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Das alte katholische Pfarrhaus in Birkenau
Obgleich das jetzige katholische Pfarrhaus in Birkenau erst im Jahre 1865 erbaut wurde, ist in der heutigen Generation jede Erinnerung an dessen Vorgänger verschwunden, wie die zahlreichen an uns gerichteten diesbezüglichen Anfragen beweisen. Daß das alte Gebäude so rasch in Vergessenheit geraten konnte, ist leicht erklärlich, denn einmal ist es seit vielen Jahren nicht mehr vorhanden, außerdem wurden an der dortigen Stelle und der nächsten Umgebung so einschneidende Veränderungen vorgenommen, daß uns heute dort ein gänzlich anderes Bild entgegentritt. Dieser Umstand bietet uns Veranlassung, hier der früheren Verhältnisse zu gedenken.
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts standen unterhalb des 1771 erbauten von Wamboltschen Schlosses auf der gleichen Straßenseite nur noch zwei Gebäude, das der Familie Reinig gehörende Gasthaus "Zum Birkenauer Tal" und daneben das alte katholische Pfarrhaus. Letzteres hatte also seinen Standort an derselben Stelle, wo sich später an das Gutshaus ‑ es war inzwischen in andere Hände übergegangen ‑ angebaute Saal befand. Es diente seit Errichtung einer katholischen Schule in Birkenau im Jahr 1760 oder bald darauf als Lehrerwohnung und enthielt wohl auch den Schulsaal (Anmerkung Körner: falsch ! ab 1791 durch die Familie Wambolt als Schulhaus erbaut). Mit dem Einzug des ersten katholischen Pfarrers ‑ nach Einführung der Reformation in Birkenau ‑ im Jahre 1802 wurde das Schulhaus als Pfarrhaus bezeichnet, da ein Teil der Räume dem Pfarrer als Wohnung zur Verfügung gestellt wurden; der Lehrer blieb ebenfalls darin wohnen. ‑ Es war ein kleines Gebäude und so an den Berg gebaut, daß seine Hinterseite bis zum 2. Stock in der Erde steckte. Die vor ihm hin ziehende Ortsstraße wurde in nächster Nähe von dem Liebersbach überquert, über den dort nur ein Steg für Fußgänger führte, währen die Fuhrwerke den Bach durchfahren mußten. Im Jahre 1812 richtete der damalige katholische Pfarrer Bauer an die Gemeinde eine Eingabe mit der Bitte, "den Steg, der über den Liebersbach an sein Haus führe und sehr schadhaft sei, neu herzurichten", und gab weiterhin die Anregung, "den Steg gleichzeitig um einige Schuh breiter zu machen, damit man auch mit dem Wagen darüber fahren könne." Bei der Besprechung der Angelegenheit auf dem Rathaus ging es heiß her, da die meisten "Deputierten"", die Ansicht vertraten, "die Gemeinde könne solchen Brückenbau wegen der jetzigen starken Ausgaben nicht vornehmen, auch sei zu befürchten, daß dann der Michael Bernhard auch Ansuchung wegen einer Brücke machen werde." Bei der Debatte "geriet besonders der Deputierte Helfrich in großen Eifer" und warf den übrigen vor, "sie seine nur deshalb dagegen, weil es der katholische Pfarrer sei, wäre es der lutherische, so hätte er schon lange eine Brücke". (Nach den Akten des Gemeindearchivs). Daraufhin wandte sich der Pfarrer an das hiesige "Großherzogliche Patrimonialamt", das der Gemeinde unter dem 17. Februar 1814 den Auftrag erteilte, die Brücke zu bauen. Da jedoch die Arbeit nach 6 Wochen noch nicht in Angriff genommen war, richtete das Patrimonialamt an den Schultheißen Hofmann ein Schreiben, worin es diesen "an die Befolgung der Auflage vom 17. Februar erinnerte" und ihm aufgab, "innerhalb 3 Tagen die befohlenen Akkorde bei 10 Rthlr. Straf vorzulegen, mit dem weiteren bemerken, daß im Fall längeren Verzugs nicht allein die angedrohte Straf durch Militär beigetrieben, sondern auch eine militärische Exekution auf so lange ihm eingelegt werde, bis er die Auflage vom 17. Februar begüngt habe." Zugleich ging an den "Großherzog. Hess Forstinspektor Strauch in Heppenheim die Mitteilung., " die Gemeinde Birkenau sei von Großherzog. Regierung in Darmstadt angewiesen, wegen dem hiesigen kath. Pfarr‑ und Schulhause über die Liebersbach eine neue Brücke zu erbauen, doch hätten die bisherigen Militär‑Durchmärsche und Einquartierungen diese Sache verschoben, jetzt aber werde gebeten, sobald wie möglich zirka 3 Stämme Eichen, die hierzu auf Angabe des hiesigen Zimmermanns erforderlich seien, in dem Walde anzuweisen."
