ansehen ihrer Konkurrenten schadeten, wo immer sie konnte.
Die Brüder lebten im Haus des Samuel König, der in diesem Anwesen bis 1624 eine Gastwirtschaft betrieben hatte. Von hier aus schalteten und walteten beide rücksichtslos. Erste Einzelheiten berichtet ein Schreiben, das Reichshofrat von Bohn wohl Anfang 1655 verfasste, als er sich über beide direkt beim Lehensherrn beschwerte, nämlich: „… dass derselbe Hans Georg Bertram sich durch hartes Bedrohen der Untertanen und sonderlich beim Trunk nicht bloß mit dem Degen und Gewehr in die Häuser geht und am Tag herumschreiet, dadurch denselben Angst und Furcht einzujagen versuchet“; und außerdem „ verlangen beide Brüder Bertram auf dem Rathaus und in der Kirche die Obgestell und Vorsitz vor dem von Bohn: 1. Weil die [die Bertram] die Hilf am Lehen von ihrem Vetter, Herrn Obristen Wambolt, als ältesten Vasallen haben, 2. Weilen sie die vier hohen Zentfälle [Mord, Brand, Diebstahl und Ehebruch] mit Ihrer Kurfürstlichen Gnaden gemeinsam haben. 3. Weilen Herrn von Wambolts Begräbnis oben im Chor, auch Ihres seligen Vaters Begräbnis und die Fräulein auf der rechten Seite in der neuen Bordkirch stecken.“
Die von Bohn versuchten eine Renovation (Neuaufzeichnung) des Grundbesitzes durchzuführen, was erbitterten Widerstand der von Bertram hervorrief. Nach einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen beiden Parteien drohten Handgreiflichkeiten: „… hat er [Johann Georg von Hersbach] mit Ungestüm angefangen, er sei ein Kavalier, wolle es mit dem Degen und der Pistole mit mir ausmachen, sollte mit ihm hinauskommen; darauf hat er seinen Knecht gerufen, er solle sein Pferd holen.“ Von Bohn ließ sich jedoch nicht provozieren, er schließt seinen Bericht resignierend: „Wegen des Stuhls in der Kirche, was Ursache war, er selbigen hab heraus auf den Kirchhof tragen lassen zu gedenken.“
Am 20. Mai 1655 wurde der Reichshofrat von Bohn mit ganz Birkenau belehnt. Bevor die Belehnung durch den Burggrafen von Starkenburg, Freiherrn von Hoheneck, stattfand, hatte dieser ein ernsthaftes Gespräch mit den beiden Brüdern Bertram. Von Hoheneck zeigte ihnen den entsprechenden Kurmainzer Befehl und bat „dass sie die Bach zu Weinheim [Weschnitz] nicht durch fremde Fischer [wie geschehen] merklich erößen [=ausfischen] lassen sollten“, und drohte bei Zuwiderhandeln, an dass „die von Bohn mit 1000 Gulden wieder in den vorigen Stand zu bringen seien.“ Zu dem sogenannten „Schwenden Lehen“ gehöre seit alters her das Recht der Ortsherrn von Birkenau, „Fisch und Krebs in der Weschnitz von der Reisenheimer Brücke bis nach Weinheim am Steg zu fangen.“
1658 wurde die Kluft zwischen beiden Kontrahenten immer tiefer. Hans Georg von Bertram hielt sich eine Konkubine, die er auf Geheiß seines Vaters „abschaffen“ sollte. Dieses Ansinnen wies er zurück, denn es „habe ein jeder Bauer, also auch er, Macht eine Magd zu seinem Gefallen [zu halten]“.
Dieses ablehnende Schreiben ließ er als Antwort auf den väterlichen Brief, von dem lutherischen Pfarrer Abraham Meigelius nach Diktat ausfertigen. Den Pfarrer brachte dieses „Schmierwerk“ in so schwere Gewissennöte, dass er dem „Herrn Gevatter“, dem Reichshofrat von Bohn, heimlich einen Bericht über das Gebaren des Junkers Hans-Jörg, wie er schreibt, zukommen ließ. Das Schriftstück ist in seiner Aussage für diese Zeit ungewöhnlich direkt und lebhaft verfasst. Es verdient deshalb in einem längeren Auszug wiedergegeben zu werden. Weg gelassen wurden lediglich der Anfang und Ende des Schriftstückes, wo einmal familiäre Angelegenheit der Bertram und zum anderen persönliche finanzielle Verhältnisse des Pfarrers geschildert werden, die ohne –nicht vorhandene- nähere Informationen schwer in einen Zusammenhang gebracht werden können.