Wenn auch die Akten damit schließen, so steht nach dem vorigen fest, daß die fragliche Brücke in der nächsten Zeit errichtet wurde und zwar in genügender Breite für den Fuhrwerksverkehr, da für den Steg 8 Eichenstämme notwendig gewesen waren. Mit der Erbauung der neuen Weschnitztalstraße im Jahre 1843 wurde sie überflüssig, denn der Bach wurde in einem Kanal unter der Straße hindurchgeleitet.
Das alte Pfarrhaus wird 1839 vom Bauamt Heppenheim als "in sehr schlechtem Zustand befindlich" geschildert, und im Jahr 1850 bezeichnet es der damalige Pfarrer Bertsch als "dem Einsturz nahe, das Gebälk sei total schwach und teilweise, nemantlich gegen den Berg, angefault, der Holzschuppen schon früher eingestürzt, ebenso kürzlich seine Küche und ein Teil seines Schlafzimmer". Der Neubau eines Pfarrhauses erwies sich somit als dringend notwendig, doch kam es erst 1864 und 1865 zur Ausführung. Das alte Haus erwarb Freiherr v. Wambolt um 800 fl. und kam zum Abbruch, während man ein dazwischen nebenan entstandenes ankaufte und darin die Schule und den Lehrer unterbrachte. Dieses diente als katholisches Schulhaus bis zur Inbetriebnahme des neuen Gemeindeschulhauses am 7.Januar 1907.
Autor: Rektor J. Pfeifer
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Eine Kirche aus Streit geboren
Die katholische Kirche in Birkenau feierte 2019 Jubiläum. Sie wurde am 23. Mai 1819, also vor 200 Jahren, geweiht. Doch bis dahin war es ein langer und mühevoller Weg.
Die alte Birkenauer Kirche, die an Stelle der heutigen evangelischen Kirche stand, wurde als Simultaneum genutzt. Dies und andere strittige Punkte zwischen evangelischen und katholischen Einwohnern waren Anlässe zu 150 Jahren andauerndem Streit. Birkenau wurde zwischen 1520 und 1530 lutherisch, da einer der Ortsherren, Hans Landschad von Steinach, die Reformation einführte. Einen ersten katholischen Gottesdienst nach der Reformation führte 1665 Ortsherr von Bohn für seine katholische Ehefrau ein. Wichtig zu wissen ist, dass die Birkenauer Katholiken bis 1751 vom Abtsteinacher Pfarrer, danach bis zur Gründung einer eigenen Birkenauer Pfarrei 1802 vom Mörlenbacher Pfarrer betreut wurden.
Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen. Im Jahre 1678 wallfahrten am Pfingstmontag die Abtsteinacher Katholiken zum Kreuzberg, einer Anhöhe südöstlich von Laudenbach. Nach der Rückkunft von dort wurde in der Birkenauer Kirche ein Gottesdienst gehalten, anschließend feierte man in Birkenauer Wirtschaften weiter. Der Knecht des Abtsteinacher Pfarrers namens Jost provozierte derweil die evangelische Einwohnerschaft, die vorher streng angewiesen worden war, sich darauf nicht einzulassen. Er bot evangelischen Passanten, denen er begegnete, Prügel an und äußerte sich über den evangelischen Pfarrer, „er soll auf freier Straße nicht mehr sicher sein vor mir, ich will ihn erschießen oder erschlagen, ich will ihm den Kopf umdrehen, wie einer Rübe, es soll nicht lange währen, so wollen wir euch Hunde ganz ausrotten“.
Von 1748 bis 1756 erlebte Birkenau die schlimmsten religiösen Unruhen. Der Abtsteinacher Pfarrer beabsichtigte, einen Altar zu erbauen, obwohl für die Katholiken die Sakristei zur Abhaltung des Gottesdienstes vorgesehen war. Der katholische Gottesdienst sollte im Winter um 8 Uhr enden, im Sommer um 7 Uhr. Doch kam es vor, dass der Gottesdienst sich im Winter bis 10 Uhr hinzog, und die evangelischen Gläubigen bei Minustemperaturen bibbernd vor der Kirche standen.
Religiöse Erziehung
Ein weiterer Stein des Anstoßes war die religiöse Erziehung von Kindern aus „vermischten Ehen“, also Partnern unterschiedlichen Glaubens. Söhne sollten nach dem Glauben des Vaters, Mädchen nach dem der Mutter erzogen werden. Anton Hartwig und Leonhard Schab, beide wohlhabende Mühlenbesitzer, waren mit katholischen Frauen verheiratet und hatten auch Töchter, die aber evangelisch erzogen wurden. Um diese Töchter katholisch zu erziehen, setzte man beiden Vätern 20 Reichstaler als Strafe fest.
Als dies nicht fruchtete, quartierte man in die Haushalte erst vier Soldaten, späterhin sechs Soldaten wochenlang ein, die mit Kost und Logis zu versorgen waren. Da sich beide Väter weigerten zu zahlen, pfändeten die Soldaten kurzerhand Pferde und andere Wertgegenstände und versteigerten diese in Heppenheim. Dies alles führte zu wütenden Reaktionen, die sich verheerend auf das örtliche Leben auswirkten. Die evangelischen Einwohner beschwerten sich beim Corpus Evangelicorum in Regensburg, einer Behörde, die zwar tadelte und kritisierte, aber keine Verhaltensmaßregeln erlassen konnte. Bereits 1749 hatte man einen Religionsvergleich von herrschaftlicher Seite erlassen, der die Gottesdienstzeiten und auch die religiöse Erziehung von Kindern regelte. Doch fühlten sich die beiden Pfarrer nicht daran gebunden, da ihnen nur ihre vorgesetzte Stelle „etwas zu befehlen“ hätte.
Das doppelte Trauergeläut
Am 18. August 1765 war Kaiser Franz I. in Innsbruck verstorben. Es wurde das übliche vierwöchige Trauergeläut angeordnet, was in Birkenau täglich von 11 bis 12 Uhr stattfand. Der Mörlenbacher Pfarrer Fuhrer ließ ein „katholischer Trauergeläut“ von 5 bis 6 Uhr durchführen. So läuteten die Glocken zwei Stunden täglich, was nicht nur eine erhebliche Lärmbelästigung bedeutete, sondern auch Gebühren kostete. Einige beherzte evangelische Birkenauer gingen während des „katholischen Trauergeläuts“ in die Kirche und versetzten den Jungs, die an den Glockenseilen hingen, einige Backpfeifen, damit war das doppelte Trauergeläut beendet.
1791 hielten die Katholiken am ersten Pfingstfeiertag einen zusätzlichen Gottesdienst und genossen „diesen Triumph“ sichtlich. Als Reaktion besetzten die evangelischen Einwohner die Kirche. Der Wamboltische Amtmann Ignatz Bouthelier drohte, man würde 300 Dragoner schicken, um die Rebellion zu beenden. Katholiken zerschnitt man danach zum Bleichen ausgelegte Wäsche auf der Tuchbleiche. 1793 schließlich kam ein Religionsvergleich zustande, in dem das Haus Wambolt den Bau einer katholischen Kirche und eines Pfarrhauses auf seine Kosten versprach. Doch sollte es noch lange dauern, bis es dazu kam.
Autor: Gemeindearchivar Günter Körner
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Geschichtliche Entwicklung des Kirchspiels Birkenau
Es darf als feststehende Tatsache angesehen werden, daß die Gründung Birkenaus in die 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts fällt und somit unser Ort als der älteste des Weschnitztales gelten muß. Hervorgegangen ist er aus der cella Birkenowa, die Gaugraf Werinher innehatte und 846 dem Kloster Lorsch schenkte. Eine cella bedeutet im Sinne des Lorscher Kodex, sowie der damaligen Zeit überhaupt, eine kleine klösterliche Niederlassung, auch wohl eine Einsiedelei. Die Gründung der cella Birkenowa diente dem Zweck, das bis dahin unbesiedelte, in seinen Niederungen versumpfte, im übrigen mit Wald bedeckte Tal der Wisgoz (Weschnitz) zu kolonisieren, womit die Lorscher Benediktinermönche den Anfang an unteren Ende machten. Wenn Birkenau schon 877 als Villa (= Dorf) bezeichnet wird, muß dies als Beweis dafür angesehen werden, daß die Bemühungen der Mönche, unsere Gegend urbar zu machen und Siedler heranzuziehen, erfolgreich war.
Daß die Pastorierung der jungen Gründung vonseiten der hier ansässigen Lorscher Mönche geschehen sein wird, darf wohl angenommen werden, jedoch als Kirche, deren Sprengel unser Ort zugeteilt war, kommt aller Wahrscheinlichkeit nach nur die zu St. Peter in Heppenheim in Betracht, die urkundlich schon im 3. Jahr nach der Regierung König Pipins" also 755 erwähnt wird, während Weinheim zu dieser Zeit sicherlich noch keine Kirche besaß. Die erste Urkunde, die von einer Kirche in Weinheim spricht, stammt aus dem Jahre 1159, doch wird Weinheim, d. h. die Altstadt, gewiß schon viel früher ein Gotteshaus sein eigen genannt haben. Erwähnt muß werden, daß es sich bei der soeben genannten Kirche nicht um die uralte Kapelle Maria Campis, der Vorläuferin der katholischen Kirche in Weinheim, handelt.