Meigelius schreibt: „Ferner folgt sein gottloses Hausleben; solches bringt er zu mit tag- und nächtlichem Turnieren und öffentlicher Hurerei. Seine Konkubine hält er in adeliger Kleidung, sie sitzet neben ihm über Tisch, gehen miteinander spazieren, schlafen in einer Kammer, Fritz schläft in einer absonderlichen eigenen Kammer. Wer Gunst haben und etwas vom Junker Hans-Jörg erlangen will, der hält sich an die Konkubine und spricht sie an, der kommet fort [voran] und er hat Gunst. Er hat dem Gesinde befohlen, seine Konkubine eine Jungfrau zu titulieren, die Untertanen imitieren diesen Namen; dem Schultheißen hat er befohlen, wenn er verreist, soll er ihr unterdessen parieren, bei Tag und Nacht, wie ihm selbst. Er und der Fritz und sie duzen sich untereinander, es heißt immer: du, du. Sie regiert mehr als er, denn sie stiftet ihn an zu tun , wie und was sie begehrt; mir wurde zugetragen, sie werde dafür belohnt, Er sagt dem Fritz, sein Bruder [Hans-Jörg] hätte sie schon zweimal erstochen, wenn er es nicht verhindert hätte, denn sie entspringt ihm fast wöchentlich. Wann er voll und toll ist, so nimmt er Büchsen und Schwerter und trägt alles zum Haus hinaus, schwärmet die ganze Nacht hindurch und schießet das Rohr los; wenn und sooft das geschieht, ist allen Leuten angst und bang. Denn wen er an den einen oder anderen denkt, dann muss er mitten in der Nacht aufstehen, mit ihm zu saufen. Oder er straft ihn. Unlängst musste der Schultheiß und Hans Ziegler vom Bett aufstehen, mit ihm zu saufen. Er hat eine Sonntagnacht davor, der Schultheiß war krank geworden; gegen Tag, wie die Glocke hat anfangen zu läuten am Morgen, haben sich beide Männer von ihm abgewendet und nach Gewohnheit ein Vaterunser beten wollen, da hat er sie scharf angefahren: Was betet ihr jetzt, sollet auf mich sehen!
Neulich schickt er in der Nacht zu dem Glöckner, mit ihm zu saufen, wendet als Ursache vor –denn er erdenket sich alle Zeit etwas zur Ursache, fraget ihn, wie lange sei der Galgen gestanden, er sorge sich , er werde bald umfallen, und dann verliere er sein Recht.
Vor sechs Wochen ungefähr hat Heer Rabenhaupt und sein hiesiger Hofbauer, einen halben Morgen Acker begutachtet, und er der Hofbauer, gab dafür Zeugnis ab; nach Mitternacht schickte er in toller Weis nach dem Schultheißen, Büttel und erwähnten Hofbauern. Dann lässt er diesen in das Gefängnis legen. Darauf redet Herr Rabenhaupt Peter Habsch an, der solle herauf zu Junker Hans-Jörg gehen und fragen, warum er das tue. Peter Habsch hat das aus gewissen Ursachen abgeschlagen, darauf lässt Herr Rabenhaupt mich ansprechen, ich schlage s auch ab, denn der Teufel sage dem Junker solche Sachen zu tun. Herr Rabenhaupt ist willens, ihn bei Kurmainz zu verklagen, ob es aber geschehen, weiß ich nicht. Es fürchtet sich jedermann vor ihm, wenn er voll und toll ist, weil er gleich haut und sticht; wenn er wieder nüchtern ist, sagt er nichts.