Die Entstehung einer Kirche in Weinheim, das sich ja ebenfalls im Besitz des Klosters Lorsch befand, hatte für Birkenau gewiß die Bedeutung, daß es von Heppenheim losgelöst und hierher eingepfarrt wurde. Mit Bestimmtheit wissen wir dies allerdings erst von der Zeit um 1300 aus zwei Aufzeichnungen über die zum Landkapitel Weinheim gehörigen Pfarreien und Filialorte, in denen beidesmal auch Birkenau erscheint und zwar als Filialort, da es zu dieser Zeit noch keine eigene Kirche besaß. Unterdessen hatte das Kloster Lorsch seine Selbständigkeit verloren und war ‑1232‑ an das Churfürstentum Mainz gefallen, doch darf angenommen werden, daß die kirchlichen Verhältnisse davon unberührt blieben, die Einpfarrung unseres Ortes und seiner Umgebung nach Weinheim weiterhin fortbestanden haben wird.
Das Jahr 1365 brachte für Birkenau in kirchlicher Hinsicht eine einschneidende Änderung. Aus den Wormser Synodalregistern wissen wir, daß Bischof Theoderich in dem genannten Jahr die von den "Gebrüdern Wipert, Ganod und Konrad Ritter von Schwenden zu Weinheim gestiftete Frühmesse in Birkenau" bestätigte, und wir werden diesen Zeitpunkt als das Gründungsjahr unserer Pfarrei betrachten dürfen. Die Ritter von Schwend müssen damals mit Birkenau belehnt gewesen sein, da anders die Stiftung eines Gottesdienstes hier nicht denkbar wäre. Welche Orte jedoch zu diesem Lehen, und somit auch zum Kirchspiel gehörten, ist unbekannt. Jedenfalls waren es damals schon dieselben, die uns eine Kopielabuch, die Lehen der Bergstraße usw. betreffend, vom Jahre 1420 usw. nennt, worin es heißt: "Bernhard Schwend empfing .... seinen Teil am Dorf Birkenau mit allen seinen Zugehörungen. Item seinen Teil an Kallstadt und Liebersbach mit Zugehörungen usw." Und ein etwas späterer Eintrag in dasselbe Kopialbuch teilt mit: "Eberhard Schwend empfing ...... einen Teil des Dorfes Birkenau, das ist mit Namen, so hat man das Dorf in 2 Teil geteilt, an dem einen halben Teil das halbe Teil und an dem andern halben Teil das dritte Teil, es sei mit Wasser, Weide, einen Teil am großen Zehnten; item die Pastorei und Frühmeß. Item das halbe Dorf Kallstadt. Item einen Teil an dem Dorf Liebersbach, einen dritten Teil an dem Gericht und an den Zehnten u.s.w." Den übrigen und damit größeren Teil trugen die Landschaden von Steinach zu Lehen, sie waren demnach die Hauptlehensträger und hatten somit den Einfluß auf die inneren Verhältnisse des Lehens. Auf Grund vorstehender Lehensbeschreibung scheint der Schluß gerechtfertigt zu sein, daß als die Stammorte unseres Kirchspiels Birkenau, Kallstadt und Nieder‑Liebersbach betrachtet werden müssen, was jedoch die Zugehörigkeit weiterer benachbarter Orte nicht auschließen braucht: jedenfalls kam, wenn es nicht von Anfang an der Fall gewesen sein sollte, Rohrbach bald hinzu, da es noch in demselben Jahrhundert als Bestandteil der Cent Birkenau auftritt. Ob auch Hornbach, Reisen, Schimbach, Mumbach und Geisenbach zu dieser Zeit hierher eingepfarrt waren, läßt sich nicht feststellen. Allem Anscheine nach war dies nicht der Fall, denn diese Orte waren damals gewiß schon pfälzisch, gehörten also einem anderen Territorium an als das mainzische Birkenau, und so ist es wahrscheinlich, daß sie, weil zur dortigen Cent gehörig, der Kirche zu Waldmichelbach zugeteilt waren. Wenn dieser Zustand bestanden haben sollte, dauerte er gewiß nur bis zum Jahre 1463. In diesem Jahr verpfändete das Erzstift Mainz das Oberamt Starkenburg um 100 000 Gulden an die Pfalz, und somit erfolgte gewiß auch die Einpfarrung der seither pfälzischen Orte unserer näheren Umgebung nach Birkenau, das durch die Verpfändung ebenfalls pfälzisch geworden war.