Vor vierzehn Tagen schicket er nach einem Zimmermann, es war Abend, es ist ein junger Bürger, der musste die ganze Nacht mit ihn saufen, unterdessen kommt seine Frau in Kindsnöte, und wie es fast das Ansehen hatte, das Mutter und Kind beisammen bleiben wollten, ruft die Kindsgebärerin, ach mein Mann. Da läuft eine Frau hin, rufet den Zimmermann, er soll eilends kommen, seine Frau könnte sonst sterben. Das glaubte der Junker Hans-Jörg nicht und lässt den Büttel holen, er soll diese Frau einsperren, sie aber entgeht. Endlich geht der Zimmermann auch fort zu seiner Frau.
Herr Obrist Löw schickt neulich einen Brief an ihn durch den Anger Hans, er wisse ihm [dem Junker] eine gute Heirat, er solle zu ihm herüberkommen. Obrist Löw hat dem Anger Hans befohlen, er solle seine Köchin abschaffen. Anger Hans sorgte sich, er könnte böses Trinkgeld bekommen, er hat es deswegen nicht ausgerichtet; den Brief hat er ihm gegeben [der Junker] hat sich aber nicht entschlossen.
Als vorigen Winter ein neuer Büttel bestimmt werden solle, ha t es der Reihe nach Rabenhaupts Hofbauer und Beständer getroffen. Der Schultheiß überging diesen und bestimmte den Hertel. Der geht in guter Meinung durch Anstiftung der Gemeinde zum Junker Hans-Jörg, erzählt ihm die Sache, und fragt, ob er das Büttelamt annehmen soll. Dieweil Junker Hans-Jörg voll und toll war spricht er zu ihm: Du Schelm willst Büttel werden? Junge, hol mir mein Schwert, ziehe es heraus, lass es auf dem Tisch liegen, hol mir noch eins. Darauf stelle er einen Stuhl mitten in die Stube, spricht zu dem Hertel: Knie nieder, Deinen Kopf will ich Dir auf den Stuhl legen. Dieses ängstigt den Hertel dermaßen, dass er niederfällt und bittet um der Barmherzigkeit Gottes Willen, er soll ihm das Leben schenken. Man weiß nicht, wie lange diese Phantasie dauerte, auf einmal spricht er zu Hertel: Stehe auf, wenn Du lutherisch werden willst, so brauchst Du nicht Büttel werden. Dabei ist er selbst nicht lutherisch, denn er geht zu keinem Nachtmahl; weil der Hertel gut katholisch ist, konnte er nichts anderes machen, als Büttel zu werden.
An einem Sonntag trinkt ein Zimmergesell im Schultheißen Haus [bei Jörg Knoff] er will aus der Wirtschaft und seines Weges gehen, das steht die Schultheißin und die Konkubin zusammen unter der Tür, da spricht der Zimmergesell: Wie ist es ihr Weiber wollt ihr mich hinauslassen? Nach Aussage der Schultheißin ging die Konkubinin nach Hause und klagt dem Junker Hans-Jörg, ein Zimmergesell habe den Hut vor ihr nicht abgezogen, er befiehlt alsbald, den Zimmergesellen einzusperren, was auch geschehen.
Da ich eben der Konkubinen gedenke, so haben sie [die Gebrüder Bertram] noch ein junges Hurlein; dies hat Junker Hans-Jörg in toller und voller Weis innerhalb von zehn Tagen zweimal hinausgejagt. Beide sind beim sind dann bei Ernst im Haus über Nacht geblieben. Den andern Tag hat sie Junker Fritz jedes Mal wieder abgeholt, und auf dem Rückweg hat er der Konkubin mit der Gerte auf den Hintern geklopft und seine Gaukelei getrieben, dass es eine Schande ist; sie heißet dabei beide Brüder Schelme und Diebe.
Meiner Frau hat die [die Konkubine] bekannt, er habe es mit Blut unterschrieben, er wolle sie zur Kirche führen [=heiraten], aber er habe gelogen wie ein Schelm, wollte Gott dass sie schwanger würde. Weiter sagte sie, die Gegenfelderin wolle sie zur Dienstmagd, und sie sei neulich mit ihrem Pack bis nach Schriesheim gekommen, ist ihr Junker Hans-Jörg nachgeeilt und hat nicht nachgelassen, bis sie wieder mit ihm zurückgegangen. Wann er voll ist, jagt er sie weg, wenn er nüchtern ist sucht er sie und schreit, dass er ihr übles getan hat. Summa er führt ein gottloses ärgerliches Leben, es ist niemand da, der ihm das sagen darf.