Während der Dauer der Pfandschaft erlangen die Hammerschläge Luthers in Wittenberg, und ihr Hallen erscholl über ganz Deutschland und rüttelte die religiös eingestellten Herzen gewaltig auf. Unser damaliger Ortsherr, Hans Landschad von Steinach, nahm schon i. J. 1522 die Lehre Luthers an, und zwei Jahre später wurde in Neckarsteinach von dem Geistlichen Jakob Otther das Evangelium gepredigt. Es ist natürlich, daß das Vorbild des Ortsherrn auf die Untertanen nacheifernde Wirkung ausübte, doch besitzen wir von unserm Ort keinerlei Nachrichten in dieser Hinsicht. In seinem Reformationsbuch gibt Dr. Dr. Diehl, unser seitheriger hochverehrter Prälat, an, die Reformation sei in Birkenau wohl schon vor 1548 zur Einführung gelangt. War dies der Fall, dann würden wir den um 1554 hier amtierenden Pfarrer Leonhard Unselt als ersten evangelischen Geistlichen in Birkenau ansprechen. Von seinem Nachfolger Johannes Groh, der um 1580 hier als Pfarrer tätig war, wissen wir bestimmt, daß er evangelisch war. Er war nämlich verheiratet, was aus einem Testament seiner Witwe, eingetragen in einem Birkenauer Gerichtsprotokollbuch unter der Rubrik "Verzeichnis etlicher in der Gemein Birkenau Personen, die nach Centgebrauch bei unverletzter Vernunft ihren nächsten Erben vor Gericht ihre Nahrung aufgeben, unter Vermeldung wann es geschehen, hervorgeht. Der Eintrag lautet: "Ebenmaßen tut Sabina, H. Johann Grohen, weilands Pfarrherrn und Gemeinsmannes allhier hinterlassenen Wittib kund und zu wissen, daß ihr ganz Vermögen dermaleins ihrer Kinder sein und bleiben soll. Geschehen den 2. September 1601." ‑ Unterdessen hatte auch die Einführung der Reformation in der Pfalz und dem Oberamt Starkenburg stattgefunden, jedoch nicht die Lehre Luthers, sondern die des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli, die sogen. reformierte. Es könnten sich nun Zweifel erheben, welches der beiden ev. Bekentnisse in Birkenau zur Herrschaft kam. Diese Frage kann eindeutig beantwortet werden, daß es nur das Luthertum gewesen sein konnte. Denn die einflußreichen Ortsherren waren die Landschad von Steinach und diese wieder begeisterte Anhänger Luthers, und die Cent Birkenau zählte damals schon zu den sogen. reichsritterschaftlichen Centen, deren Lehensträger mit weit größeren Rechten und Freiheiten ausgestattet waren, sodaß solche Centen eine gewisse Selbständigkeit besaßen und kleine Territorien innerhalb des Landes, dem sie zugehörten, bildeten und diese Rechte bezogen sich auch auf die religiösen Angelegenheiten. Daß unsere Kirche lutherisch war, ist eindeutig aus der Tatsache ersichtlich, daß nach der i. J. 1583 erfolgten Vertreibung der lutherischen Geistlichen aus der Pfalz ‑ es war dort vorübergehend die Lehre Luthers eingeführt gewesen ‑ "allsonntäglich die Lutheraner aus Mannheim, Heidelberg, Weinheim und zahlreichen anderen Orten nach Birkenau zur Kirche kamen, sodaß die Menge des Volkes oft so groß war, daß sie nicht alle auf den Kirchhof, viel weniger in die Kirche kommen konnten und oftmals mehr als 1000 Personen zum hl. Abendmal gingen", wie unsere Kirchenchronik berichtet. Bemerkt mag im Anschluß hieran werden, daß im Jahre 1587 "Auf Weihnachten zu des Herrn Abendmahl 11 Maß Wein (1 Maß = 2 Liter) verbraucht worden sein", was auf mindestens 900 Abendmahlsgäste schließen läßt. Die der Ortsherrschaft zustehende Freiheit in religiösen Dingen zeigt sich noch deutlicher, als im Jahre 1623 Churmainz das Oberamt Starkenburg wieder an sich zog, die Reformation ausrotten und den katholischen Glauben wieder einzuführen suchte, blieb die Cent Birkenau davon unbehelligt und behielt ihren seitherigen Glauben ungeschmälert bei. Solange die Landschad von Steinach die Lehensherrschaft hier innehatten, war an eine Änderung in dieser Hinsicht nicht zu denken, denn dieses Geschlecht war, wie schon bemerkt, der Augsburger Konfession treu ergeben. Der letzte Landschad starb im Jahre 1655 (richtig 1653), und das Lehen ging an die Freiherrn von Bohn (Bonn) zu Weinheim über. Da diese jedoch ebenfalls lutherisch waren, wie die Weinheimer Kirchenbücher der damaligen Zeit ausweisen, behielt unsere Kirche auch weiterhin das Luthertum bei. Einen weiteren Beweis dafür bildet der Umstand, daß der erste Pfarrer der lutherischen Kirche in Weinheim, Johannes Lufft, der 1686 von Finstigen an der Saar nach Weinheim gekommen war, i. Jahre 1690 die Birkenauer Pfarrstelle übernahm. ‑
Bestimmte Anhaltspunkte über die Zusammensetzung unserer Pfarrei besitzen wir erst seit dem Jahr 1636 durch das "Neue Birkenauer Kirchenbuch", das der damalige Pfarrer Abraham Meigelius anlegte und worin "im Namen der heiligen und hochgelobten Dreieinigkeit der Anfang gemacht wurde, die jungen Kindlein darein zu schreiben." Darin finden sich neben Einträgen aus Birkenau auch solche von Hornbach, Kallstadt, Rohrbach, Nieder‑Liebersbach und Balzenbach, sodaß sich unser Kirchenspiel im 30jährigen Krieg aus diesen Orten zusammensetzte. Durch den sogen. Bergsträßer Rezeß vom Jahre 1650, der die Rückgliederung der Oberamtes Starkenburg in Namen des Westfälischen Friedens regelt, blieb unser Kirchspiel unbeeinflußt, denn wir finden in dem Kirchenbuch von 1636 und den nachfolgenden ‑ das nächste wurde 1690 begonnen ‑ noch die gleichen Orte wie bei der Anlage des ersteren.
Ober‑Mumbach und Geisenbach gehörten zu dieser Zeit noch nicht zum Kirchspiel Birkenau, sondern nach Waldmichelbach. Eine Nachricht aus dem Jahre 1671 besagt dies und gibt weiterhin an, daß in diesem Jahre "Geißen‑ und Mumbach 10 Hausgesäß, 16 Kinder, 24 (erwachsene ) Personen, alle lutherisch, auch einige reformiert" besessen habe. ‑ Wohin waren aber Reisen und Mumbach eingepfarrt ? Da mir keine diesbzüglichen Urkunden bekannt sind, können in dieser Hinsicht, wenigstens für die frühere Zeit, nur Vermutungen ausgesprochen werden. Zu Birkenau gehörten die beiden Orte nach 1623 gewiß nicht, denn sie lagen nicht im Oberamt Starkenburg und blieben deshalb von der Gegenreformation unberührt; auch weisen unsere Kirchenbücher von 1636 an ‑ ältere sind keine vorhanden ‑ keine Einträge von dort auf. Eine Zusammenstellung der zu den Kirchen zu Lindenfels‑Schlierbach und Waldmichelbach mit den Filialkirchen zu Affolterbach und Hammelbach gehörigen Orte vom Jahre 1671 nennt die beiden Orte ebenfalls nicht. Mörlenbach kommt, weil nach 1623 wieder mainzisch, und darum katholisch nicht in Frage, und auch Rimbach scheint wie aus späteren Mitteilungen hervorgeht, ausgeschlossen zu sein. Es bleibt somit nur noch Weinheim übrig. Wenn die kirchliche Zugehörigkeit zu Weinheim für die frühere Zeit auch urkundlich nicht nachgewiesen werden kann, so darf sie doch stark vermutet werden, für die spätere Zeit trifft es bestimmt zu. Der Grund für die Einpfarrung nach Weinheim kann nur darin zu suchen sein, daß es pfälzisch war, denn die territoriale Zugehörigkeit eines Ortes erstreckte sich nicht nur auf die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch auf die Religion und somit auch auf die Kirche. Die für Reisen und Schimbach zuständige Kirche wäre, da die beiden Orte zur Cent Waldmichelbach gehörten, die dortige Kirche gewesen, doch die weite Entfernung nach dort rechtfertigt die Einpfarrung nach dem nähergelegenen ebenfalls pfälzischen Weinheim. Birkenau konnte, weil mainzisch, nicht in Frage kommen. Seit wann jedoch die beiden Orte zur Weinheimer Kirche gehörten, ist uns nicht bekannt. In einer Eingabe der Bewohner von Reisen und Schimbach vom Jahre 1818 (siehe unten !) wird angeführt, "daß die Sterblichkeit ihrer Urväter dieser Kirche (nämlich der zu Weinheim) angehört habe ( d.h. daß sie dort beerdigt worden seien) und sie die urdenkliche Religionsübung zu Weinheim ausgeübt" hätten, also vor urdenklichen Zeiten dort zur Kirche gegangen wären. Ein Schreiben des churpfälzer Konsistoriums zu Heidelberg vom 5. September 1772 erklärt, daß die Bewohner von Reisen "Filialisten von Weinheim seien und solche wie bisher bei ihren Gerechtsamen zur Mutterkirche zu Weinheim verbleiben und manteniert werden sollen." Die Zugehörigkeit der beiden Orte zu Weinheim steht somit für die damalige Zeit fest.