Herr Amtmann von Bohn hat geheiratet. Dieses habe ich durch gute Ermahnung zuwege gebracht, dass er von seiner Sünde abgegangen, Gott Lob! Er hält gut Haus, meint es mit der Zent [Birkenau] gut. Junker Hans-Jörg hat viele jura- judicierliche [rechtswidrige] Sachen mit ihm begangen, er hat ihn nicht als Kirchenherr anerkannt und ähnliche Dinge mehr. Wie Herr Siegfried von Bohn unlängst aus Holland gekommen ist und hiervon hörte, dass er den von Bohn besonders in der Kirche mit Schimpf begegnen würde, weil Junker Hans-Jörg dem Glöckner befohlen hat, er solle allezeit das Almosensäcklein zuerst den Bertram, dann der Konkubin und dem Gericht im Chor vorbehalten, und Herr Siegfried von Bohn selbst dabei im Chor gestanden und es auch so geschah hat von Bohn die ganze Zent auf das Rathaus gerufen und ihm angeloben lassen. Dabei hat er öffentlich mitgeteilt, es standen auch die Gebrüder Bertram dabei, er habe weltliche und geistliche Chorgerechtigkeit, die vier hohen Zentartikel ausgenommen: so hat es Junker Hans-Jörg dabei bewenden lassen, wir [der Pfarrer] sind im Weg gestanden, weil ich dachte, es möchte Händel geben, es ist doch gut abgegangen. Nichts desto weniger lässt Junker Hans-Jörg nicht nach zu sprechen, er wäre die höchste Obrigkeit und tut was er will.
Nun komme ich auf mich zu sprechen, wie er es mit mir hält. Er hat mich auf diese Weise angegriffen. Wie er seine Konkubin hier her gebracht hatte, legte er den Degen auf den Tisch und spricht zu mir: Dieser Degen wird einem den Rest geben! Er hat mich gemeint, weil ich aus göttlichem Eifer seine Hurerei strafen und davon abbringen will. Ein Untertan ist vor der Tür gestanden, hat solches gehört und mich gewarnt. Ich habe aber deswegen nichtgelassen, meine Predigten danach zu richten, dass jedermann Obrigkeit und Untertan nicht leichtfertig leben und von der Sünde abstehen soll. Dabei habe ich biblische Exempel an den Königen und Fürsten die gesündigt und Buße getan und wie solche später unter den Heiligen gezählt wurden, gepredigt. Als ich am letzten Sonntag des vorigen Advent den Nutzen der Zukunft [Ankunft] Christi erklärte, und die prophetische Weissagung von dieser Handlung anzeigte, er aber die ganze Nacht bis zur Kirchzeit gesoffen, lief er in voller Weise in die Kirche und trat grässlich auf, so dass die Zentschaft erschrocken, er fing gleich an zu schlafen und ist am Ende der Predigt aufgewacht, und hörte noch das Beispiel Davids, wie er gesündigt, Buße getan und sich der Zukunft gefreuet. Er verstand die Sache gar unrecht, schickte nach der Kirchzeit nach mir, , er sagte zu mir; Höret Pfarrer – hat mich nicht Gevatter genannt, ich aber war der Meinung ihn hierdurch zu gewinnen, warum zieht ihr so viele alte Exempel heran und richtet sie auf mich? Ich sah wohl, dass er von Teufel besessen war und sagte: Wohledler Herr Gevatter, ich rede dem Evangelium gemäß, wenn Sie die Exempel auf sich beziehen, kann ich nichts tun. Er spricht, Ihr wisst, dass ihr von uns Bertram eingesetzt werdet, wir haben die Gewalt in der Kirche, Euch anzunehmen und abzuschaffen, damit verbiete ich Euch , dass Ihr nie mehr aus den Alten Testament predigt, Ihr sollt auch die Sünden nicht so öffentlich und hart strafen, sondern sanft, sanft sollt Ihr predigen. Ihr sollt auch nichts vom Maß der Obrigkeit noch von dem der Untertanen predigen, denn ich weiß wohl, was ich tun soll; Ihr macht hiermit eine Rebellion, das sollt Ihr wissen. Ich hätte zwar weitläufig darauf antworten können , ich habe aber keine Hilfe um mich gesehen, denn er hatte schon all seine Leute aus dem Haus gejagt, trotzdem habe ich mich mit Gott gestärkt und gesagt: Wohledler Herr Gevatter, ich bitte um Verzeihung , der Kaiser hat nicht die Macht, mir das zu befehlen. Denn dieser Befehl ist des Teufels Befehl und geht wider Gott und mein Gewissen. Diese Worte habe ich zwar nicht wörtlich geredet, jedoch habe ich sie nachher an den Amtmann geschrieben. Er wurde darüber verbittert und sprach: Ich begehre Euch nicht mehr zum Pfarrer, Ihr sollt Euch nach einem anderen Dienst umsehen! Darüber kam meine Frau, denn die Zeit wurde ihr zu lange, und wendet vor, ich solle geschwind heimgehen, es wollen Leute zu mir, so bin ich alsbald fortgegangen. Diesen unbilligen gottlosen Befehl habe ich noch nicht respektiert, sondern bin wie bisher in meinem Amt fortgefahren, jedoch habe ich den Herrn Amtmann hiervon berichtet. Soweit die Mitteilung des Pfarrers Meigelius, der übrigens trotz seiner damaligen Befürchtungen bis 1670 im Amt zu Birkenau tätig bleiben konnte (+ 28. Januar 1679). Hans Jörg Bertram , dessen Treiben uns an den weinseligen Rodensteiner von Viktor von Scheffels Lieder erinnern, war gewiss suchtkrank, ein Alkoholiker, dem man aber wegen seiner gesellschaftlichen Stellung nicht Einhalt gebieten konnte.
Ein Verhörprotokoll, ebenfalls aus dem Jahre 1658, rundet das Bild ab: „Hans Ziegler zeigt an, dass am 22./12. März (=gregorianisches/julianisches Datum] Junker Hansjörg geichfalls des Abends und sechs sei ins Dorf ganz betrunken geritten kommen, erstlich an des Kleh Hansen Haus angeklopft, das Pferd hineingezogen, alles gesoffen, was darin gewesen, dann Hans Zieglers Haus angeklopft und gefragt, ob der Schultheiß zu Hause sei, befohlen, dass er Ziegler hineingehen und den Schultheiß herausrufen soll, aber er habe nicht sagen wollen, wer da sei; als er an die Türe wollte, sei ihm der Junker auf dem Fuß gefolgt, habe ihn der Junker zusammen mit dem Schultheißen zum Büttel Peter Schab mitgenommen, von da mit ihm in das Junkers Haus gehen müssen, da habe er frische Fackeln holen lassen. Demnach habe er gesagt sie müssen auf das Rathaus gehen, da wollte er einen Brief vorlesen. Hat darauf gesagt, sie sollten vorangehen und dem Knecht befohlen , wann einer von ihnen ausreißen wollte, sollte er ich niederschießen, also sind wir mit ihm aufs Rathaus gegangen, dort habe er die Schlüssel begehrt, wie sie ihm solche gegeben haben, habe er angefangen, dass Abraham Wolfgang von Bohn zu Unrecht das Lehen ergriffenhabe, er habe nicht die Macht, sondern nur was den Landschadischen Teil betreffe, hätte er nichts dagegen, weil aber das geschehen [Verleihung von ganz Birkenau an die von Bohn], so sollten sie ihm auch angeloben und parieren … danach sei der Junker ins Schultheißen Haus und Stube geritten , das Pferd in die Stube geführt, die ganze Nacht gegessen , getrunken bis des Tags Früh …“ Hans-Jörg Bertram versuchte demnach den Schultheiß mit Waffengewalt auf seine Seite zu ziehen und auf sich schwören zu lassen. Dies war auch seinerzeit eine Ungeheuerlichkeit. Über den Fortgang finden sich keine weiteren Nachrichten. Bekannt ist aber, dass die von Bohn erst 1668 in der Lage waren, die Rechte der Bertram von Hersbach abzulösen. Es ist deshalb anzunehmen, dass sie Eskapaden bis zu diesem Zeitpunkt andauerten.
Autor: Gemeindearchivar, Günter Körner
(6.5.2022)