Da wohl niemand in Reisen und Schimbach etwas weiß von einer Kirche, in der ihre Altvorderen getauft und konfirmiert wurden, wo sie den Gottesdienst besuchten, und zum Tisch des Herrn gingen, sowie von dem Friedhof, auf dem sie begraben lagen, dürften einige Angaben darüber am Platze sein. Die hier in Frage stehende lutherische Kirche stand auf dem Platz der heutigen Dürre‑Schule am Rodensteinbrunnen, und das Schulhaus ist zum Teil auf ihren Fundamenten errichtet. Am 29. August 1686 wurde der Grundstein gelegt unter dem ersten lutherischen Pfarrer in Weinheim Johannes Lufft, und schon auf Palmsonntag des nächsten Jahres erfolgte die Einweihung, wobei sie den Namen "Johanniskirche" erhielt. Sie hatte für 486 Personen Sitzplätze, war demnach von geringem Umfang, soll einen Dachreiter gehabt haben, im übrigen aber schmucklos und ärmlich gewesen sein. In der Zeit von 1686 bis 1722 gehörten in diese Kirche die Lutheraner von gegen 50 Orten und Höfen, und wenn als der am weitesten entfernt gelegene Ort Wahlen genannt wird, zählten Reisen und Schimbach gewiß ebenfalls dazu. Man rechnete damals das Kirchspiel mit 1652 Seelen.Hatte der Pfarrer auswärts Dienst, so mußte man ihm ein Pferd schicken oder 1 Gulden Weggebühr bezahlen. Der Friedhof lag nach der damaligen Sitte um die Kirche herum. Nach der Unterung (=Vereinigung) der beiden evangelischen Bekenntnisse in Baden im Jahre 1821 wurde die lutherische Kirche überflüssig und kam in der Folge zum Abbruch. Es mögen außerdem die Bewohner unserer beiden Orte auch die an ihrer Kirche in Weinheim tätigen Pfarrer, als Seelsorger ihrer Vorfahren interessieren: Johannes Lufft von 1686‑90; Johann Hermann Ludwig von 1690‑96; Konrad Dietrich List von 1696‑1700 (Diese Angabe stimmt mit dem Birkenauer Kirchenbuch vom Jahre 1690 ff. nicht überein; Pfarrer List verwaltete von 1700 an die hiesige Pfarrstelle einige Jahre, wird aber als "lutherischer Pfarrer von Weinheim" bezeichnet); Georg Ludwig Schlosser von 1700‑14; Franz Wilhelm Stenger von 1714‑33; Johann Lorentz Weiß 1733 bis 55, Johann Philipp Rutz von 1755‑64; August Ernst Hermann von 1764‑97; Johann Philipp Kern von 1797‑1818; Wilhelm Heinrich Elias Schwarz von 1818 bis 28. Oktober 1821, dem Tag der Einführung der Union, doch interessiert und letztere nicht mehr (siehe unten !).
Nun wieder zurück zu Reisen und Schimbach. Das Jahr 1803 brachte für diese Orte einschneidende kirchliche, durch die politischen Verhältnisse bedingte Veränderungen. Da in diesem Jahr das Kurfürstentum Pfalz aufgelöst und aufgeteilt wurde, wobei Weinheim an Baden fiel, wurden auch die nun hessisch gewordenen lutherischen Gemeinden von Weinheim abgetrennt, also auch Reisen und Schimbach. Wohl besuchten die Bewohner dieser beiden Orte den Gottesdienst in ihrer seitherigen Kirche noch weiter, doch waren sie jetzt keine Parochianen mehr, sondern nur Tolerante, d.h. Geduldete, ein Zustand, der für die Dauer nicht tragbar bleiben konnte. Die hessische Kirchenregierung bemühte sich daraufhin ihrerseits, für die Lutheraner der Centen Waldmichelbach und Hammelbach eine Regelung der Kirchenfrage dahingehend zu treffen, daß sie 1804 beabsichtigte, für die Genannten eine eigene Kirche in Waldmichelbach zu errichten. Daraufhin richteten die Lutheraner von Reisen und Schimbach, und in deren Namen Michael Eberle und Georg Fritz eine Eingabe an das Kirchenamt, sie und zwar "wegen der weiten Entfernung von 1 1/2 ‑ 2 Stunden und der im Winter nicht zu passierenden Wege " nicht dieser Pfarrei " zuzuschlagen, sondern die Kirche in ihrer Gegend zu errichten oder ihnen zu erlauben, sich fernerhin nach Weinheim halten zu dürfen oder nach Birkenau eingepfarrt zu werden." Der lutherische Pfarrer von Weinheim erbot sich ‑ wohl auf Ansuchen der beiden in Frage stehenden Gemeinden ‑ "die nächsten Orte des Odenwaldes, nämlich Reisen Schimbach, Mumbach und die Höfe von Geisenbach pfarramtlich fortversehen zu wollen, bis die lutherische Pfarrei der Centen Waldmichelbach und Hammelbach errichtet und mit einen Geistlichen besetzt sei." Doch die Errichtung dieser Pfarrei ist nicht zur Tatsache geworden. Was die Ursache bildete, den Plan aufzugeben, ist unbekannt. Jedenfalls steht fest, daß unter dem 4. Juni 1807 "die kirchliche Versehung der evangelisch‑lutherischen Untertanen der Centen Waldmichelbach und Hammelbach, jedoch die Orte Reisen, Schimbach, Mumbach und Geisenbach ausgenommen", dem Pfarrer von Güttersbach übertragen wurde. Für die 4 ausgenommenen Orte wurde vorderhand keine Regelung getroffen, doch zog die Behörde Erkundigungen über die Stärke der betreffenden Gemeinden ein, woraus sich ergab, daß sie zusammen 157 ev.‑lutherische Seelen umfaßten. Doch auch jetzt erfolgte noch keine Entscheidung. Als eine solche im Jahre 1809 immer noch nicht getroffen war, baten die 4 Orte in eine erneuten Eingabe, diesmal von "Adam Kadel, Sebastian Schäfer, Jakob Jost, Adam Eberle, Adam Reinig und Johann Michael Jochum als Deputierten" unterzeichnet, um ihre Einpfarrung nach Birkenau. In dieser Eingabe verpflichteten sie sich "zugleich für sich und ihre Nachkommen, die Verbindlichkeiten zu übernehmen, an allen öffentlichen als besonderen Lasten, die mit dieser Vereinigung unzertrennlich seien, ihren Anteil zu tragen, jedoch alle Arten von Zehnten, die als Besoldungsgegenstände betrachtet wurden, ausgenommen, und sonach sich ganz und weiters ohne alle Ausnahme, aller Schuldigkeit zu unterziehen, welche die schon längst eingepfarrten Filialorte geleistet hätten". Am Schluß ihrer Vorstellung baten sie, "diese Vereinigung teils wegen ihrer selbst, teils auch wegen ihrer Kinder, die durch dieselbe sowohl in Obsicht der Lage als des öffentlcihen Unterrichts mehrfach gewönnen, zu bewilligen und sie nach Birkenau einzupfarren, sonach sie von der Last zu befreien, die ihnen und ihren Voreltern zu fühlbar gewesen." Die Kirchenbehörde richtete daraufhin eine Anfrage an das Pfarramt in Birkenau, ob die Seelenzahl der Birkenauer Pfarrgemeinde für die "Beischlagung" der 4 Orte kein Hindernis bilde, was dieses dahin beantwortete, "daß die Birkenauer Pfarrgemeinde , die 730‑740 Seelen zähle, eine Vermehrung von 150‑160 Seelen wohl zulasse, und daß die Kirche nach einigen vorzunehmenden Veränderungen geräumig genug sei, die Lutheraner der gedachten 4 Orte noch aufzunehmen." Die Einpfarrung erlitt jedoch eine weitere Verzögerung, vermutlich aus dem Grunde, weil die Kirche zu Birkenau i. J. 1811 wegen Baufälligkeit geschlossen werden mußte.
Erst am 7. Februar fiel eine Entscheidung. Unter diesem Datum eröffnete die Kirchenbehörde den Lutheranern von Reisen, Schimbach, Mumbach und Geisenbach, daß ihre Einpfarrung nach Birkenau unwiderruflich beschlossen sei. Es war für unsere 4 Orte ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, denn die Vorbereitungen zu dem Neubau der Kirche waren in vollem Gange und ihre Eingliederung hierher sogleich einer starken geldlichen Belastung ausgesetzt. Es ist begreiflich, daß sich in Anbetracht dieses Umstandes bei einem Teil der Bevölkerung der 4 Orte ein heftiger Widerstand geltend gemacht wurde, der seinen Niederschlag in 2 Eingaben an das hessische Ministerium bezw. den Großherzog fand, jedoch ohne Erfolg: die ausgesprochene Einpfarrung blieb aufrecht erhalten. Somit hatte das Kirchspiel Birkenau den Umfang erhalten, den es gegenwärtig besitzt, abgesehen von Balzenbach, das bei seinen Übergang an Baden im Jahre 1806 der Kirche zu Hemsbach zugeteilt wurde.
Autor: Heimatforscher, Johannes Pfeifer
Werkverz. Joh. Pfeifer Nr. 70 (Veröffl. in "Die Windeck" 7/1935).